Demokratie definiert sich über die Gewaltenteilung in der Gemeinschaft und über die Macht des Souveräns, welches das Volk ist. Vollkommene Demokratien kommen nicht vor, da eine absolute Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Jurisdiktion in der politischen Praxis nicht möglich ist. Über den unkontrollierbaren Einfluss der Medien, der Vierten Gewalt, auf die Demokratie wollen wir hier schweigen.
Die Macht des Wahlvolkes drückt sich durch die Wahl der Legislative, des Parlamentes, aus. Das Parlament vertritt den Souverän, indem es die Exekutive kontrolliert. Die Jurisdiktion (Gerichtsbarkeit) wiederum kontrolliert die Exekutive und die Legislative auf Fehler und Gesetzesübertretungen. Die Richter werden von der Exekutive und/oder der Legislative einberufen oder verwalten sich selbst.
Die EU-Kommission will kommende Woche erstmals in der Geschichte der Gemeinschaft nach Artikel 7 des EU-Vertrags ein Verfahren gegen Polen wegen der eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Rechtsstaatlichkeit in die Wege zu leiten. Der Beschluss soll in den nächsten Tagen ergehen, da Polens neuer Ministerpräsident im Konflikt um die polnische Justizreform jegliches Entgegenkommen, bzw. eine Kapitulation verweigert.
Das drohende Verfahren der EU-Kommission empfindet Polen als Unrecht. Hingegen sieht die EU-Kommission in den polnischen Gesetzesänderungen eine systematische Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit in Polen und hat die nationalkonservative Regierung in Warschau zu Korrekturen aufgefordert. Trotzdem sind in Polen Gesetze beschlossen worden, die die Richterbestellung wie in anderen EU-Staaten unter die Kontrolle der Parlaments bringen. Die umstrittenen Gesetze werden kommende Woche vom polnischen Präsidenten unterzeichnet werden. Sofort anschließend wird die EU-Kommission ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages beantragen. Dem werden vier Fünftel der EU-Staaten zustimmen. Diese Mehrheit ist in Brüssel bereits organisiert worden.
Noch nie ist ein EU-Mitglied derart an den Pranger gestellt worden. Nicht befürchten muss Polen, als Strafe seine Stimmrechte zu verlieren. Dem müssten alle anderen Mitgliedsländer zustimmen. Ungarns Premier Orban hat bereits sein Veto angekündigt.
Hier die beiden EU-Artikel, auf die sich die EU-Kommission stützt.
Art. 7 (1)
Auf begründeten Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments oder der Europäischen Kommission kann der Rat mit der Mehrheit von vier Fünfteln seiner Mitglieder nach Zustimmung des Europäischen Parlaments feststellen, dass die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der in Artikel 2 genannten Werte durch einen Mitgliedstaat besteht.
Art. 2
Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.
Nach Art. 2 gründet sich die Union auf Werte wie Demokratie und Gleichheit. Das ist mit Absicht falsch, bestenfalls missverständlich formuliert. Nicht die Europäische Union, sondern die einzelnen Statten der Union basieren auf diesen hehren Werte. Die Strukturen der Europäischen Union lassen Demokratie und Gleichheit nicht zu.
Nach Vorstellung der EU entfernt sich der polnische Staat von der Demokratie. Niemand wird jedoch bestreiten, dass Polen eine Demokratie ist, auch wenn die Gewaltenteilung nach Meinung der EU verbesserungsbedürftig ist. Der Souverän Polens ist weiterhin das polnische Wahlvolk, welches das Parlament bestimmt. Die polnische Legislative und Exekutive wollen eine stärkere Kontrolle über die Jurisdiktion ausüben, da sie viele Richter für korrupt halten.
Die EU hingegen verfügt lediglich über eine rudimentäre Gewaltenteilung. Die Macht des Souveräns – da es das europäische Volk nicht gibt, sollte der Souverän die europäischen Völker sein – hat das Versuchsstadium nicht überschritten. Man kann mit Fug und Recht bezüglich Demokratie die EU mit der UNO gleichstellen, da die heutige Türkei unter Erdogan deutlich demokratischer strukturiert ist. Die EU will eine stärkere Kontrolle über die polnische Jurisdiktion verhindern, da sie die bisherigen Richter nicht für willfährig hält.
Nehmen wir an, dass die Türkei Polen vorwirft, undemokratisch zu sein. Für deutsche Ohren mag das nichts Aufregendes bedeuten, da Erdogan den deutschen Staat als faschistisch bezeichnet, ohne dass eine angemessene Reaktion aus Deutschland zu vernehmen ist. Trotzdem sollten wir einen potentiellen türkischen Vorwurf, dass Polen keine Demokratie sei, nicht Ernst nehmen. Hingegen sollte Deutschland behaupten, dass die Türkei sich von der Demokratie entfernt und deshalb das Recht verwirkt hat, sich über die Rechtsstaatlichkeit des demokratischen Polens zu äußern.
Da das Demokratieverständnis der EU und das der Türkei nur labil ausgebildet ist – dabei ist die Türkei noch heute alleine wegen den Parlamentswahlen weit demokratischer als die EU – ist es gleichwertig, ob die Türkei oder die EU dem polnischen Staat eine systematische Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit vorwirft. Vorwürfe von Seiten der Türkei oder der EU sind gleich irrelevant.
Warum wollen die EU und die meisten EU-Staaten Polen bestrafen? Polen weigert sich, seine Grenzen für illegale Zuwanderer zu öffnen! Doch das ist nicht die ganze Wahrheit. Polen und andere EU-Staaten wagen es, das Vorgehen Merkels in der Flüchtlingsfrage zu kritisieren. Das ist für die scheidende Bundeskanzlerin eine Schmähung, die an Hochverrat und Majestätsbeleidigung reicht. Polen muss für das Benennen der Wahrheit hart bestraft werden. Die meisten EU-Staaten sind derart verängstigt, dass sie Steuerbetrügern aus Luxemburg blind folgen, um nicht selber am Pranger zu stehen. Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit finden in der EU regelmäßig im Großen wie im Kleinen statt. Sie sind keine Ausnahme. Weder in Polen, noch in Deutschland.
Kommentar hinterlassen
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.