Opernregisseure haben sich wohl derzeit auf humanmedizinisch Experimentelles eingeschworen. Wiens neuer „Parsifal“ steckte Gurnemanz und Klingsor in weiße Ärztekittel. Salzburgs neuen „Jedermann“ steckte man samt seiner schwachen „Werke“ ins Krankenbett zur EKG-Überprüfung. Damit Münchens Opernfestspiel-„Oberon“, koproduziert mit dem Theater an der Wien, eingepasst ins Prinzregententheater, nicht erst tief in Schwierigkeiten stecke, holte man den Puppenkünstler Nikolaus Habjan aus Wien herbei. Sollte er mal machen! Doch der konnte anscheinend mit den verschwirbelten Text-Vorgaben aus dem hochmittelalterlichen Frankreich allein zu wenig anfangen.
Feenmärchenträume und orientalische Folklore aus Karls d. Gr. Ära, in die Carl Maria von Webers letzte Oper „Oberon“ (1826) entführen will, sind seine Sache nicht. Da musste noch was her, was das Ganze zusammenhält. Habjan sah seine Stunde als Puppen-Mann gekommen. Er setzte seine kunstvollen Klappmaulpuppen in eine verhaltensexperimentale Rahmenhandlung. Da ist Elfenkönig Oberon der Chef-Forscher, Gattin Titania seine Einflüsterin und Shakespeares Zauberschlingel Puck? Den verdreifachte Habjan schlichtweg.
Das gerissene Trio (Manuela Linshalm, Daniel Frantisek Kamen, Sebastian Mock) spielte so fabel-, nein zauberhaft, dass es, anfänglich jedenfalls, alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Man hatte den halben Teil I der ideen-überladenen Neuinszenierung zu tun, um zu kapieren: Warum drei Pucks? Was soll das Labor, in dem im Teil II der Ozean mächtig aufschäumt? Was ist mit den Graukittel- und Brillenträger(innen)? Einige pilzköpfige Chorleute spazierten vor Beginn der Oper bedeutungsvoll im grauen Neopren-Mantel mit Schreibbrett im „Prinze“-Garten, s. Foto. Warum spielten die Pucks mal als Menschen, mal mit Puppen? Was hat es mit der Ober(on)-Monsterpuppe – algengrüner Riesenschädel, golden leuchtende Pratzen – auf sich?
Manche Fragen lösten sich im Lauf des chaotischen Abends. Doch keineswegs vollständig und zur Zufriedenheit. Man hatte Mühe, sich bei aller aufgeregter Experimentier-„Freudigkeit“ der Bühnenfiguren, herauszubringen, ob es wahre Liebe und Treue unter Menschen gibt, auf die aus „Entführung“, „Zauberflöte“ und „Lohengrin“-Sage gemixte Zentralhandlung zu konzentrieren.
In der treten mit den Pucks und einigen undefinierbaren Puppen-Nebenfiguren auf: Hüon von Bordeaux, Rezia, Fatime, Scherasmin und ein plötzlich schön singendes Meermädchen (Anna El-Khashem). Sie kämpfen sich, als liebende, lechzende, leidende und liederliche Paare durch den Wust der dramaturgischen Widrigkeiten. Verstehe sie, wer kann. Geistige Schwächlinge, die da im Publikum sitzen? Hätte Habjan mit seinem Team (Bühne: Jakob Brossmann, Kostüme: Denis Heschl, Chöre: Sören Eckhoff) nicht dafür sorgen sollen, dass die verbackene Handlung aufgedröselt wird? Dann wäre es nicht bei den paar Kicherern und Lachern über so viel Klamaukiges, über zu viel Geschwätziges geblieben.
Annette Dasch mühte sich als Rezia erfolgreich um das ihre statische Rolle Persiflierende, lieferte prachtvolle Töne ab, nicht nur in der Arie „Ozean, du Ungeheuer“, und hatte in Brenden Gunnell einen tapferen, zu schöner Gebets-Lyrik fähigen Hüon an der Seite. Rachael Wilson und Johannes Kammler spielten und sangen sich als Sklavenpaar immer mehr frei. Ivor Bolton war diesmal kein inspirierender, eher ein soldatisch anordnender Dirigent. Dem Extrachor der Bayerischen Staatsoper gebührt Respekt ob seiner geschlossenen Glanzleistung. Ach ja, und der Titelheld? Julian Prégardien hätte einen gehaltvolleren Einstieg ins Münchner Operngeschehen verdient. Er blieb, an der Seite seiner gestrengen Gattin (mit deutlich undeutschem Akzent: Alyona Abramowa), blass und wirkte irgendwie hilflos. Sein bekannt schöner Tenor kam jedenfalls nur ansatzweise zum Leuchten.
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