2018 ist ein Schicksalsjahr für Russland und damit für Europa

Kerze, Foto: Stefan Groß

2018 ist ein Schicksalsjahr für Russland und damit für Europa. Am 18. März findet die erste Wahlrunde um die Präsidentschaft statt. Kaum ein Beobachter zweifelt, dass Amtsinhaber Wladimir Putin siegen wird – zum vierten Mal. Dennoch wollen drei junge Frauen und fünf Männer den Dauerherrscher aus dem Kreml mindestens in die Stichwahl am 8. April zwingen – wer sind diese Kandidaten? 

Besser hätte es für Wladimir Putin (65) nicht kommen können. Die Wiederwahlkampagne des Präsidenten von Russland hatte noch nicht begonnen, da lieferte ihm das Internationale Olympische Komitee (IOC) schon ein wohlfeiles Thema für die eigene Promotion. Gemeint ist das Verbot für das Kreml-Olympiateam, bei den Winterspielen 2018 unter russischer Flagge anzutreten – Grund: staatlich gelenkte „systematische Manipulation der Anti-Doping-Regeln.“

Dmitri Swischtschew, Vorsitzender des Sportausschusses im russischen Parlament und „zufällig“ Chef des nationalen Curling-Verbandes, ließ wissen, in welche Richtung Putin nun argumentieren wird: „Alles ist einseitig, alles ist gegen Russland gerichtet.“ Die große Verschwörungstheorie des Kremls ist ein probates Mittel, das Land angesichts der Präsidentschaftswahl am 18. März mit Patriotismus-Losungen hinter sich zu scharen und Probleme vergessen zu machen.

Tatsache ist: unter normalen Umständen hätte Putin kräftigen Gegenwind abzuledern. Russland leidet an stagnierender Wirtschaft, sinkenden Reallöhnen und mageren Renten. Das Land hat zu wenig Fachkräfte, ist technologisch im Rückstand und hat ein marodes Gesundheitssystem.

Laut russischem Statistikamt (Rosstat, Росстат) leben 22 Millionen Menschen unterhalb des Existenzminimums, also 15% der Bevölkerung. Zugleich häufen Oligarchen Milliardensummen an. Und das Militär wird vom Staat gefüttert, als sei Weltgeltung wichtiger, als das Schicksal der Bürger.

Gleich drei junge Frauen und fünf Männer wollen mehr oder minder ernsthaft versuchen, Putin Paroli zu bieten. Ein schwieriger und mutiger Job, denn Gegner des Herrschers von Moskau agieren unter Lebensgefahr. Der letzte prominente Fall war 2016 die Erschießung des liberalen Politikers Boris Nemzow unweit der Kremlmauern. So, wie bei anderen mutmaßlich politischen Morden blieben Auftraggeber und Hintermänner im Dunkeln.

Und doch gibt es Menschen, die den Kampf um den Kreml nicht scheuen. So, wie Alexej Nawalny (41), einer der acht Putin-Gegenkandidaten. Der nationalistisch-demokratische Politaktivist scheint durch Festnahmen und Verurteilungen nur gestählt worden zu sein. Nun entzog die Wahlkommission Nawalny als Vorbestraftem laut umstrittenem Wahlgesetz das Recht, anzutreten.

„Wir haben 170.000 freiwillige Helfer,“ sagt das umtriebige Stehaufmännchen und organisiert jetzt einen Wahlboykott. „Wir haben eine regionale politische Struktur von einer solchen Kraft geschaffen, dass wir selbst unter den Bedingungen der Zensur mit ihm [Putin – Anm. d. Red.] mithalten können.“

Trotz Zulassungssperre bleibt Nawalny gefährlichster Gegner Putins, seit er 2013 bei der Moskauer Bürgermeisterwahl als Zweitplatzierter sensationelle 27% erreichte. Er weiß so gut wie kein anderer, wie man die Klaviatur der Sozialen Medien bedient. In einem akribisch recherchierten Videofilm dokumentierte der redegewandte Anwalt harte Bereicherungsvorwürfe gegen Regierungschef Dmitri Medwedew. Und nach wie vor bringt Nawalny als einziger Oppositionskandidat landesweit in nennenswertem Maße Menschen auf die Straße.

Ähnlich gewandt mit Presse und Sozialen Medien geht die jüngste Person unter den Putin-Herausforderern um: Xenija Sobtschak. Die 36jährige betreibt einen eigenen YouTube-Kanal und kommuniziert mit 5,4 Millionen Followern auf Instagram. Ähnlich wie Paris Hilton in den USA hat sich Sobtschak mit vielen publicityträchtigen Provokationen erst zum Society Girl hochgearbeitet und dann zur Businessfrau gewandelt: die Russin ist jetzt Chefredakteurin der russischen Version der französischen Luxus- und Modezeitschrift „L’Officiel“.

Angesichts dieses Glamourhintergrundes sprechen viele Beobachter der Tochter des früheren Bürgermeisters von Sankt Petersburg und Putin-Förderers, Anatoli Sobtschak, ab, das Herz fürs Volk entdeckt zu haben. Allerdings hat die junge Frau aus gutem Hause eine Vita als Polit-Aktivistin vorzuweisen, seit sie im Winter 2011/2012 gegen Wahlfälschungen protestierte.

Sobtschak behauptet, sie kandidiere auch für Nawalny. „Ein abgekartetes Spiel zur Aufspaltung der Opposition,“ behaupten Kritiker. Nawalny selbst hat für Sobtschak nur Verachtung übrig – seine Konkurrentin sei eine „liberale Witznummer“ in „einem ziemlich widerlichen Spiel des Kremls“. Fraglich ist in jedem Falle, wie die in der Moskauer High Society sozialisierte Sobtschak im morastigen Dickicht der Moskauer Politik ihr ehrgeiziges Ziel durchsetzen könnte: das „Ende von Korruption, Propaganda und internationaler Isolation“.

Unter den anderen zum Antritt gegen Putin bereiten Kandidatinnen und Kandidaten sticht einzig der Wirtschaftswissenschaftler Grigori Jawlinski (65) hervor. Er war 15 Jahre lang Vorsitzender der Russisch Demokratischen Partei Jabloko, die im Westen als Partner der Liberalen anerkannt ist. Und die spürt Aufwind seit den Moskauer Kommunalwahlen im vergangenen Herbst, als die Opposition ihre Mandatszahl in den Stadtteilversammlungen von 25 Sitzen auf sensationelle 180 steigern konnte. In Putins Wohnbezirk erreichte Jabloko sogar 100% der Abgeordneten.

Aber auf nationaler Ebene ist die liberale Partei Jabloko mit dem mehrmaligen Kandidaten Jawlinski nie über 3,43% hinausgekommen. Der Mann ist kein strahlender Siegertyp und symbolisiert keinen Neuanfang für Russland, den sich vor allem viele Russen der Generation unter 35 ersehnen. Die folgen eher einer westliche Freiheit projizierende Xenija Sobtschak.

Für Überraschung sorgte die Kommunistische Partei. Nicht der altgediente Sowjet-Veteran und KP-Chef Gennadi Sjuganow (73) wird Putin herausfordern, sondern der unbekannte Maschinenbauer und Agrarunternehmer Pavel Grudinin (57). Offenbar will die KP, die der untergegangenen UdSSR hinterherträumt, ihre Anziehungskraft vergrößern, da die Anhängerschaft aus der Prä-Gorbatschow-Ära ausstirbt. Sjuganow sagte beim Nominierungsparteitag, „das größte Unglück Russlands ist die Wahlmüdigkeit“. Ob nun ausgerechnet ein Grudnin einen Weckruf absetzen kann ist mehr als fraglich.

Die restlichen Bewerber um die Chefposition im Kreml sind wenig vertrauenserweckend. Ekaterina „Katya“ Gordon (37) ist Menschenrechtsanwältin, Künstlerin und Model. Sie will für die Partei der guten Taten die „Stärkung der Rechte von Frauen und Kindern“ erreichen. Larisa Renar (51), Psychologin, will „Glück für jedermann“ erreichen und dafür ein Glücksministerium einrichten; Ziel ist aber wohl eher PR für ihr Buch „Die Macht der Weiblichkeit“. Rechtsradikalinski Wladimir Schirinowski (71) ist Vizepräsident der Duma, war bereits fünfmal Kandidat um die Präsidentschaft und fordert ein Groß-Russland mit Territorien der ehemaligen Sowjetunion – „die Meinungen der Welt sind mir egal!“ Und Boris Titow (57), ein Sekt- und Wein-Milliardär, kommt aus dem Apparat, will lediglich „Geschäftsleute im Wahlkampf repräsentieren“.

Dass indes in Russland Vieles nicht stimmt, scheint selbst in der Nomenklatura der Russländischen Föderation aufzufallen. „Die Armut in Russland ist beschämend,“ twitterte Alexei Kudrin kürzlich, der bis 2011 als Finanzminister „Putins Mann fürs große Geld“ gewesen ist. Der 57jährige war nach elf Jahren im Amt zurückgetreten – aus Protest gegen die vom damaligen Präsidenten Dmitrij Medwedew forcierten hohen Militärausgaben. Seitdem fordert der in Lettland geborene Sohn einer Soldatenfamilie umfassende Neuerungen im Staat und in der Wirtschaft.

Erst hieß es, Kudrin werde als Präsidentschaftskandidat antreten. Wahr ist wohl eher, dass der respektierte Vordenker am Wahlprogramm für Putin mitschreibt. Er könnte unter Putin Premierminister werden – ein mögliches Signal, dass Putin seine letzte Amtszeit nicht mehr nur dem Großmachtgehabe, sondern einer inneren Reformagenda widmen würde.

„Präsident Wladimir Putin kann seine Macht nur erhalten, wenn er dafür sorgt, dass sich keine der im Kreml gegeneinander kämpfenden Gruppen als Sieger fühlt,“ ahnt Olga Romanowa, eine Bürgerrechtlerin und Journalistin, die in Berlin im Exil lebt. „Leider ist Putin sehr schlau. Er wird uns noch lange erhalten bleiben.“ Das ist zu befürchten.

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