Frank Wedekind zum 100. Todestag

Garten, Foto: Stefan Groß

 Am 9. März 1918 ist der berühmte deutsche Dramatiker Frank Wedekind in München im Alter von 53 Jahren gestorben. Drei Tage später war seine Beerdigung am Münchner Waldfriedhof. Das Begräbnis wurde zu einem Spektakulum, das zum Leben des Verstorbenen passte. Sein Biograph Anatol Regnier (2008, S. 392) kommentierte dies wie folgt: „Wedekinds Beerdigung am Nachmittag des 12. März 1918 ist eine letzte große Inszenierung im Wedekind’schen Stil mit Skandal, Pathos, Drama und Lächerlichkeit“. Die Beerdigung war sehr gut besucht. Es waren berühmte Freunde und Wedekind-Begleiter aus der Schriftsteller- und Theaterszene vertreten. Unter diese honorige Schar mischten sich zahlreiche Prostituierte Münchens, die offensichtlich zum Ausdruck bringen wollten, dass Frank Wedekind zu ihrem Gewerbe eine große Affinität hatte. Namhafte Dichterkollegen waren anwesend – Heinrich und Thomas Mann, Bertolt Brecht, Erich Mühsam und Heinrich Lautensack. Der Schriftsteller Max Halbe hielt die Totenrede, Heinrich Mann sprach am offenen Grab Abschiedsworte. Vertreter der deutschen Theaterszene waren Felix Hollaender vom Deutschen Theater in Berlin und Otto Falckenberg, der Intendant der Münchner Kammerspiele. Falckenberg charakterisierte die Szene der Beerdigung im Nachhinein als einen „bösen Spuk“. Der befreundete Dramatiker Heinrich Lautensack wollte die Grablegung filmen, hatte jedoch dann einen intensiven Gefühlsausbruch und stürzte schreiend am offenen Grab nieder und konnte gerade noch zurückgehalten werden, damit er nicht in die Grube hinabstürzte. Er ist einige Monate später in einer Irrenanstalt verstorben. Der bei der Beerdigungsfeier ebenfalls anwesende Bertolt Brecht schrieb in den Augsburger Nachrichten einen eindrucksvollen Nachruf. Darin war zu lesen: „Bevor ich nicht gesehen habe, wie man ihn begräbt, kann ich seinen Tod nicht erfassen. Er gehörte mit Tolstoi und Strindberg zu den großen Erziehern des neuen Europa.“

In seinem Tagebuch hat Bertolt Brecht die Begräbnis-Szene in ein Gedicht gefasst:

„Sie standen ratlos in Zylinderhüten.

Wie um ein Geieraas. Verstörte Raben,

und ob sie (Tränen schwitzend) sich bemühten:

sie konnten diesen Gaukler nicht begraben.“

 

Große Bühnenerfolge in der Weimarer Republik

Frank Wedekind hat sein ganzes Leben um Anerkennung in der literarischen Welt und in der Theaterszene gerungen. Wegen der oft sehr provozierenden, sexuell expliziten und drastischen Inhalte seiner Theaterstücke war er zu Lebzeiten häufig durch Zensurbehörden und gerichtliche Aufführungsverbote ausgebremst. Diese Form der Ablehnung hat ihn auf die Dauer sehr zermürbt. Der frühe tragische Tod (er starb an den langwierigen Folgen einer misslungenen Blinddarmoperation) führte leider dazu, dass er das Ende des Ersten Weltkriegs nicht mehr erleben durfte. Denn nun folgte die Weimarer Republik und in dieser Zeit hatten seine Theaterstücke die größten Erfolge. In den etwa vierzehn Jahren der Weimarer Republik gab es in Europa etwa 900 Inszenierungen und Tausende von Aufführungen von Wedekind-Werken. Am häufigsten wurden „Frühlings Erwachen“ und die beiden Vorläufer von „Lulu“ gespielt.

 

Frank Wedekind darf als der Gründervater des modernen Theaters gewürdigt werden. Er war nicht nur das große Vorbild für Bertolt Brecht, der seinen einzigen Sohn nach Frank Wedekind nannte und ihm den Vornamen Frank gab. Einer der renommiertesten Theaterkritiker der deutschen Nachkriegszeit – Günther Rühle – schrieb in seinem zweibändigen Standardwerk „Theater für die Republik“ (1967) die folgende treffende Einschätzung: „Wedekind und seine Dramen waren der Grund, auf dem das neue deutsche Theater sich entwickelte.“ Mit seinen Dramen war Frank Wedekind seiner Zeit weit voraus. Er thematisierte als einer der ersten Dramatiker sehr plastisch die sexuellen Abgründe des Menschen, die auch heute noch die Gemüter bewegen.

„Lulu“ – ein modernes Drama über sexuelle Abgründe und den Geschlechterkampf

Das Drama „Lulu ist ein Theatererfolg seit 125 Jahren. Die Gesamtversion wurde erstmals von Peter Zadek im Jahr 1988 aufgeführt. Vorher kam entweder der erste Teil unter dem Titel „Der Erdgeist“ oder der zweite Teil „Die Büchse der Pandora“ zur Aufführung. Das Drama „Lulu“ enthält das gesamte Spektrum der möglichen sexuellen Abgründe und des Geschlechterkampfes: sexueller Missbrauch, weibliche Verführungskünste, Eifersucht, sexuelle Untreue, Sadomasochismus, Gattenmord, Prostitution, Lustmord und Homosexualität.

In der Nachkriegszeit bemühte sich Bertolt Brecht um die Genehmigung der Wedekind-Erben zur Uraufführung der gesamten zweiteiligen Urfassung von „Lulu“. Dies war im Jahr 1946, als Brecht noch im amerikanischen Exil war. Er hatte sogar mehrere finanzkräftige Unterstützer für sein geplantes Projekt. In seinem Schreiben an die Witwe Tilly Wedekind warb er für eine amerikanische „Light-Version“ von „Lulu“ und offerierte dafür folgende Idee: „Amerikanische Frauen seien zu anspruchsvoll, dass ihre Männer zu ihrer Finanzierung unentwegt arbeiten müssten. Dadurch blieben die Frauen unbeaufsichtigt und gingen fremd.“ (zit. nach Regnier 2003, S. 338). Brecht wollte also „Lulu“ auf das publikumswirksame Thema „Fremdgehen“ reduzieren. Die tiefere Thematik der sexuellen Abgründe und des Geschlechterkampfes wollte er weglassen. Die Wedekind-Erben wehrten sich erfolgreich und erteilten Bertolt Brecht eine Absage. So bekam also immerhin 42 Jahre später Peter Zadek die einmalige Chance, die Urfassung von „Lulu“ als erster aufführen zu dürfen. Der Bekanntheitsgrad von „Lulu“ wurde wesentlich durch die Opernfassung von Alban Berg gesteigert. Die Uraufführung der Oper „Lulu“ erfolgte bereits am 2. Juni 1937 im Opernhaus Zürich und war ein großer Erfolg. Das „Lulu“-Drama ist sehr häufig verfilmt worden. Bereits während der Weimarer Republik wurden vier Verfilmungen produziert, darunter 1923 die bekannte Version mit Asta Nielsen als Lulu. Insgesamt gibt es mittlerweile mehr als zehn Verfilmungen des „Lulu“-Dramas.

Andauernde Wedekind-Renaissance im 21. Jahrhundert

Die Verbreitung des Werkes von Frank Wedekind wurde wesentlich durch die „Editions- und Forschungsstelle Frank Wedekind (EFW)“ gefördert, die im Jahre 1982 an der Universität Darmstadt gegründet wurde. Hier wurde in den Jahren 1994 bis 2003 die „Kritische Studienausgabe“ der Wedekind-Werke herausgegeben. Sie umfasst 15 Bände und wird jetzt im renommierten Wallstein-Verlag verlegt. Zahlreiche Monographien und mehrere Ausstellungen zu Wedekind wurden durch die Gedenktage der letzten Jahre gefördert. Am 24. Juli 2014 war der 150. Geburtstag von Frank Wedekind, am 9. März 2018 der 100. Todestag. Pünktlich zum 100. Todestag wurde jetzt der Briefwechsel von Frank und Tilly Wedekind aus den Jahren 1905 bis 1918 veröffentlicht. Er umfasst zwei Bände mit 982 Seiten und gibt einen guten Einblick in die Persönlichkeit von Frank Wedekind und in die sehr schwierige Ehe mit seiner Frau Tilly. Sie überlebte ihren Ehemann schließlich um 52 Jahre und ist im Jahre 1970 gestorben.

Weitere Literatur des Verfassers zu Frank Wedekind:

Csef, Herbert: Frank Wedekind zum 150. Geburtstag. Universitas 69, Nr. 815, Heft 5, S. 72-88 (2014)

Csef, Herbert: Die Inszenierung des Sexuellen im Leben und Werk von Frank Wedekind. Sexuologie 25 (2018)

Csef, Herbert: Der Schüler-Suizid in der Kindertragödie „Frühlings Erwachen“ von Frank Wedekind. Suizidprophylaxe (2018)

Csef, Herbert: 125 Jahre „Lulu“ – das Drama von Frank Wedekind über sexuelle Abgründe und den Geschlechterkampf

Weiterführende Literatur:

Regnier, Anatol: Frank Wedekind. Eine Männertragödie, btb, 2008

Seehaus, Günter: Frank Wedekind. Rowohlt, 1974

Wedekind, Frank: Werke. Kritische Studienausgabe, 15 Bände. Wallstein-Verlag 2016

Wedekind, Frank: Die Tagebücher. Ein erotisches Leben. Gerhard Hay (Hrsg.). Athenäum 1986

Korrespondenzadresse:

Professor Dr. med. H. Csef

Schwerpunktleiter Psychosomatische Medizin und Psychotherapie

Zentrum für Innere Medizin

Medizinische Klinik und Poliklinik II

Oberdürrbacher Straße 6

97080 Würzburg

E-Mail-Adresse: Csef_H@ukw.de

 

 

 

Finanzen

Über Herbert Csef 150 Artikel
Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.