„Schöner als jeder Schönheitsgedanke in Marmor ausgedrückt“ ereiferte sich der deutsche Gelehrte Johann Joachim Winckelmann (1717 – 1768) beim Anblick des Kopfes eines jungen Pan mit zwei kleinen Hörnern in der Werkstatt seines Freundes Bartolomeo Caveceppi. Das war 1763 in Rom. Fünf Jahre später war der von der Plastik hingerissene Winckelmann tot. Brutal und hinterhältig in Triest ermordet von einem Koch und Gelegenheitsdieb, dem es um ein paar kostbare Medaillen ging, die Winckelmann für seine wissenschaftlichen Verdienste von Kaiserin Maria Theresia bekommen hatte.
Dass wir nun in der aus Anlass von Winckelmanns 250. Todesjahr von Direktor Florian S. Knauß in den Staatlichen Antikensammlungen kuratierten Sonderausstellung „Tod in Triest“ besagten Pan-Kopf, bekannt geworden als „Winckelmanns Faun“, neben vielen weiteren Exponaten bewundern können, ist zuerst dem Kardinal Alessandro Albani zu danken, dem Winckelmann in Rom als Bibliothekar diente. 1798 wurde das antike Stück aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. erst mal nach Paris verschleppt, bis es der bayerische Kronprinz Ludwig, später König Ludwig I., 1815 für seine Münchner Glyptothek erwarb. „Es ist mein Ganymed, den ich ohne Ärgernis in Gegenwart aller Heiligen küssen kann“, schwärmte Winckelmann von dem Faun. Das ist schriftlich belegt. Der Brief an L. F. W. Schlabbendorf vom 19. 10. 1765 enthält wörtlich einen der zahlreichen Beweise dafür, dass der männerliebende Winckelmann seinen Zeitgenossen – laut Knauß – „einen neuen Zugang zur Antike durch seine auf eigener Anschauung beruhenden, sinnlich erfahrbarbaren sowie mit einem erotischen Blick unterlegten Kunstbeschreibungen“ eröffnete.
Und Winckelmann ist – insbesondere für die Kunststadt München – von enormer Bedeutung. Das stellt nicht nur Knauß fest, sondern auch der zur Eröffnung geladene Klassizismus-Fan aus Stendal, Winckelmanns Geburtsort, Sven Kielgas in seiner Eigenschaft als Gründer der Privatsammlung „Arcadia ca. 1800“. Sie trägt wesentlich zur glanzvollen, klassizistisch ausgerichteten Bestückung der Schau bei, um die „Lichtgestalt der Aufklärung des 18. Jahrhunderts“, wie Kielgas Winckelmann bezeichnete, zu würdigen. Er wie die von nicht weniger als vier Nationen vereinnahmte Künstlerin Angelika Kauffmann (1741 – 1807) seien beide Außenseiter gewesen. Die verdammt gute Kauffmann war von Winckelmann fasziniert – ihr berühmtes Porträt von ihm war für sie ein „Karriere-Booster“.
Nicht um eine lückenlose Vita des großen Antiken-Erneuerers geht es in der Schau, sondern um dessen superbe Rolle als europaweit gefeierter Antiken-Anwalt und Begründer der modernen Archäologie und Kunstwissenschaft. Angelika Kauffmanns feine Mythologie-Studien, dazu ausgewähltes Interieur und frühklassizistisches Kunstgewerbe umspielen in ihrer zarten Farbigkeit mit den durchwegs heiter gestimmten Sujets die rein weißen, kühlen Marmorskulpturen, die Winckelmann auf unterschiedliche Weise tangieren. Als epochale Leihgabe der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen ist Angelika Kauffmanns goldgerahmtes Öl-Bildnis von Ludwig I. von Bayern als Kronprinz (1807) zu bestaunen, das bislang im Depot der Neuen Pinakothek schlummerte.
Die Ausstellung „Tod in Triest. Auf den Spuren von Johann Joachim Winckelmann“ zeigen die Antikensammlungen auf dem Münchner Königsplatz (direkt gegenüber der Glyptothek) täglich außer Montag von 10 bis 17, Mittwoch bis 20 Uhr. Letzter Ausstellungstag: 9. Dezember.
Foto (Hans Gärtner)
Ein vielgestaltiger Lobgesang auf die Antike in kühlem Marmorweiß. Und J. J. Winckelmann (1717 – 1768; rechts außen) schaut nicht mal genau hin.
Das könnte Sie auch interessieren
Juni-Auktionen bei Ketterer Kunst: Von der Klassischen Moderne bis heute
Der Begründer der Kunstgeschichte feiert 300. Geburtstag. Das Genie Johann Joachim Winckelmann