Tatendrang und Totentanz an der Bayerischen Staatsoper (BSO)

Antú Romero Nunes, dreimal anlaesslich seiner Muenchner Tell-Inszenierung 2014 fotografiert von Hans Gaertner

Ein in München schneidend kalter Märzen-Sonntag ließ ins aufwärmende Nationaltheater flüchten. Der Vormittag gehörte, bei vollem Haus und Gratis-Tickets, der Vorschau auf die Saison 2018/19. Mit Staatsintendant Nikolaus Bachler, GMD Kirill Petrenko und Ballettdirektor Igor Zelensky. Was die drei erfolgreichen BSO-Macher von Arbeitslust und Tatendrang verkündeten – bunte Trailers und heiße Liebeserklärungen inklusive – an Beethovens Neunte samt Missa Solemnis und die neue „Salome“ Marlies Petersen (Petrenko), ans Staatsopern-Traumpaar Anja Harteros/Jonas Kaufmann (Bachler) und an Wayne McGregor (Zelensky) –, wurde mit Applaus honoriert, auch wenn nur dünne Überraschungs-Eier kurz vor Ostern zu finden waren. Immerhin gibt`s 2018/19 sieben Premieren (von Verdis „Otello“ mit Harteros/Kaufmann über Kreneks „Karl V.“ mit Bo Skovhus bis zu Händels „Agrippina“ mit Franco Fagioli). Große Stimmen (von Anna Netrebko mit russischen Liedern über Sonya Yoncheva bis Joseph Calleja), neue Dirigenten (Erik Nielsen, James Gaffigan, Antonello Manacorda), bewährte Regisseure: Amélie Niemeyer, David Bösch, Carlus Padrissa, Andreas Dresen, Krzysztof Warlikowsky, nicht zuletzt Barrie Kosky, der leider nicht Bachler als BSO-Intendant nachfolgt, wie es sich zunächst anhörte.

Dass Omer Meir Wellber (Jg. 1981), israelisches Musik-Supertalent und Antú Romero Nunes (Jg. 1983), Top-Ass als Schauspielleiter mit Operninszenierungs-Erfahrung, auf der BSO-Neuproduktions-Liste fehlen, stimmt nachdenklich. Beide standen für die jüngste BSO-Premiere am Pult: Giuseppe Verdis „Les Vepres siciliennes“ in der französischen Urfassung. Darin drängt sich, 1855 für Paris geschrieben, die Politik so stark ins Persönliche wie selten in einer Oper. Es geht um die Franzosen-Besatzung des Ätna-Eilands im 13. Jh., um Rebellion der Insulaner gegen die gewalttätige Übermacht aus dem Norden, um Vater-Sohn- und Gattentreue-Probleme, um Hochzeits-Rituale mit geduldeten Schändungen, gottlob auch um eine – freilich gestörte, zerrissene – Liebesromanze. Die Story hat Verdi schon nicht so recht gefallen, wenngleich zu einem musikalischen Fest-Schmaus angeregt, was kaum zu glauben ist. In München hat man der Verdi-selig musizierten „Sizilianischen Vesper“ eine fünfminütige Techno-Fete mit Tanz-Verzückung der eigenwilligsten Art donnernd und polternd implantiert, vom höchst affizierten, gern beinhart dreinschlagenden Dirigenten mitgetragen, vom Publikum aber – wie der ganze verworren-düstere, von schwarzen Plastik-Planen mal „verhängte“, mal durchwehte Abend – nicht einstimmig goutiert. Lag es an dem maskenhaft/massenhaft wüsten Totentanztreiben der Chöre und Ballette? An den angemalten oder aufgesetzten Totenschädeln und ihrer Steigerung ins Groteske? Oder an sich beim besten Willen nicht erschließbaren Figuren wie etwa der in einen Aquarium-Schrank eingesperrten heiligen Maria. Die hl. Jungfrau sollte die vom despotischen Gouverneur Montfort (grandios verkörpert von George Petean) geschwängerte Sizilianerin repräsentieren, die als Mutter des in die Arme der Herzogin (beachtlich: Rachel Willis-Sorensen) getriebenen Henri (zu Recht gefeiert: Leonardo Caimi) in Frage kam. Ärgerlich, weil eitel und schon seines juwelenschweren Gewandes wegen ungebührlich aufgewertet: der Procida des Masku-Protzes Erwin Schrott, der erstmals am Haus eine Premiere singen durfte.

Den Weltstar auch über 2017/18 ans Nationaltheater zu binden, scheint misslungen: kein Don Giovanni, kein Rigoletto, kein Renato mit Schrott, nur ein Liederabend. Der aber wird von Fans schon heute mit Spannung erwartet. Save the date: 8. Juli 2019, Nationaltheater.

Foto (Hans Gärtner)

Jung-Regisseur Antù Romero Nunes in Dreier-Serie bei seinem BSO-Debüt 2014 mit „Guillaume Tell“

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.