In der deutschen Geschichtswissenschaft wird Südosteuropa neben Ostmitteleuropa und dem ostslawischen Siedlungsraum (mit Schwerpunkt Russland) als eine der drei historischen Teilregionen Osteuropas behandelt. Die Schwierigkeiten bei der geographischen wie historischen Begriffsbestimmung resultieren aus der Tatsache, dass Südosteuropa – trotz seiner geographischen Differenziertheit im Inneren – an den Peripherien verkehrsoffen ist und das wichtigste Bindeglied zwischen Mitteleuropa und Vorderasien bildet. Seit Jahrtausenden fungierte es als Durchzugsgebiet und Brücke zwischen zwei Kontinenten.
Die beiden Autoren sind Professor für Geschichte Südost- und Osteuropas und zeichnen in diesem Buch die historischen Grundlagen der heutigen politischen Geopolitik und die Begegnungen zwischen unterschiedlichen Kulturen und Machtinteressen in der Vergangenheit: „Natürlich weist die Geschichte Südosteuropas (…) viele Besonderheiten auf, die wir in den nun folgenden Kapiteln erläutern wollen. Aber sie ist nicht exotisch, sondern ein integraler Bestandteil der europäischen Geschichte. Diese muss auch von ihren jeweiligen Rändern her betrachtet werden, denn gerade dort sehen wir, wie wichtig die Beziehungen zu anderen Regionen für die spezifische Entwicklung Europas waren.“ (S. 9)
Das Buch beginnt mit der Diskussion um den Terminus und die Grundlagen der Geschichte Südosteuropas und der westliche Blickwinkel darauf. Danach geht es um das vormoderne Erbe für die Gegenwart bis 1800, als historisches Erbe und als Legitimation für nationale Mythen der Nationalbewegungen in der Gegenwart. Anschließend wird die Entwicklung im 19. Jahrhundert bis zum 1. Weltkrieg mit den hegemonialen Mächten Russland und dem Osmanischen Reich als Akteure der Besetzung und Kriege. Der 1. Weltkrieg und die daraus resultierenden Folgen (Zusammenbruch der Habsburgermonarchie, junge Nationalstaaten) werden dann präsentiert. Der mörderische 2. Weltkrieg und die bolschewistische Hegemonie nach dem Potsdamer Abkommen sowie die Umwandlung der Region in staatssozialistische Satellitenstaaten Moskaus. Die Gründung der Warschauer Paktes, Titos jugoslawischer Sonderweg und andere Facetten des Kalten Krieges folgen danach.
Die Transformation nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus und die Renationalisierung und die daraus resultierenden Konflikte oder der Balkan-Krieg werden dann in den Mittelpunkt gestellt. Die Mitgliedschaft vieler neu entstandener Staaten in der EU wird auch vorgestellt. In einem Ausblick malen die Autoren ein pessimistisches Bild, da sich „die Nation hartnäckig als Rahmen für die kollektive Identität behauptet“. (S. 493)
Das Buch schildert eindrucksvoll und trotzdem spannend die historischen und politischen Hintergründe Südosteuropas und erklärt somit die heutige politische Konstellation. Ethnische Spannungen, nationalistische Machtspiele und autoritäre Lösungen können die Zukunft bestimmen, dies könnte als Kitt einer multiethnischen Region für die persönliche Identität sein und verheißt niemals etwas Gutes. Die Perspektive kann nur religiöse und kulturelle Toleranz sein, um dort für dauerhaften Frieden und soziale Stabilität zu sorgen.
Ulf Brunnbauer/Klaus Buchenau: Geschichte Südosteuropas, Reclam, IBSN: 978-3-15-011154-3, 34 EURO (D)