Im „Zauberberg“ von Thomas Mann trifft In der abgeschlossenen Welt eines Sanatoriums im Davoser Hochgebirge der junge Hans Castorp auf weltentrückte Figuren, die ihn mit Politik, Philosophie, aber auch Liebe, Krankheit und Tod konfrontieren. Der weltbekannte Roman hat schon viele Interpretationsversuche erlebt, die zum Teil von gegensätzlichen Prämissen ausgingen und verschiedene Deutungsansätze offenbarten.
In dieser Interpretation von Andras Kablitz arbeitet der Autor Thomas Manns analytisches Erzählen, also eine rationale Analyse des Dargestellten heraus. Stützend auf die These, dass das Verhältnis von Rationalität zu Tod und Leben eines der wichtigsten Themen des „Zauberbergs“ darstellen, möchte er „die Strukturen des Erzählens und die Strukturen der erzählten Welt in Beziehung zueinander“ setzen. Im Laufe der Analyse Kablitz‘ stellt er die „Kategorien, die die im Zauberberg erzählte Geschichte strukturieren, in beträchtlichem Maße zugleich das Erzählte selbst organisieren – wie auch das Umgekehrte gilt“, dar. (S. 13f)
Im ersten großen Abschnitt beschäftigt sich Kablitz mit der Poetik des „Zauberbergs“, geht auf die Dialektik des Einzelnen und das Allgemeine ein und definiert den Begriff des analytischen Erzählens und grenzt ihn vom metapoetischen und autoreferentiellen Erzählen ab. Dann folgen Erörterungen über die Ordnungen der Rede an verschiedenen Stellen des Romans, eine Konversationsanalyse und der Zusammenhang zwischen Worten und den Sinnen. Dies wird fortgesetzt im nächsten Abschnitt, wo die Ordnungen der Dinge im Mittelpunkt stehen: Dabei werden Kultur und Natur, zwei Bildnisse sowie die Musik in den Mittelpunkt gerückt. In diesen Erörterungen weist Kablitz nach, das die Struktur des Erzählens mimetische Qualität besitzt und gleichzeitig als analytisches Instrument im Umgang mit der historischen Wirklichkeit benutzt wird. Damit reflektiert Mann „Grundprobleme der Moderne, ihres Denkens wie ihrer Selbstdeutung“. (S. 14)
Kablitz bilanziert: „Hier wird die Rationalisierung der Welt selbst zum Gegenstand jener kritischen Reflektion, die dem Rationalismus der Aufklärung von Anfang an ihren Impuls verlieh. Und so gerät im Zauberberg auch der in diesem Programm wurzelnde literarische Realismus zum Gegenstand seiner eigenen Kritik. In dem von uns in diesem Buch verfolgten analytischen Erzählens von Thomas Mann findet eine solche Selbstkritik des Realismus ihre narrative Form.“ (S. 570)
Dieser Interpretationsversuch des „Zauberberges“ von Thomas Mann rückt die Perspektive des analytischen Erzählens und dessen Funktion in den Mittelpunkt. Es schafft eine neue, bislang wenig ausgelotete neue Perspektive, die an vielen Stellen im Roman selbst diskutiert und ausgeführt wird. Eine sehr interessante Zugangsweise zu einem der umstrittensten deutschen Romane des 20. Jahrhunderts, was die Deutungshoheit angeht.
Andreas Kablitz: Der Zauberberg. Die Zergliederung der Welt, Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2017, ISBN: 978-3-8253-6804-5, 68 EURO (D)