Vom Kryptokommunisten zum Renegaten – Klaus Rainer Röhl zum 90. Geburtstag

Silvesterfeuerwerk in Cannes, Foto: Stefan Groß

Sucht man im Internet nach dem einst westpreußischen Dorf Trockenhütte bei Danzig, so findet man in der Rubrik „Söhne und Töchter des Ortes“ nur einen einzigen Namen verzeichnet: Klaus Rainer Röhl, der daselbst am 1. Dezember 1928 geboren wurde. Der spätere Journalist und Verleger linker Blätter wurde noch als Schüler zum „Reicharbeitsdienst“ eingezogen und 1945, zwei Wochen vor Kriegsende, im okkupierten Dänemark als Soldat eingesetzt. Seine Familie, die inzwischen aus Danzig geflohen war, fand er wieder im niedersächsischen Stade an der Elbe, wo er am 1588 gegründeten Gymnasium Athenäum 1948 das Abitur ablegte.

Seit seinem Studienbeginn in Hamburg 1949 war er politisch aktiv. Mit dem späteren Lyriker Peter Rühmkorf (1929-2008), der 1959 mit seinem Gedichtband „Irdisches Vergnügen in g“ berühmt wurde, gründete er das politische Kabarett „Die Pestbeule“, das „Wolfgang-Borchert-Theater“, benannt nach dem frühverstorbenen Kriegsheimkehrer und Schriftsteller Wolfgang Borchert (1921-1947), und den Jazzkeller „Anarche“. Der Dritte in diesem Bund radikaler Pazifisten war der in Danzig geborene Lyriker Werner Riegel (1925-1956), der 1951/56 die Zeitschrift „Zwischen den Kriegen“ edierte.

Die 1955 von Klaus Rainer Röhl gegründete Zeitschrift „Studentenkurier“, die 1957 in „konkret“ umbenannt wurde, wurde von Anfang an aus der DDR-Staatskasse finanziert. Der Herausgeber und Chefredakteur, der 1956 auch der inzwischen verbotenen KPD beigetreten war, fuhr in gewissen Abständen mit einer großen Tasche von Hamburg nach Ostberlin, um das Geld für den Druck von „konkret“ in Empfang zu nehmen. Politische Bedingungen für die Gestaltung der Zeitschrift wären, so Klaus Rainer Röhl in seiner „Selbstanzeige“ 1974, nie gestellt worden. Das Blatt lag mit seinem Kampf gegen die Aufrüstung Westdeutschlands ohnehin auf der SED-Parteilinie.

Den radikalen Weg in die Ausweglosigkeit, den Ulrike Meinhof beschritt, ging Klaus Rainer Röhl nicht mit, die 1961 geschlossene Ehe wurde 1968 geschieden. Ulrike Meinhof zog von Hamburg nach Berlin, als die Studentenrebellion um Rudolf Dutschke in ihrer Hochblüte stand, und beteiligte sich am 14. Mai 1970 an der Befreiung des in Polizeigewahrsam sitzenden Brandstifters Andreas Baader (1943-1977), wurde Mitglied der „Roten-Armee-Fraktion“ (RAF) und ging in den Untergrund.

Zuvor freilich hatte sie ihre beiden siebenjährigen Töchter Bettina und Regina (geboren am 21. September 1962) in ein Flüchtlingslager nach Sizilien bringen lassen, um sie dem Vater, der um das Sorgerecht kämpfte, zu entziehen. Von dort sollten sie in ein palästinensisches Guerilla-Lager im Nahen Osten gebracht werden, um zu Revolutionskadern erzogen zu werden. Der Journalist Stefan Aust (1946), der wie Klaus Rainer Röhl das Athenäum in Stade besucht hatte und von 1994 bis 2008 Chefredakteur des Hamburger Nachrichtenmagazins „Spiegel“ werden sollte, konnte aber den Aufenthaltsort der Zwillinge ausfindig machen und sie zum Vater in Hamburg zurückbringen. Bettina Röhl wurde eine angesehene Journalistin und hat in zwei umfangreichen Büchern die Geschichte der „Außerparlamentarischen Opposition“ 1968/70 aufgearbeitet.

Ihre Mutter Ulrike Meinhof war inzwischen steckbrieflich gesucht und am 15. Juni 1972 in Hannover verhaftet worden. Im Gefängnis Stuttgart-Stammheim, wo sie einsaß, erhängte sie sich am 9. Mai 1976. Das Schicksal seiner Frau und das Abgleiten von Teilen der Studentenbewegung in den nackten Terror, veranlassten den einstigen DDR-Sympathisanten Klaus Reiner Röhl zu radikalem Umdenken. Nachdem er im Herbst 1973 seine Zeitschrift „konkret“ verloren hatte, die nach der Enteignung von Hermann L. Gremliza (1940) übernommen und in ein linksdogmatisches Blatt umgewandelt worden war, zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück und schrieb 1993 bei dem als „rechts“ verschrienen Historiker Ernst Nolte (1923-2016) in Berlin , den Auslöser des „Historikerstreits“ 1986 , eine Dissertation über ein heikles Thema, über den Streik der Berliner Verkehrsarbeiter im Herbst 1932, bei dem Nationalsozialisten und Kommunisten gemeinsam versucht hatten, die schwache Reichsregierung unter Franz von Papen zu stürzen und die Weimarer Republik zu zerstören. Die Dissertation erschien 1994 unter dem Titel „Nähe zum Gegner“. Weder mit der Wahl des Themas noch des umstrittenen Doktorvaters konnte er im „linken Lager“ neue Freunde gewinnen.

Diesem Lager gehörte er aber damals schon seit Jahren nicht mehr an. Stattdessen distanzierte er sich von seinen früheren Ansichten und veröffentlichte eine Reihe von Büchern, in denen er seine Vergangenheit aufarbeitete, beispielsweise den Rechenschaftsbericht „Fünf Finger sind keine Faust“ (1974/98), den Roman über Ulrike Meinhof „Die Genossin“ (1975) oder die Aufklärungsbücher „Riesen und Wurzelzwerge“ (1999) und „Linke Lebenslügen“ (1994/2001). Schon seit 50 Jahren lebt er in Köln mit der griechischen Journalistin Danae Coulmas zusammen und ist im besten Sinne das, was die Kommunisten einen „Renegaten“ oder „Verräter“ nennen. Ins Positive gewendet, heißt das: Er ist ein Gezeichneter, der unermüdlich aufklärt über einen politischen Irrweg!

Über Jörg Bernhard Bilke 261 Artikel
Dr. Jörg Bernhard Bilke, geboren 1937, studierte u.a. Klassische Philologie, Gemanistik und Geschichte in Berlin und wurde über das Frühwerk von Anna Seghers promoviert. Er war Kulturredakteur der Tageszeitung "Die Welt" und später Chefredakteur der Kulturpolitischen Korrespondenz in der Stiftung ostdeutscher Kulturrat.