Etikettenschwindel: Die Große Koalition, die keine gute wird

Tischfußball, Foto: Stefan Groß

Eine große Regierung wird es wohl nicht
Die ersten Übungen zur Regierungsbildung sind gründlich daneben gegangen. Das Theater mit Balustrade hatte mit Romeo und Julia nicht die große Liebe gemein, wohl aber Fehden, Intrigen und ein tragisches Ende. Der Kanzlerin mangelte es an Ideen und Führungsstärke, die CSU agierte mit Tunnelblick auf die Landtagswahl 2018. Die Grünen fielen Merkel lieber um den Hals statt in den Arm und die Liberalen versenkten den „German Mut“ im Parteiarchiv. Der FDP-Chef betrieb Machtspiele aus Eigeninteresse. Nur weil er vom Balkon winkte, wird aus Christian Lindner kein zweiter Genscher. So ist fast alles offen und die SPD ruft nach vielen Regierungsjahren treuherzig: „Die anderen haben’s verbockt!“ Angela Merkel weiß nicht, was sie anders machen soll, Martin Schulz entscheidet jeden Tag anders. Wie immer der Ausgang sein wird, eine große Koalition wird dieses Land nicht bekommen, denn Großes ist nach dieser Ouvertüre nicht zu erwarten. Realistisch gesehen betrieben Union und SPD bereits in der abgelaufenen Wahlperiode Etikettenschwindel. Unser Land ist in keinem guten Zustand. Das hat die sogenannte Große Koalition zu verantworten, dafür wurde sie am Wahltag abgestraft.
Eine klägliche Bilanz
„Deutschlands Zukunft gestalten“, überschrieben die Parteien der noch immer amtierenden Bundesregierung 2013 ihren Koalitionsvertrag. Die Bilanz ist kläglich. Das „Jobwunder“ fußt erheblich auf Niedriglöhnen und prekärer Beschäftigung. Der Mindestlohn schützt nicht vor Altersarmut und über zwei Millionen Kinder leben in Hartz IV-Haushalten, mehrheitlich bei Alleinerziehenden. Ein Fünftel der Bevölkerung ist laut Statistischem Bundesamt von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Drei Merkel-Regierungen haben in zwölf Jahren aus Deutschland ein Land der Gegensätze gemacht. Und ein Entwicklungsland: Bei der digitalen Infrastruktur rangieren wir auf Platz 29 der 35 OECD-Staaten. Von einer Million E-Autos, die die Kanzlerin bis 2020 angekündigt hat, existieren jetzt ganze 34.000! Die für 2020 gesteckten Klimaziele wird die Bundesrepublik deutlich verfehlen. Der Kampf gegen den Terrorismus wird mit Handelskriegen und Waffenexporten ad absurdum geführt, es werden Flüchtlinge, keine Fluchtursachen bekämpft. Nach allem was inzwischen über den Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz und seine Folgen bekannt wurde, kann man nur fassungslos sein über fehlende Empathie und das Ausmaß staatlichen Versagens. Unser Vorschlag eines Untersuchungsausschusses dazu ist übrigens elf Monate alt…
Die große Zeit der Demokratie?
Und nun? Ich hoffe keineswegs, dass die nächste Bundesregierung scheitert. Das wäre verantwortungslos, auch kommenden Generationen gegenüber. Allerdings bin ich skeptisch, dass der soziale Zusammenhalt und ein solidarisches Europa zentrale Anliegen eines künftigen Kabinetts sein werden. Bis zum Beweis des Gegenteils darf bezweifelt werden, dass ausgerechnet drei angeschlagenen Parteivorsitzenden der große Wurf gelingen wird. Es gehört zudem reichlich krude Phantasie dazu, sich etwa Christian Schmidt und Barbara Hendricks als Geburtshelfer einer künftigen Koalition vorzustellen.
Aktuell könnte jedoch im Deutschen Bundestag eine gute Zeit der Demokratie beginnen. In unserem Staat hängt die Regierung vom Parlament ab, nicht umgekehrt! Die Sternstunden des Hohen Hauses müssen nicht ethischen Grundfragen vorbehalten sein. Wir unserem Gewissen verpflichteten Abgeordneten könnten mit mancher Sachentscheidung eine künftige Bundesregierung in die Pflicht nehmen. Das kann ich mir beispielsweise vorstellen bei Entscheidungen gegen das Kooperationsverbot in der Bildung oder für den Abzug von US-Atomwaffen von unserem Territorium. So wäre auch eine Minderheitsregierung als Jungbrunnen für die Demokratie denkbar. Das alles setzt voraus, dass sich der Bundestag nicht selbst seiner Rechte beraubt. Es ist ein Unding, dass noch immer die Ausschüsse nicht gebildet sind, nicht einmal all jene, die das Grundgesetz vorschreibt.
Chance für Mitte-Links erhalten!
DIE LINKE hat bei der jüngsten Bundestagswahl zugelegt. Nicht trotz, sondern wegen klarer Positionen, zum Beispiel zur Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums, zur Verteidigung von Bürger- und Menschenrechten, zur Bekämpfung von Fluchtursachen und zur Integration von Flüchtlingen. Kenntlichkeit brachte ihr Zuspruch, keine Kniefälle. Der Platz der LINKEN im Deutschen Bundestag ist klar: Sie ist die soziale Opposition. Und die Friedenspartei. Keine andere Fraktion kann diese Funktionen übernehmen. Die bürgerlichen Parteien, das haben die Sondierungen gezeigt, sind dazu weder willens noch in der Lage, die demagogische AfD hat mit sozialer Politik nichts am Hut und ist alles andere, denn eine Anti-Kriegs-Partei. Die SPD wird entscheiden müssen, ob sie sich unzweideutig vom Kurs der Agenda 2010 und der Zustimmung zu Kriegseinsätzen und Rüstungsexporten verabschiedet. Nur wenn das geschieht und die Partei Politik im Sinne August Bebels und Willy Brandts betreibt, wird sie selbst eine Zukunft und wird mittelfristig ein Mitte-Links-Bündnis eine Chance haben. Ich will diese Chance für die Menschen in unserem Land und in Europa erhalten.

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