Verbalradikalismus ist niemals harmlos. Anlehnungen an Bezeichnungen aus dem völkischen Sprachinventar der „NS-Leistungsgemeinschaft“ verfügen heute immer noch über erhebliche Sprengkraft, da sie den demokratischen Diskurs untergraben.
In den deutschen Medien wird die Erklärung 2018 großteils totgeschwiegen. Das erinnert an ein altes sozialdemokratisches Credo, den sogenannten Rechten kein Forum zu geben; um nicht rechte Hassrede oder neonazistisches Vokabular auf die Ebene des demokratischen Diskurses zu heben. Diese Haltung gegen rechts bezog sich immer auf den rechtsextremen Rand, auf jene, die mit einem oder mit beiden Beinen außerhalb des Verfassungsbogens stehen. Doch die Erklärung 2018, ihre Proponenten und Unterzeichner stehen nicht außerhalb, sondern innerhalb des Verfassungsrahmens. Und müssten nicht alle Unterzeichner mit Klarnamen elektronisch firmieren, Deutschland würde sich wundern, wie hoch die Zahl an Sympathisanten wäre.
Dies totzuschweigen ist ein schwerwiegendes Versäumnis weiter Teile der deutschen Medienlandschaft. Die Zahl von weit über 150.000 Menschen, die bereits mit Namen, Titeln und Funktionen unterzeichneten, deutet auf ein Vielfaches an ähnlich Denkenden hin, das ist keine quantité négligeable mehr. Zu schweigen, wo Gegenrede Pflichtsache wäre, wurde bereits von Papst Bonifatius VIII. in dessen kanonischer Rechtssammlung Liber Sextus im Jahre 1298 angeprangert. Schweigen besitzt immer Erklärungswert, sofern es keine bloße Pause im Redefluss, sondern das Schweigen im entscheidenden Moment ist, wie etwa angesichts einer sich abzeichnenden Tendenz.
Sanfter Verbalradikalismus der Patrioten
Die Erklärung 2018 ist ein Musterbeispiel für sanften Verbalradikalismus: „Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.“ Noch vor wenigen Jahren wäre dieser Satz der Petition völlig wirkungslos verpufft. Kaum jemanden hätte diese Formulierung gestört, sie hätte in ihrer textlichen Banalität keine Gemüter erhitzt, wäre sprachlich verdorrt wie der tautologische Satz „A ist A“. Doch in den heutigen Kontext gestellt, werden vermeintlich untadelige, Rechtschaffenheit und Rechtsstaatlichkeit insinuierende Worte zu veritablen Brand- und Spreng-Sätzen.
Wesentliche Voraussetzung für die Hasssprache des sanften Wortes ist die Intention, das Sprachgift hinter der fürsorglichen Formulierung. Die vergiftete Praline zeichnet sich gerade nicht dadurch aus, dass sie einen unübersehbaren Bitterton aufweist, sondern, dass sie zunächst unvermindert wohlschmeckend ist. Den Formulierungen vergifteter Sprache kann bei oberflächlicher Betrachtung leicht zugestimmt werden, ohne sich schuldig zu fühlen. Liest man jedoch deren Subtext und blickt hinter das Framing und die Metaphern, finden sich jene verbalen Arsendosen die ihre kumulative tödliche Wirkung nicht verfehlen.
Verbalradikalismus ist ein sprachliches Phänomen, das nicht erst mit dem gesprochenen Text beginnt, sondern bereits mit der Vorhabe, eine sprachliche Übertretung begehen zu wollen. Bereits bevor die Sprache umschlägt und in veränderter Wort- und Satzsemantik sichtbar wird und noch bevor pejorative Sprechakte ihre performative Wirkung entfalten, ist Verbalradikalismus bereits hinsichtlich seiner Stoßrichtung festgelegt. Den hermeneutischen Grundsätzen folgend, gründet die verbale Übertretungshandlung auf einer Vorhabe, einer Vorsicht und dem Wollen des Sprechenden.
Lehren aus der historischen Sprachkatastrophe
Zwischen 1933 und 1945 fand die bislang größte Sprachkatastrophe der menschlichen Kulturgeschichte statt. Die Sprache des Deutschen Idealismus geriet in den Würgegriff der NS-Propaganda, wurde deformiert, verzerrt und versank im Schlund ihrer Selbstvergiftung. Perfide und in ihrer vermeintlichen Sanftheit schreckliche Umcodierungen im Stil von „Arbeit macht frei“ stießen das deutsche Wortgut in seinen eigenen Sprachabgrund.
Die Restbestände jener verschmutzten Diktion sind immer noch vorhanden, wie zerplatzende Blasen auf der Oberfläche eines giftigen Sprachsumpfes. In zahlreichen verbalen Verkleidungen und rhetorischen Abmilderungen beginnen radikale Diskurse heute wieder Fahrt aufzunehmen.
Mit dem Völkischen und seine Assoziationsketten, von Umvolkung bis Überfremdung, werden auch gegenwärtig nach wie vor sprachliche Brand-Sätze gebaut. Gemäßigt, ohne Codes zu diskutieren, und auch nicht wie der große transatlantische Entwerter sprachlich um sich zu schießen, wäre ein zivilisatorischer Fortschritt.
Die Glaubenswut der Fanatiker
Nur weil Teile der Bevölkerung sich zurzeit als Aufstand der Klugen bezeichnen, heißt das nicht, dass diese politisch richtig liegen. Selbstbeschreibungen dieser Art haben in ihrem Kern bereits die Exklusion festgeschrieben. Vielleicht bildet gerade die große Mehrheit der Nichtunterzeichner die soziale Schicht der eigentlich Klugen ab, welche durch das Nicht-Unterzeichnen ihre Differenziertheit und Affektkontrolle zum Ausdruck bringen.
Minderheiten, auch fehlgeleitete Minoritäten auf sogenannten Patriotenmärschen wie unlängst zu Hambach, dürfen lauter rufen als die Mehrheit, damit sie gehört werden. Das gehört zum Regelwerk demokratischen Miteinanders, ebenso wie das Demonstrations- und Petitionsrecht, als Recht gehört und angehört zu werden. Aus dem Recht auf Anhörung jedoch jenes auf Durchsetzung ableiten zu wollen, ist wie ein unzulässiger Schluss von der Seins- auf die Sollensebene.
Es ist die Glaubenswut des Fanatikers, die diesen vermeinen lässt, er sei im Vollbesitz der Wahrheit und des Rechts. Zu meinen „für das Volk“ sprechen zu dürfen, ist und bleibt ein unzulässiger syntaktischer Wechsel der Person des Sprechenden, eine abzulehnende Anmaßung, die in Vereinnahmungsabsicht häufig populistische Anwendung findet.
Verbalradikale rhetorische Finten
Neben dem manifesten hat auch der leise, perfide Verbalradikalismus mittlerweile eine kontinuierlich wachsende Klientel an Sprachtätern gefunden. Sie sind nicht mehr die brüllenden Gleichgeschalteten von damals, sondern viele Nicht-Exponierte, bagatellisierende Gleichgültige und erfolgreiche Angepasste, die es kulturell mühelos über sich bringen, auf Sprachethik verzichten zu können. Aus der Perspektive einer inklusiven politischen Sprache kommt für die Erklärung 2018 vermutlich jegliche Hilfe zu spät. Der verbale Bodensatz der Geschichte bleibt lesbar und sichtbar, wie Depot in altem Wein.
Der selten zu Metaphern neigende Ludwig Wittgenstein deutete bereits 1940 an, wie eine Reinigung der verschmutzten Sprache funktionieren könnte: „Man muß manchmal einen Ausdruck aus der Sprache herausziehen, ihn zum Reinigen geben, – und kann ihn dann wieder in den Verkehr einführen.“ Eine gründliche sprachliche Reinigung dauert vermutlich Jahrzehnte, acht davon sind bereits vergangen.
Entgegen einiger hochrangiger Ankündigungen wäre Deutschland und insbesondere Bayern gut beraten, sich das derzeitige Österreich nicht zum politischen Vorbild zu nehmen. Denn der Weg vom Vorbild zum Abbild und von diesem zum politischen Zerrbild führt oftmals in Sackgassen und diese sind naturgemäß häufig kurz.