Potsdamer Garnisonkirche: Der ›Berliner Republik‹ gelingt nicht, auf dem Trümmerfeld der deutschen Geschichte eine zweifelsfreie, sinnstiftende Symbolik zu begründen

her

Jesus am Kreuz, Foto: Stefan Groß

I

Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland war seit ihrer Gründung 1948/49 bis zum Mauerfall 1989 mit der als ›Provisorium‹ deklarierten linksrheinischen Stadt Bonn verbunden. Der ›Geist von Potsdam‹, den nach dem I. Weltkrieg rechtsgerichtete Gegner der Weimarer Republik beschworen hatten, war im westdeutschen Staat kaum irgendwo noch vorzufinden. Zu den wenigen Ausnahmen gehörten nationalkonservative (oder deutschnationale) Nostalgiezirkel wie die 1984 in Iserlohn gegründete, 2005 aufgelöste Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel e.V. (TPG). Anders in der DDR, wo immerhin die Erinnerung an deutsch-russische Waffenbrüderschaft sowie die Uniform der Nationalen Volksarmee (NVA) an preußische Vorbilder erinnerten, ehe dann in der Ära Honecker auch das Rauchsche Reiterdenkmal Friedrichs d. Gr. zwecks realsozialistischer Traditionsstiftung auf seinen alten Platz Unter den Linden zurückkehren durfte.

Nach Mauerfall und Wiedervereinigung, nach Klärung der ›umstrittenen‹ Hauptstadtfrage zugunsten Berlins, stürzte sich die westdeutsch dominierte, mehrheitlich postnational bzw. links-grün orientierte Intelligenzija – im Bündnis mit politisch wendefähigen DDR-Nostalgikern – in einen neuen Kampf um die ›richtige‹ Gedenkkultur samt den ›richtigen‹ Geschichtssymbolen für die ›Berliner Republik‹. Als Beispiele kommen der anno 2000 im Lichthof des Reichstagsgebäudes errichtete Futtertrog – als politisch korrekte Replik auf die 1916 im Giebel angebrachte ›völkische‹ Inschrift (DEM DEUTSCHEN VOLKE) –, die ›umstrittenene‹ Rekonstruktion des Berliner Schlosses und die geplante Einheitsschaukel über der Spree in den Sinn.

Ein Schauplatz historisch-ideologischer Auseinandersetzungen ist seit eh und je Potsdam. Der Streit um den Wiederaufbau des Potsdamer Stadtschlosses verebbte, als der politische Mehrwert – Sitz des Brandenburger Landtags – eines mit feudal-absolutistischer Barockfassade samt Rokoko-Zierelementen versehenen Neubaus erkannt wurde. Zur demokratischen Erhellung bewundernder Betrachter dient eine Inschrift auf der Westfassade: »Ceci n’est pas un château.«

Der von unterschiedlichen Interessengruppen betriebene Streit über die Potsdamer Garnisonkirche, Symbol preußischer Größe und deutscher Katastrophe, hält noch unvermindert an. Zwar wurde im Oktober 2017 – unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Steinmeier – mit der Wiederrichtung des einst als Wahrzeichen die Stadt überragenden Turms begonnen. Nach Vollendung soll indes anstelle der (erhaltenen) Wetterfahne und preußischer Insignien ein versöhnendes Nagelkreuz die Spitze krönen.

Gegen den für danach geplanten Wiederaufbau der Kirche opponiert ein Bündnis von friedenspolitisch noch engagierteren Linksprotestanten und entsprechenden politischen Gruppierungen. Im März 2017 fragte der Zeit-Autor Christoph Dieckmann in einer Predigt vor einhundert Zuhörern in der Französischen Kirche zu Potsdam: »Warum sollte diese gotteslästerliche Bude auferstehen?« und trug dazu eine entsprechende Geschichtslektion vor. Die Garnisonkirche – auf Anordnung des Königs Friedrich Wilhelm I. in den Jahren 1730-1735 nach Plänen von Philipp Gerlach errichtet – sei als »Walhalla des preußischen Absolutismus« entstanden. Der ›Soldatenkönig‹ habe »die Armeen gezüchtet«, mit denen dann Friedrich II. europaweit »Leichenberge produziert« habe – ein für das bundesrepublikanische Geschchtsverständnis typischer historischer Kurzschluss. Jedenfalls scheint der Autor nicht zu wissen (oder wissen zu wollen), dass die Figur des pflichtbewussten Herrschers in den 1930er Jahren den religiösen Sozialisten Jochen Klepper (1903-1942) zu seinem Roman Der Vater – als historisches Gegenbild des braunen Diktators – inspirierte.

Für Martin Karg, Vorsitzender der Martin-Niemöller-Stiftung ist auch das im Turm geplante Versöhnungszentrum kein Grund, das Projekt zu unterstützen. Was den Namensgeber Niemöller betrifft, so hat es dieser bekanntermaßen in den Jahren (als NSDAP-Wähler) vor und selbst noch nach der ›Machtergreifung‹ an politischer Klarsicht fehlen lassen. Umgekehrt gälte es zu bedenken, dass der von Seiten der Linken, von Kommunisten wie Sozialdemokraten, vielfach aggressiv vorgetragene Atheismus in den Weimarer Krisenjahren große Teile der protestantischen Landbevölkerung den Nazis in die Arme trieb. – Mal sehen, wie der Streit um die ›richtige‹ Interpretation der Potsdamer Garnisonkirche ausgeht.

II

Vor diesem Hintergrund ist die in Globkult erschienene Buchrezension von Reiner Zilkenat zum Thema ›Garnisonkirche‹ zu lesen. Der Autor empfiehlt das Werk Für Deutschtum und Vaterland von Matthias Grünzig als »den bislang bedeutendsten Beitrag zur Geschichte der Potsdamer Garnisonkirche im 20. Jahrhundert« und hofft, dass es zu »einer Versachlichung« der Debatte zwischen Gegnern und Befürwortern des Wiederaufbaus führen möge.

Der Rezensent referiert Forschungsergebnisse, die angesichts der breitgefächerten gegen ›Weimar‹ agierenden und agitierenden ›nationalen‹ Kräfte – von der DNVP und dem Stahlhelm, vom Alldeutschen Verband bis zur ›Deutschvölkischen Freiheitsbewegung‹ (unter vergessenen Führungsfiguren wie Albrecht von Graefe und Reinhard Wulle), von den monarchistischen Traditionsverbänden bis zu den Nationalsozialisten – erhellend sind, wenngleich nicht allzu überraschend. Zu den betrüblichen Fakten des ›Geistes von Potsdam‹ gehört etwa, dass in der Garnisonkirche offenbar auch ›Heldengedenkfeiern‹ und ›Fahnenweihen‹ der ›Hitlerjugend‹ stattfanden. Bis in die Tage der ›Machtergreifung‹ diente die Garnisonkirche vielfach den republikfeindlichen Zwecken der ›nationalen Rechten‹, zu der sich auch zahlreiche Vertreter der preußisch-protestantischen Amtskirche bekannten.

Was jedoch die Rolle des damaligen Superintendenten (und späteren ersten Landesbischof von Berlin-Brandenburg) Otto Dibelius und den aus allen Schulbüchern bekannten ›Tag von Potsdam‹ (21.März 1933) betrifft, zeichnet Zilkenat ein unscharfes Bild. Es bleibt zu fragen, inwieweit auch ›der aufstrebende Otto Dibelius‹ dem Gebaren (›der gespenstischen Szenerie‹) aller Republikfeinde tatsächlich seinen Segen erteilt hat. Immerhin stellte der in der Ökumene engagierte Deutschnationale Dibelius anno 1930 in seinem Buch Friede auf Erden? die überkommene protestantische Lehre von der Unvermeidbarkeit des Krieges in Frage und verteidigte ungeachtet des Aufschreis der Rechtsradikalen das Recht auf Kriegsdienstverweigerung.

Entgegen landläufiger Meinung widersetzte sich die Leitung der Kurmärkischen Kirche der Eröffnung des am 5. März gewählten Reichstags in der Garnisonkirche. Erst als klar war, dass es sich um einen Staatsakt handeln sollte, der der eigentlichen Eröffnung im ›Langen Stall‹ vorausgehen sollte, stimmte man zu. Unter diesen Umständen fiel Dibelius als Generalsuperintendenten die Aufgabe der Predigt zu. Der ›Tag von Potsdam‹ war keine Inszenierung des soeben zum Propagandaminister berufenen Goebbels. Dieser schlachtete die Bilder – mit dem sich ehrfürchtig vor Hindenburg verneigenden Hitler – erst hinterher für seine Zwecke aus und verkündete die ›Vermählung‹ des alten Preußen mit der ›nationalen Revolution‹.

Kritik verdient die Buchbesprechung insbesondere bezüglich folgender Passage:

»Unter der Kanzel der Garnisonkirche saßen in der Nazizeit allerdings auch tapfere Offiziere, die zu den Verschwörern des 20. Juli 1944 gehörten, wie der später zum Generalmajor avancierte Henning von Tresckow. Doch ihr ›christliches Gewissen‹ schwieg, als Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter verhaftet, in die Konzentrationslager und Zuchthäuser gesperrt und ins Exil getrieben wurden. Es schwieg, als bereits am 1. April 1933 das erste judenfeindliche Pogrom seinen Lauf nahm und am 9. November 1938 in der Reichspogromnacht die Synagogen vom braunen Mob in Brand gesteckt und schließlich sechs Millionen Juden ermordet wurden. Es schwieg, als das Dritte Reich die Tschechoslowakei zerstückelte, die Nachbarstaaten mit unprovozierten Angriffskriegen überzog und im Juni 1941 einen Eroberungs- und Vernichtungskrieg gegen die UdSSR begann. Auch vom Turm der Garnisonkirche ertönten die Siegesglocken. Die Opposition mancher Potsdamer Offiziere gegen das herrschende Regime sollte sich erst dann zeigen, als alliierte Truppen an der Ost- wie an der Westfront sich der Reichsgrenze zu nähern begannen und die totale Niederlage unausweichlich war.«

Der Absatz besteht aus Pauschalisierungen und zielt in einigen Aussagen an den historischen Fakten vorbei. In Henning von Tresckow, der am ›Tag von Potsdam‹ noch als Sympathisant des Nationalsozialismus vor den neuen Machthabern paradierte, erwachten tiefe Zweifel nach der Mordorgie beim sogenannten ›Röhm-Putsch‹. Zum Zeitpunkt der ›Sudetenkrise‹ 1938 gehörte er bereits zur Fronde von illusionslosen Regimegegnern. Die Novemberpogrome 1938 erfüllten ihn mit Abscheu. Die Kurzbiographie der Gedenkstätte Deutscher Widerstand zitiert seine Worte, man müsse »Hitler wie einen tollen Hund abschießen«. Unter den Verschwörern ragt Tresckow hervor, der – unbeeindruckt von Hitlers ›Erfolgen‹ – den Sturz des Regimes von Kriegsbeginn bis zum tragischen Scheitern am 20. Juli 1944 betrieb.

Was die Haltung von Männern wie Tresckow, Axel von dem Bussche oder Ewald von Kleist anbelangt, ist der letzte Satz der obigen Passage schlicht abwegig. Auch die meisten anderen Widerständler gehörten schon lange zur Verschwörung, ehe sich die ›totale Niederlage‹ abzeichnete. Gegenüber anderen Geschichtsmythen wie dem untadeligen, im Grunde widerständischen Potsdamer Infanterieregiment 9 (I.R. 9) werden mit derlei Generalisierungen über – immerhin – ›tapfere Offiziere‹ nur wieder alte Klischees über den späten Opportunismus des Widerstands erneuert.

III

Eine Besprechung des Buches von Matthias Grünzig ist auch auf H/Soz/Kult erschienen. Der Rezensent Marcus Colla hebt ebenfalls hervor, dass im Falle der Garnisonkirche es nicht Walter Ulbricht gewesen sei, der auf Beseitigung der Kriegsruine – etwa als Symbol des preußischen Militarismus – drängte. (Anm.: Im Wikipedia-Artikel https://de.wikipedia.org/wiki/Garnisonkirche_(Potsdam) liest sich die Geschichte bis dato anders.) Als Kritikpunkt führt Colla die in Grünzigs Buch offenbar verkürzt behandelte innerkirchliche Debatte über den Nicht-Wiederaufbau der Garnisonkirche vor deren Sprengung im Mai 1968 an. Wer sein Urteil über das Für und Wider des Wiederaufbaus der Garnisonkirche bilden will, ohne eigens das erwähnte Buch zur Hand zu nehmen, sollte in Ergänzung zu Zilkenat auf diese Besprechung sowie auf den Vortrag von Martin Sabrow zurückgreifen.

Der Ausgang der Debatte über die Potsdamer Garnisonkirche ist letztlich nicht bedeutsam. Sie ist allenfalls ein weiterer Beleg dafür, dass es der ›Berliner Republik‹ nicht gelingt, auf dem Trümmerfeld der deutschen Geschichte eine zweifelsfreie, sinnstiftende Symbolik zu begründen. Das gilt nicht zuletzt für die ziemlich krampfhaften Bemühungen um die ›richtigen‹ Traditionsbilder für die Bundeswehr als global-selektiv friedenstiftender Interventionstruppe.

Literatur:

Holger Catenhusen / Peer Straube: Streit um die Garnisonkirche in Potsdam, in: Der Tagesspiegel v. 20.03.2017

Marcus Colla: Rezension zu M. Grünzig: Für Deutschtum und Vaterland

Gedenkstätte Deutscher Widerstand: Henning von Tresckow

Martin Sabrow: Martin Sabrow, Politischer Mythos – anstößiger Überrest – auratischer Erinnerungsort. Die Garnisonkirche in der deutschen Geschichtskultur,  (08.08.2017)

Bodo Scheurig: Henning von Tresckow. Ein Preuße gegen Hitler. Biographie, Berlin 2004

Reiner Zilkenat: Rezension zu Matthias Grünzig: Für Deutschtum und Vaterland

Quelle: Herbert Ammon

Über Herbert Ammon 101 Artikel
Herbert Ammon (Studienrat a.D.) ist Historiker und Publizist. Bis 2003 lehrte er Geschichte und Soziologie am Studienkolleg für ausländische Studierende der FU Berlin. Seine Publikationen erscheinen hauptsächlich auf GlobKult (dort auch sein Blog https://herbert-ammon.blogspot.com/), auf Die Achse des Guten sowie Tichys Einblick.