Vor der Deutschen Islamkonferenz hat Bundesinnenminister Friedrich seine Aussage zur kulturellen Ausgrenzung des Islams im ARD-Morgenmagazin vom 29.3.2011 bekräftigt. Friedrich verweist darauf, dass diejenigen Muslime, welche in Deutschland leben zu dieser Gesellschaft zwar gehören, jedoch nicht Teil der kulturellen Identität des Landes seien.
Für Friedrich scheint sich die Identität dieses Landes auf Grundlage folgender Fragen zu erschließen: „Wo kommen die Deutschen her? Wo kommt die Kultur dieses Landes her? Was hat unsere Wertemaßstäbe geprägt?“ Für Friedrich ergibt sich daraus eine „klare“ Antwort, nämlich die christlich-abendländische Kultur.
Bei der Frage, was eigentlich unter dem Kulturbegriff zu verstehen ist, trifft man auf eine Vielzahl von Definitionen. Für Cohen ist Kultur eine symbolische Formation wie beispielsweise Rituale, Slogans, Ideologien und Mythologien. Diese symbolischen Formationen werden von den Mitgliedern einer Gruppe verinnerlicht. Symbole können durch subjektive Erfahrungen Einzelner neu entstehen und erhalten eine objektive Existenz mit eigener Realität, wenn sie innerhalb der Gruppe auf Akzeptanz stoßen. Die Symbole werden schließlich verpflichtend für die Gruppenmitglieder und üben auf sie einen gewissen Zwang aus.[1] Symbole verbinden die individuelle Identität mit der kollektiven Identität der Gruppe.[2] Sie können Ideologien wahrnehmbar und unterscheidbar machen.[3] Wesentlich an dieser Darstellung von Kultur ist die dynamische Prozesshaftigkeit und Wandelbarkeit die diesem Identifikationsphänomen obliegt.
Gabbert versteht unter Kultur bewusste und/oder unbewusste Verhaltensvorschriften, die nicht genetisch Vorbestimmt sind. Materielle Kulturelemente manifestieren diese Regeln. Für Gabbert ist Kultur ein „ethischer Begriff, d.h. er benennt eine aus der Beobachtung des Verhaltens von Individuen abstrahierte Regelhaftigkeit“.[4] Das Kulturverständnis obliegt einer individuellen Auffassungs- und Interpretationsgabe.
Friedrichs objektivistische Einschätzung hinsichtlich des Kulturbegriffs blendet derartige Transformationsprozesse und beidseitige Akkommodationsprozesse bei der „Kulturkonstruktion“ aus.
Als Beispiel für die Veränderbarkeit und Konstruktion von Kultur sei hier kurz auf Arana und die kulturnationale Erweckungsbewegung im Baskenland Ende des 19. Jahrhunderts verwiesen. Unter Arana werden zu dieser Zeit aktiv einheitsstiftende Symbole geschaffen. Eine eigene Hymne, Flagge und die Bezeichnung Euskadi für Baskenland entstehen. Heute sind jene Symboliken fester Bestandteil der baskischen Kulturszene.
Es scheint schwer vorstellbar, dass vier Millionen Muslime – immerhin etwa ein zwanzigstel der Gesamtgesellschaft in Deutschland – zwar Teil der deutschen Gesellschaft sind, jedoch nicht zur deutschen Kultur gehören.
Auf Grundlage eines konstruktivistisch veränderbaren Kulturverständnisses kann man davon ausgehen, dass Muslime und der Islam bereits Teil einer gemeinsamen deutschen Kultur geworden sind. Friedrich fördert durch derartige Aussagen hingegen eine kulturelle und gesellschaftliche Segregation.
[1] Cohen, Abner (Hrsg.) (1974): Introduction: The Lesson of Ethnicity. In: Urban Ethnicity: Tavistock Publications: London: S. 9-24.
[2] Smith, Anthony D. (1991: 162) National Identity: Penguin Books: London.
[3] Smith, Anthony D. (1991: 77): National Identity: Penguin Books: London.
[4] Gabbert, Wolfgang (1991: 33): Creoles – Afroamerikaner im karibischen Tiefland von Nicaragua: Lit: Münster.
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