Fließt bald Blut zwischen Spaniern und Katalanen?

Spanien-Flagge, Foto: Stefan Groß

Früher ließ man Kanonenboote auffahren, um abtrünnige Gegenden auf Kurs zu bringen. In Spanien scheint man selbst heutzutage nicht weit davon entfernt sein. Die Zentralregierung von Madrid reagierte mit Anti-Terror-Polizei gegen friedliche Wähler beim illegalen Unabhängigkeitsreferendum. Dann drohte Verteidigungsministerin María Dolores de Cospedal (51) mit der Verlegung von Militäreinheiten, um „Souveränität und Unabhängigkeit Spaniens zu garantieren und die Integrität sowie die verfassungsmäßige Ordnung zu verteidigen.“

Madrid und die Regionalregierung sind jedenfalls so heillos zerstritten, dass ein gefährliches Aufschaukeln möglich ist. Aufstachler gibt es auf beiden Seiten. Erznationalisten aus der sehr konservativen spanischen Regierungspartei PP drängen Premierminister Mariano Rajoy (62) zum Durchgreifen mit harter Hand. Regionalpräsident Carles Puigdemont i Casamajó (54) wiederum steht unter Druck zu alles entschlossener Separatisten.

Manch entsetzter internationaler Beobachter hält es daher für nicht völlig abwegig, dass – zumindest sprichwörtlich – „Kanonenboote“ vor Barcelona auftauchen. Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik warnt: „Der Konflikt wird sich weiter zuspitzen“. Mangels Gesprächen hätten sich nach und nach die Radikalen durchsetzen können.

Die drohende Gewaltspirale kann offenbar nur noch ein Vermittler abwenden. Doch wer ist dafür geeignet? Felipe VI. (49), als König aller Spanier eigentlich prädestiniert, hat sich mit einer unsensiblen Rede bereits selbst disqualifiziert. Die Europäische Union (EU), ein Wunschpartner von katalanischer Seite, kann und will nicht eingreifen, denn es handle sich um einen „innerspanischen Konflikt“, sagt Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans. Weitere ins Gespräch gebrachte Persönlichkeiten von Barack Obama bis Kofi Annan sind bislang nur Fata Morganas.

Wer also kann Spanien und Katalonien vor dem Verderben retten? Mein Vorschlag lautet: schaut nach Venedig! In der Lagunenstadt tagt regelmäßig ein einzigartiges Gremium mit enormem Sachverstand: die Venedig Kommission. Sie wäre wie keine andere Einrichtung geeignet, den Streithähnen geeignete Vorschläge für eine allseits akzeptierbare Befriedung zu unterbreiten. Warum?

Die Venedig Kommission ist zwar außerhalb von Fachkreisen weitgehend unbekannt. Doch hinter ihr verbirgt sich das einflussreiche verfassungsrechtliche Beratungsgremium des Europarates, zusammengesetzt aus hochkarätigen Juristen und politischen Experten aus 61 Ländern. Die EU und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) sind ständige Gäste.

Das Besondere: die Mitglieder der Venedig Kommission werden zwar von den Mitgliedsregierungen entsandt, doch haben die Jura-Professoren, Verfassungsrichter und Politiker keinerlei Weisungen auszuführen. Es sind Fachleute für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit, die Nationen dabei helfen, ihre Rechtsstrukturen in Einklang mit europäischen Standards zu bringen. Zudem leisten sie Konfliktmanagement und kümmern sich um den rechtlichen Rahmen für Wahlen und Referenda. Wer, wenn nicht diese Autoritäten könnten Spanien und Katalonien aus der Patsche helfen?

Dass der Konflikt um Katalonien blutig werden könnte, das zeigt ein Blick in die spanische Geschichte. Insbesondere im stolzen Baskenland brannte die Gewalt jahrzehntelang. 1937 wurden die dortigen Regionen Bizkaia und Gipuzkoa zu „Verräterprovinzen“ erklärt und ihnen fiskalische Sonderrechte entzogen. Ab 1959 versuchten radikal-nationalistische Basken, die Unabhängigkeit herbeizubomben. Prominentestes Opfer: Spaniens Ministerpräsident Luis Carrero Blanco (1904 – 1973), der in Madrid durch eine unterirdische Autobombe ermordet wurde.

Erst 2017 (fast 60 Jahre nach Gründung!) gab die baskische Terrorgruppe „Euskadi ‚ta Askatasuna“ (ETA) nach eigenen Angaben alle ihre Waffen ab: 3,5 Tonnen Waffen, Sprengstoff und andere gefährliche Materialien. Hunderte Tote säumen ihre Blutspur. Droht nun auch Katalonien eine ähnliche Periode der Gewalt? Wie stark im Würgegriff radikaler Anhänger sind Puigdemont und Rajoy?

Die Venedig Kommission könnte Spaniern und Katalanen geräuschlos und diskret eine Möglichkeit zur Lösung weisen. Das hoch geschätzte Gremium beweist dieser Tage im schwierigen Osteuropa, dass es komplizierte Sachverhalte wegweisend bündeln kann. Für Georgien hat sie am Entwurf für eine neue Verfassung mitgearbeitet. Für die Ukraine zimmerte die Kommission ein demokratisches Verfahren für die Berufung spezieller Anti-Korruptions-Richter. Und Armenien erhielt erst diese Woche das Gütesiegel der Kommission für eine gelungene Neuordnung des Justizwesens.

Ohne Vermittlung von außen geht es zwischen Katalonien und Spanien jedenfalls kaum noch. Die Nerven der Beteiligten liegen blank und können jederzeit reißen. Es drohen „Kanonenboot-Diplomatie“ auf der einen und Gewaltgedanken auf der anderen Seite. Wenn zwei sich so heftig streiten, dann braucht es einen kundigen Dritten als Vermittler. Ich finde: jetzt ist die Stunde der Venedig Kommission. Und zwar schnell!

Die Homepages der Kontrahenten:

Regionalregierung Katalonien

Zentralregierung von Spanien

 

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