Klaus Albrecht Schröder, Johann Thomas Ambrózy (Hrsg.) Egon Schiele, Hirmer Verlag, München 2017, 380 Seiten, 328 Abbildungen, gebunden, ISBN: 978-3-7774-2768-3
Der österreichische Expressionist Egon Schiele (1890–1918) greift in seinen Werken den von Gustav Klimt entwickelten Formenkanon des Wiener Jugendstils auf, er übernimmt auch das quadratische Bildformat. Doch schon bald zeigt sich besonders in der Darstellung der menschlichen Figur eine abweichende künstlerische Auffassung, die nichts mehr mit dem huldigenden Schönheitsideal des Jugendstils zu tun hat. In radikaler Subjektivität schuf Egon Schiele Ansichten und Blickwinkel, die seine Modelle in teils bizarrer, verkrampfter Pose zeigen, was auch zum Teil für seine Selbstbildnisse gilt. Schiele erweist sich „nicht mehr nur als der bestürzend eindringliche Darsteller existentieller Einsamkeit, sondern zugleich auch als ein Verfechter hoher Ethik und leidenschaftlicher Spiritualität.“ (S. 18) Sein Ziel war die Religion, die Religion der „allumfassenden Liebe“. (S. 20)
Die Bilder Egon Schieles sind in der Gegenwart bei Sammlern ein Renner. Sotheby’s versteigerte 2011 Häuser mit bunter Wäsche aus dem Jahr 1914 für umgerechnet 27,6 Mio Euro. Am 21. Juni 2013 wurde beim Berliner Internet-Auktionshaus Auctionata das Bild Liegende Frau des Künstlers online versteigert. Das Aquarell aus dem Jahr 1916, das von dem Auktionshaus 2012 in einem privaten Nachlass entdeckt worden war, wurde mit einem Startpreis von einer Million Euro aufgerufen und für 2,4 Millionen US-Dollar zugeschlagen.
Zum Auftakt des Gedenkens an seinen 100. Todestag wird in diesem Band Schieles faszinierendem Werk mit neuem Blick begegnet und zugleich ein Paradigmenwechsel in der Interpretation seines Schaffens angemahnt. Schiele erweist sich „nicht mehr nur als der bestürzend eindringliche Darsteller existentieller Einsamkeit, sondern zugleich auch als ein Verfechter hoher Ethik und leidenschaftlicher Spiritualität.“ (S. 18) Für Schieles bis heute rätselhafte Bildallegorien werden nun Vorbilder aus seinem persönlichen Milieu, aber auch aus antiker, byzantinischer und selbst barocker Kunst zur entscheidenden Interpretation des leider zu früh verstorbenen Künstlers.
Mit 328 Abbildungen versehen werden zahlreiche Werke Schieles gezeigt, die eine unverwechselbare Aussagekraft besitzen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Person und Werk Schieles und einem dabei angemahnten Paradigmenwechsel in der Beurteilung seiner Kunst runden diesen Band ab. Hier wird der neueste Stand der Schiele-Forschung präsentiert; wer sich aber zunächst einen eigenen Eindruck von Schieles Arbeit verschaffen will, ist hier genau richtig. Ein toller Band mit dem Zeug zum internationalen Standardwerk.
Kommentar hinterlassen
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.