Der PISA Schock

Fire Alarm, Foto: Stefan Groß

PISA Schock

Anfang des Jahrtausends kam es zum sogenannten PISA-Schock. Deutschland als Land der Dichter und Denker nur Mittelmaß? Wer sollte zukünftig die Erfindungen garantieren, wenn die Generation der Teenager nur noch hinterherrudert. Finnland sah man nur von hinten in jener Erhebung, wobei das Land im Norden Europas lediglich Platz 5 belegt hatte.

Die ersten vier Positionen waren reserviert für Shanghai, Japan, Südkorea, Singapur. Bis heute hat sich daran wenig geändert. Bei der Weltrangliste der besten Universitäten sieht es nicht anders aus: unter die ersten 50 haben es nur die Heidelberger Uni und die LMU sowie die TU München geschafft. Was an dieser Erhebung auffällt, ist, dass die ersten 15 Plätze ausschließlich für US-amerikanische und britische Hochschulen reserviert sind und die chinesischen Universitäten jedes Jahr vorrücken und die deutschen bereits überholten.

2007 ging der letzte Wissenschaftsnobelpreis nach Deutschland, das ist 11 Jahre her.

Qualität kommt von Qual

Als ich vor knapp vierzig Jahren zur Welt kam, war China auf dem Niveau der meisten Länder Afrikas und Arabiens. Ebenso sah es mit Südkorea im Jahr 1955 aus. Scheinbar aus dem Nichts kamen diese Länder nach vorn. Entwicklungshilfe war nicht der Grund des Aufstiegs, sondern der intrinsische Wille der dort Lebenden.

2006 übernahm ich drei Patenschaften bei World Vision von gleichaltrigen Kindern: eines in Kambodscha, eines in Südamerika und ein drittes in Malawi. Mit den Jahren wurde klar, dass das Mädchen aus Südostasien die klarsten Perspektiven hatte: sie wollte Englischlehrerin werden. Ihr traue ich es zu. Sie ist mit Sicherheit die Ehrgeizigste.

Alle drei Kinder bekamen den gleichen Betrag an Geld. Wie fast alle Länder Asiens geht der Weg durch eine Kultur des Ehrgeizes nach oben, wobei sie sich deutlich von afrikanischen, südamerikanischen und leider auch inzwischen fast allen europäischen Ländern unterscheiden. Die Rettung Europas scheint in den Augen vieler Linker nur noch durch Transferunion und „bedingungsloses Grundeinkommen“ gewährleistet zu sein: Geld, das scheinbar vom Himmel fällt.

Jeden mitnehmen

Nobel mag das Anliegen sein, jedes Kind mitzunehmen. Inklusion ist ein philanthropischer Ansatz, keine Frage. Der Anspruch, den unser Land stellt, ist der, überall moralischer Weltmeister zu sein. Geradezu puritanisch mutet der Eifer an, den unanständigen Gedanken zu identifizieren. Hier also etwas zum Aufregen:

2030 werden viele hochqualifizierte Babyboomer in Rente gehen, die selbst keine Kinder in die Welt gesetzt hatten. Sie zahlen zurzeit viel ein, möchten in 12 Jahren bereits eine entsprechende Pension/Rente empfangen. Auch hier fällt das Geld nicht vom Himmel, sondern wird nur durch hochproduktiven Nachwuchs gewährleistet.

Das wird allerdings nichts mit PISA-Platz 15 und Universitäten, die nicht für die Top 30 taugen. In die Champions League stoßen nicht einmal die Münchner und Berliner Unis vor. Patentlieferanten und Spitzenunternehmer werden in Berkeley, Stanford, Cambridge und an der ETH Zürich geschmiedet, inzwischen auch in Shanghai.

Mit Inklusion und einer Zuwanderung aus den abgehängten Regionen der Welt wird man nicht die Trendwende schaffen, im Gegenteil, Deutschland wird auf das Niveau Frankreichs abrutschen, vielleicht gar auf das Italiens. Die Sorbonne und die Universität Padua sind nicht mehr das Maß aller Dinge, schon seit Jahrzehnten/Jahrhunderten nicht mehr.

Hans Werner Sinn brachte einen spannenden Gedanken ins Rennen: Babyboomer, die mehrheitlich aufgrund Kinderlosigkeit zur Überalterung beigetragen haben, sollten die Folgen ihrer Zurückhaltung beim Kinderkriegen tragen und weniger Rente ausgezahlt bekommen. Geld fällt nicht vom Himmel.

Wie eine Glatzenbildung

Fachkräftemangel ist der Anfang der bildungspolitischen Tonsurbildung. Anfangs leugnet man die aufstrebende Glatze, sie kratz an Eitelkeit und Ego. Sie ist Anzeichen für Verfall. Wie kann die geölte Maschine deutsche Volkswirtschaft, die seit acht Jahren ohne Unterlass brummt, nur stocken? Wenn die Absolventen der Gymnasien nicht mehr hinreichend qualifiziert sind, fängt man erst an, das Niveau in der Ausbildung zu senken. Reicht das für den Status Fachkraft nicht aus, stellen Betriebe und Unternehmen anfangs noch die mangelhaft Qualifizierten ein, orientieren sich aber mittelfristig um.

Nach ein paar schwachen Jahrgängen fängt man an, über die Zukunft ganzer Standorte zu debattieren. In China bekommt man für weniger Geld hervorragende Absolventen, ebenso in Indien und Thailand. Inzwischen meldet man pro 100.000 Einwohner weniger Patente hierzulande an als in anderen Regionen der Welt.

Was fort ist, ist fort, sagt der Kölner. Recht hat er.

Die Schere geht auseinander

Statistiken zu lesen, ist ein bisschen wie der Rorschach Test. Dass Deutschland das Land ist, in dem die Herkunft über Bildungserfolg entscheidet, kann an zwei Dingen liegen: vielleicht sind die Lehrer Chauvinisten, die auf die Kevins in ihren Klassen herabblicken? Das deutsche Bildungssystem erzreaktionär? Jacob, Marie und Friedrich bekommen also deshalb sehr gute Noten, weil ihre Eltern Ärzte, Anwälte oder Ingenieure sind? Wohl eher nicht.

Oder: das Gegenteil. Kevin lebt mit seinen Geschwistern in dritter Generation Dauerarbeitslosigkeit. Dafür kann er nichts, man muss ihm helfen und tut schon reichlich.

In seiner Familie ist Arbeitslosigkeit normal. Anreize zur Bildung hatten weder Kevins Eltern noch Großeltern. Äußert der Kleine den Wunsch, ein Buch zu lesen oder ein Instrument zu spielen, wird er schief angesehen. Jede Regung zu Kultur und Leistung beleidigt seine Eltern, weswegen sie es nicht fördern, um sich nicht schäbig vorkommen zu müssen.

Hilfe führt nicht automatisch zur Selbständigkeit, sondern macht abhängig, wenn sie nicht irgendwann endet. Das System der Dauerpädagogik und Sozialarbeiter hat ein Interesse an Selbsterhaltung und Ausweitung. Die Schere geht auseinander – täte sie es nicht, gäbe es keine Daseinsberechtigung für Sozialarbeiter und Sonderpädagogen. So haben auch die Sozialarbeiter und Sonderpädagogen kein wirkliches Interesse, aus allen Bildungsfernen schnell Musterschüler zu machen.

Kevins Eltern leben vom Kindergeld und haben keine Lust, das Kind zu fördern. Dafür ist schließlich die Schule da. Nach jeder Studie, die die auseinandergehende Bildungsschere bestätigt, tritt niemand an die Eltern von Kevin heran, um sie zur Rede zu stellen, warum sie ihre Kinder zu gar nichts ermuntern. Die Lehrer haben keine Lust, beim Sprechtag aggressiv angepöbelt zu werden. Eltern erwarten längst eine Vollkasko-Schule zum Nulltarif. Was nichts kostet, ist aber auch nichts wert.

Kevin und Marie

Kevin hat viele Geschwister, mehr als Marie und Friedrich. Die Probleme verschärfen sich. Schließlich ist man sich sicher, dass es nicht an den Eltern von Kevin liegt, sondern an den Lehrern und Oberschichtseltern. Die wirklichen Ursachen werden nicht in Angriff genommen.

Das Leistungsniveau in China, Japan und Singapur wird angeprangert, so gibt es zur Überforderung der dortigen Schüler eine Flut von Berichten. Diese Länder investieren weniger in Sozialarbeiter. Vielmehr werden dort Eltern schief angesehen, wenn sie nicht alles für die Zukunft ihrer Kinder tun. Der Schulerfolg der Kleinen bestimmt den Status der Eltern. Das alte sozialdemokratische Sprichwort vom Kind, dem es bessergehen soll, stimmt hier noch.

Zweifelsohne hat die Zahl der Abgehängten in den letzten Jahren in Deutschland deutlich zugenommen. Man kann auch von den Eltern von Marie und Friedrich kaum verlangen, dass ihre Kinder unter ihren Möglichkeiten bleiben. Warum sollten sie nicht auf eine Privatschule gehen, wenn das Niveau auf den staatlichen Schulen sinkt, weil der Langsamste das Tempo bestimmt? Sollen sie den wissbegierigen Kleinen Fragen nicht beantworten, damit dies keine Vorteile bringt gegenüber anderen Kindern, deren Eltern zu faul sind, Erziehungsarbeit zu leisten?

In China weiß man, dass ein Weltklasse-Ingenieur so viel einbringt wie 350 durchschnittliche – hier der Vergleich zur Fußball-Champions League: Ronaldo verdient das 350fache eines Drittliga-Spielers. Der Prestigegewinn der Eltern ist bei gut ausgebildeten Kindern groß, weil diese die Gesellschaft stützen werden und nicht belasten. So knallhart funktioniert das Ganze.

Ohne die Starken wird der Schwache keine Grundsicherung kassieren – besonders unter den verschärften Bedingungen des Jahres 2030 bei alternden Babyboomern in Deutschland.

Chinas und Deutschland demographische Probleme sind ähnlich. Die Antwort im Land der Mitte: die Jugend muss hochproduktiv werden, sonst kippt mit der Alterspyramide der Wohlstand.

Mich beängstigt ein wenig die Debatte, die Richard Precht und Bildungsforscher Hüther führten: man müsse inkludieren – also Kevin und Marie möglichst lange zusammen unterrichten, um die Gesellschaft zusammenzuhalten.

Der Preis sei halt, dass Marie aufgrund weiteren Niveau-Verfalls nicht mehr nach Cambridge gehen könne, aber was soll´s?! Naja, ohne Elite keine sprudelnden Steuereinnahmen und kein Hartz IV für Kevin, kein Wohlstand im Jahr 2035 mehr.

Gut, dass Marie zu schlecht für Cambridge und Berkeley ist: sie könnte ja glatt auf die Idee kommen, dort zu bleiben.

 

 

 

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