Interview mit Ingo Friedrich: Ohne Flüchtlingskrise stände es um Europa besser

Wie steht es derzeit um Europa?

Ingo Friedrich, Quelle: Ingo Friedrich

Herr Friedrich, Sie sind Europäer aus Leidenschaft. Wie steht es derzeit um Europa?

Ohne die aktuelle Flüchtlingskrise könnte sicher alles besser sein! Aber auch dieses Mal wird sich ein weiteres Mal zeigen: nach Bewältigung dieser neuen Krise wird die EU wiederum gestärkt hervorgehen weil z.B. der Schutz der Aussengrenzen endlich in Angriff genommen wird.

Spaltet die Flüchtlingspolitik letztendlich den europäischen Kontinent?

In einer so großen Europäischen Union mit fast 500 Mio Einwohnern wird es immer regional unterschiedliche Interessen geben: zwischen Nord und Süd, zwischen Ost und West oder zwischen der Mitte und den Rändern oder zwischen wohlhabenden und schwächeren Regionen. Hier müssen stets und immer Kompromisse und Ausgleichsmassnahmen gefunden werden. Das ist eine Daueraufgabe aller Staaten bzw. staatsähnlicher Organisationen.

Nicht nur in Osteuropa ist ein Rechtsdrive im politischen Diskurs zu vernehmen, sondern auch in Italien regiert eine rechtskonservative Regierung. Der italienische Innenminster Matteo Salvini plädiert nicht nur für einen schärferen Asylkurs, er fordert auch Grenzkontrollen zu Österreich. Steht damit die große Idee von Schengen auf dem Spiel?

Das Prinzip Schengen mit innereuropäisch offenen Grenzen für Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital steht nicht zur Disposition. Aber die Haltung vieler Bürger, ihre Interessen nur noch über rechtspopulistische „Kanäle“ vertreten zu lassen muss nachhaltig analysiert werden:
Besteht die Möglichkeit eine „bessere“Politik für die Bürger zu machen, dann muss sie auch gemacht werden. Sind aber die Voraussetzungen dergestalt, dass auf Grund objektiver Fakten keine bessere Politik gestaltet werden kann, dann muss das den Bürgern auch so erklärt werden. In Deutschland darf z.B. gefragt werden in welchem Land der Welt eine insgesamt noch bessere Politik umgesetzt wurde. Wenn dann nur ein oder zwei Länder genannt werden können, dann ist das doch ein interessanter Hinweis darauf, dass wir offenbar an eine gewisse Obergrenze angelangt sind. Ein sorgenfreies Leben in dieser real existierenden Welt wird uns wahrscheinlich noch lange versperrt bleiben.

Wie beurteilen Sie die Ergebnisse des letzten Gipfel es europäischen Rates. Bundeskanzlerin Angela Merkel? Die Kanzlerin hat auf dem EU-Gipfel ein Paket gegen illegale Migration durchgesetzt.

Die Kanzlerin hat mehr erreicht als alle Beobachter erwartet haben. Mit diesen Beschlüssen kann nun gearbeitet werden und natürlich steckt auch dieses Mal der Teufel im Detail.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron braucht eine starke Kanzlerin für seinen Plan zum Umbau der EU. Was bedeutet es, wenn Macron der CSU misstraut?

Wir alle profitieren davon wenn Frankreich und Deutschland gut zusammen arbeiten! Wenn Macron sieht, dass auch in Deutschland schwierige Fragen nur mit komplizierten Kompromissen gelöst werden können wird er sich gezwungen sehen auf diese Situation Rücksicht zu nehmen.

Fragen Dr. Dr. Stefan Groß

 

Über Ingo Friedrich 62 Artikel
Dr. Ingo Friedrich war von 1979-2009 Abgeordneter des Europäischen Parlaments, von 1992 bis 1999 Vorsitzender der CSU-Europagruppe im Europäischen Parlament. Er war Schatzmeister der Europäischen Volkspartei (EVP) und Präsident der Europäischen Bewegung Bayern. Seit 2009 ist er Präsident des Europäischen Wirtschaftssenats. Von 1999-2007 war Friedrich einer der 14 gewählten Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments. 2004 erhielt er das Große Bundesverdienstkreuz. Friedrich ist Ehrenmitglied des Europäischen Parlaments und war Präsident der Wilhelm Löhe Hochschule.