Die Musikstadt Leipzig hatte in diesen Maitagen noch mehr zu bieten als gewöhnlich. Das Mahler-Festival mit allen Sinfonien des Komponisten und den großen Orchestern der Welt im Gewandhaus (etablierte Hochkultur) und die von der „Richard Wagner Gesellschaft Leipzig 2013“ ins Leben gerufenen Wagner-Festtage (Humus für ein neues Musikverständnis) an verschiedenen Orten und mit unterschiedlichem Charakter. Vom volksfestartigen Treiben mit subversivem Einschlag auf dem Fockeberg – das „Feste Spielhaus“, dessen Richtfest man feierte, wird wohl nie gebaut werden – bis zur konzertanten Aufführung des dritten Aufzugs vom „Siegfried“ in der Peterskirche als fulminanter Höhepunkt. So eilten die Leipziger „Wagneristen“, vor allem aber der einzige von der Stadt bezahlte Mitarbeiter der Wagner Gesellschaft Thomas Herm von Veranstaltung zu Veranstaltung, 15 insgesamt.
Leipzig als Geburtsstadt des Musikgenies Wagner muss noch erwachen, wenn sich auch im Hinblick auf das Jubiläumsjahr 2013 und im Zuge der unermüdlichen Bemühungen aller drei ehrenamtlich arbeitenden Wagner-Vereine (Verband, Gesellschaft und Denkmal-Verein) ein zunehmendes Engagement seitens der Stadt abzeichnet. OB Burkhard Jung als Schirmherrn der Festtage nahm am rituellen Gang auf Leipzigs „Grünen Hügel“ und am „Richtfest“ teil, Kulturbürgermeister Faber an der jazzigen Wagner-Lounge. Vordenker, Initiatoren und Ausführende dieser Festtage aber entstammen einer jüngeren Generation, die sich selbstbewusst und unkonventionell mit der Kultur auseinandersetzt. Sie macht grundsätzlich keine Unterschiede mehr zwischen High und Low, wechselt von der klassischen Performance problemlos zur Unterhaltung und nimmt ihren Wagner nicht mehr nur tierisch ernst.
Universitätsmusikdirektor David Timm, Chorleiter, Pianist, Dirigent und Organist, ein Allround-Talent, das auch im Jazz zu Hause ist, steht für dieses neue musikalische Leipzig-Feeling und ist dabei, eine neues Wagner-Fieber auszulösen.
Im dem maroden Charme ausstrahlenden Belle-Epoque-Saal des Hotel de Pologne spielte er nicht nur als Pianist unbekannterer Wagner Stücke wie der „Sonate Für M.W.“ und zur Begleitung der Wesendonck-Lieder sondern mimte in der szenischen Version von Heike Hennig mit der wunderschön aussehenden und singenden Carolin Masur den Meister selbst. Was aber kann Liebessturm und Liebesleid eindringlicher vermitteln als die zwischen Romantik und Moderne changierende Musik des „Tristan“-Erfinders? Ob sich Wagner jemals im eilends aus Zürich herbeitransportierten Mobilar des begüterten Ehepaares Wesendonck heimisch fühlte bzw das große und großbürgerliche Bett (oder seines im „Asyl“) mit Mathilde teilte , es wird ein ewiges Geheimnis bleiben..
Aus dem „Nähkästchen“ der Familie Wagner „plauderte“ zuvor bei der Festveranstaltung des Richard-Wagner-Verbandes in der „Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn-Bartholdy“ Nike Wagner, Urenkelin von Richard Wagner und Ur-Ur-Enkelin von Franz Liszt. Die Leiterin des Kunstfestes von Weimar sprach im Liszt-Jahr mit sehr persönlichem und musikwissenschaftlichem Engagement, war doch Liszt bei den von seiner Tochter Cosima stark beeinflussten Nachkommen immer unterrepräsentiert, obwohl er Wagner nicht nur inspiriert sondern darüber hinaus während dessen Exil für die Aufführung seiner Werke gesorgt hatte. Nike Wagners Festrede war –wer würde es ihr verdenken- eine Laudatio auf Liszt und ein Appell an die Wagner-Verehrer, den großen Tastenvirtuosen und bedeutenden Komponisten eben auch wegen dem prägenden Einfluss auf seinen Schwiegersohn nicht zu vergessen.
Wer Liszts Musik außerhalb dieser Veranstaltung noch einmal hören wollte, konnte das am Folgeabend in der Alten Handelsbörse beim vierten Denkmal-Benefiz-Konzert mit dem fabelhaft spielenden Igor Gryshyn tun. Also noch einmal: Liszt für Wagner, dieses Mal für ein Denkmal, dessen frisch restaurierter Klinger-Sockel aus weißem Marmor bereits am Zugang zum ehemaligen Matthäi-Kirchhof prangt und für dessen zeitgemäße Ergänzung der Wettbewerb mit hochkarätigen Künstlern am 14. Juni entschieden wird. Neo Rauch allerdings ist aus dem Wettbewerb ausgeschieden, wohl weil er bereits in manchen Blättern als Sieger gehandelt wurde.
Seit 1973/76 Joachim Herz seinen „Ring“ auf eine Kritik an der kapitalistischen Industriegesellschaft zugespitzt hatte, gab es in Leipzig keine Aufführung des Riesenwerkes mehr, obwohl doch in den letzten Jahren landauf und landab sogar auf kleineren Bühnen die Herausforderung einer Neuinszenierung angenommen wurde. Jetzt „brennt“ ein junger, hochbegabter Musiker für eine szenische Version des Wagnerschen Rings im Jubiläumsjahr 2013 in der Aula der neuen Universitätskirche, die an der Stelle der ehemaligen, zu DDR-Zeiten sinnlos gesprengten Paulinerkirche am Augustusplatz entsteht. Einen Vorgeschmack hatte David Timm mit seinem Mendelssohn-Orchester bereits 2010 mit dem konzertanten 1. Aufzug der „Walküre“ gegeben, jetzt folgte der 3. Akt des „Siegfried“, ebenfalls konzertant.
Die für Neues aufgeschlossenen Wagnerianer und Theatergänger konnten sich bereits einige Tage zuvor in der „naTo“ mit den im „Siegfried“ agierenden Personen vertraut machen. Stefan Kaminski, präsentierte eine Produktion des Deutschen Theaters Berlin, nämlich seine Version als sogenanntes „3D Live_Hörspiel“ mit Stimmen-Morphing , E-Cello, Percussion, Syntheziser und Nagelkavier. Kaminski imitierte sprechend alle: den jungen Siegfried, Ziehvater Mime, den Wanderer/Wotan, Alberich, Fafner als Drachen, Brünnhilde, ja sogar den Waldvogel mit Zwitschergesang- eine einmalige, quergebürstete Version mit satirischem Charakter.
Gibt es die seit den späten 60-ger Jahren wiederholt heraufbeschworene Krise des Wagner-Gesanges wirklich? Die konzertante Aufführung in der riesigen spätgotischen Halle der Peterskirche in der Südstadt bewies das Gegenteil. Trotz der für Wagner-Musik problematischen Akustik glänzten die jüngeren Sänger in ihrem jeweiligen Rollenfach, Caroline Thomas, Professorin für Gesang in Detmold, als Brünnhilde (mit viel Ausdruck und Volumen), und Corby Welch, vielseitiger Tenor mit Oratorienerfahrung als Siegfried (höhensicher und strahlend) , Ulrike Schneider, ehemalige Schülerin von Astrid Varnay, mit schmelzendem Mezzo als Erda und nicht zuletzt Renatus Meszar, der Weimarer Wotan, mit hell gefärbtem Bass-Bariton als Wanderer. Der Dirigent David Timm ist gleichermaßen für die Sänger wie das Orchester (zusammengesetzt aus Musikern vom Gewandhaus, MDR-Rundfunkorchester und freien Musikern) da und leitete sie sicher durch den unaufhörlich wogenden Musikfluss Richard Wagners. Nach nur einer wenn auch langen Probe am Vortag des 22.Mai – alle Musiker im fast vollständigen Wagner-Orchester müssen bezahlt werden- ließ er dem „Beziehungszauber“ mit Tristan Einfluss freien Lauf. Heinrich Niebuhr, 2.Violinist und Gewandhausmusiker, spielte und spielt auch in Bayreuth und gleichermaßen gern unter Thielemann (2009 und 2010) und Timm.
Große Stimmen und großartige Musik ohne Inszenierungsdebatten und kostspielige Bühnenbildentwürfe- der „Ring“ unter David Timm könnte mit Unterstützung der Stadt und der Kulturstiftungen von Bund und Land weitergeschmiedet werden, Sponsoring nicht ausgeschlossen.
Von Bayreuth aus schaut man mit gemischten Gefühlen auf die Leipziger Wagner-Umtriebe, zumal alle drei Wagner-Vereine inzwischen gemeinsam an einer überfälligen Erinnerungs- und Aufführungskultur arbeiten.
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