DER UNTERSCHIED ZWISCHEN GOLDENER REGEL UND KATEGORISCHEM IMPERATIV IN 2 MINUTEN ERKLÄRT

Was versteht man unter einem kategorischen Imperativ?

Eier, Foto: Stefan Groß

Beispiel 1: A ist dabei, B zu vergewaltigen. C kommt hinzu, sieht das und hat die Möglichkeit, den Fortgang der Tat zu verhindern. Dazu muss er aber A Gewalt antun und ihn nicht unerheblich verletzen. Was soll C tun? Was ist moralisch das Richtige?

Goldene Regel: „Was du nicht willst, dass man dir tut, das füge auch keinem anderen zu.“ –> Ergo C darf A keine Gewalt antun, um ihn zu stoppen, denn er will ja auch nicht, dass ihm Gewalt angetan wird. Wenn A sich ohne Gewalt nicht stoppen lässt, hat C keine Möglichkeit, die Vergewaltigung (oder andere Gewalttaten) zu unterbinden.

Kategorischer Imperativ: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ –> Welche Handlungsmaxime könnte C haben?

a) Angenommen C hat die Maxime: „Wende nie Gewalt gegenüber anderen Menschen an.“ Frage: Kann er wollen, dass diese Maxime ein allgemeines Gesetz werde, dass alle Menschen sich in solchen Situationen immer so verhalten, also keine Gewalt anwenden, die Gewalt also nicht mit Gewalt stoppen, wenn es anders nicht geht? Was, wenn er am nächsten Tag überfallen und vergewaltigt wird? Kann er dann wollen, dass D, der hinzu kommt und das sieht, ihm nicht hilft? Können wir in so einer Welt leben wollen, in der Menschen sich, weil sie sich dem Pazifizismus veschworen haben, nicht gegenseitig helfen, wenn einem Gewalt angetan wird? Wohl kaum.

b) Angenommen C hat die Maxime: Wenn A B Gewalt antut und ich kann das verhindern, dann werde ich das immer tun – wenn es nicht anders geht, auch mit Gewalt gegenüber A. Ist das verallgemeinerbar? Kann C wollen, dass alle diese Maxime haben und sie immer befolgen? Warum nicht? Natürlich kann er das wollen. Wie sähe unsere Welt aus, würden sich alle immer an diese Maxime halten? Die Gewalttäter hätten einen schweren Stand. Sie müssten ständig damit rechnen, dass andere sich einmischen, wenn sie selbst Gewalt ausüben. Vor allem aber, B und allen anderen Opfern würde geholfen.

c) Was aber, wenn C selbst gerne mal jemanden vergewaltigen würde? Kann er dann wollen, dass andere ihn mit Gewalt stoppen? Das wahrscheinlich nicht. Nur, seine Maxime muss ja verallgemeinerbar sein. Und er weiß ja nicht, ob morgen er selbst jemanden vergewaltigen will oder selbst vergewaltigt wird. Wenn C sagt: „Ich will nicht, dass sich andere einmischen, wenn A B ,vergewaltigt“, dann gilt das ja nicht nur, wenn er selbst A ist, sondern auch, wenn er B ist. Kann er das wollen?

Beispiel 2: A lebt in einem ehemals freien Staat, der aber allmählich in einen totalitären abzugleiten droht. A macht auf diese Gefahr öffentlich aufmerksam, wird dann aber von just denen, die den Staat in einen totalitären umwandeln wollen, aus dem Verkehr gezogen, seine Beiträge gelöscht und er gesperrt. Frage: Soll B, der das alles beobachtet hat, dies nun seinerseits öffentlich machen? Was ist hier moralisch richtig?

Goldene Regel: „Was du nicht willst, dass man dir tut, das füge auch keinem anderen zu.“ –> Das hilft hier offensichtlich nicht weiter. B fügt ja gar niemand etwas zu, wenn er etwas veröffentlicht.

Kategorischer Imperativ: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ –> Was könnte hier die Handlungsmaxime von B sein?

Die Maxime könnte z.B. sein: Wenn jemand, A, unterdrückt wird in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung und du die Möglichkeit hast, das zu verbreiten, was A sagen wollte, so tue das, damit die Information nicht unterdrückt wird. Ist das verallgemeinerbar? Kann B wollen, dass alle sich immer an diese Maxime halten? Ja natürlich kann er das wollen. Denn morgen schon könnte ja er zu den Unterdrückten gehören und wäre froh, wenn dann andere ebenso verfahren.

Fazit: Die goldene Regel und der kategorische Imperativ sind beides moralische Metaregeln, die nicht ganz konkret ein Handeln auszeichnen oder verbieten, wie z.B. „Du sollst nicht stehlen/lügen“, sondern abstrakte Regeln formulieren, aus denen dann konkrete Regeln abgeleitet werden können. Die goldene Regel kommt hierbei aber teilweise zu falschen Ergebnissen, siehe Bsp. 1 und manchmal zu gar keinen, s. Bsp. 2.

Der Vorteil der goldene Regel ist der, dass sie sehr leicht zu verstehen ist. Das kann man schon Kindern beibringen. Die verstehen das recht schnell. Als Einstieg in moralisches Denken ist sie sehr gut geeignet. Der kategorische Imperativ ist sehr viel anspruchsvoller und sehr viel umfassender. Auch liefert er (fast) nie falsche Ergebnisse. Das pazifistische Denken dürfte wohl oft auf der goldenen Regel, also wenn man so will, auf einer Kindermoral gründen.