Anselm Kiefer – „Ein großer Künstler – ein großer Raum“ – Fünf Erwerbungen halten endlich Einzug in Münchens Pinakothek der Moderne

Anselm Kiefer, Foto: Hans Gaertner

Alle sind glücklich: der Generaldirektor Bernhard Maas, Bayerns Kunstminister Ludwig Spaenle, die Hauptkonservatorin Corinna Thierolf, der Stiftungs-Vorsitzende Thorsten Kurth. Schließlich – er kam zur „Stern-Stunde“ der feierlichen Eröffnung in die Pinakothek der Moderne als Letzter – der Künstler selbst: Anselm Kiefer, Donaueschinger des Jahrgangs 1945 (Foto). „Ein großer Künstler – ein großer Raum“, so klang es aus dem berufenen Mund von Corinna Thierolf im relativ geräumigen neuen „Kiefer“-Zimmer im ersten Obergeschoß. Kiefers mächtige Arbeiten haben wirklich gut Platz hier. Die vielen Gäste, die zur Vernissage trotz 33 Hitze-Grade gekommen waren, hatten freilich nicht alle auf einmal Gelegenheit, das Glück der Verantwortlichen zu teilen; mussten sie sich doch schubweise an die Neuerwerbungen heranpirschen. Die waren für die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen nur möglich geworden durch die enge Kooperation der in Köln sitzenden Michael & Eleonore Stoffel-Stiftung. Mehrmals wurde beim Eröffnungsakt betont, dass sie einen „Meilenstein im Sammlungsaufbau“ der Abteilung „Moderne Kunst in der Pinakothek der Moderne“ bilden.

„Der Sand aus Urnen“ heißt Anselm Kiefers Leinwand-Arbeit in Öl/Acryl/Schellack unter Verwendung von Sand und Kohlestift vom Ausmaß 280 x 570 Zentimetern aus dem Jahr 2009 (Foto). Sie zeigt eine „weitläufige, architektonisch unvollendete oder ruinenhafte Ansammlung von Backsteinen“ und fesselt in ihrer Dimension und Archaik den Betrachter. Er liest im oberen rechten Eck die Widmung Kiefers an den Dichter Paul Celan, wobei er sich auf eine seiner Gedicht-Reihen von 1948 bezieht.

Auf eine eigene Foto-Serie verweist Anselm Kiefer mit den so genannten „Occupations“, also „Besetzungen“. Mit diesen Fotos wurde der heute in Paris und Südfrankreich lebende und zu den bedeutendsten bildenden Künstlern der Gegenwart zählende Kiefer bereits 1969 bekannt, damals verbunden mit einem Skandal. Er hatte sich selbst, den Hitlergruß ausführend, an unterschiedlichen europäischen Stätten fotografiert: Rom, Vesuv, Küssnacht, Bellinzona, Paestum … und trug dabei die Wehrmachtsuniform seines Vaters. Identifikation mit den verhassten Nazis wird nur simuliert, doch versucht der Autor – quasi als ein neuartiger „Historienmaler“ – sich von der Tragödie des Hitler-Regimes zu lösen. Diese beiden Arbeiten haben, nun in unmittelbarer Nähe des von den Nazis als Machtzentrum beanspruchten Königsplatzes eine ganz spezifische, sozusagen traurige Unmittelbarkeit erhalten.

Zum bereits seit 1984 der Pinakothek der Moderne durch den Wittelsbacher Ausgleichsfonds, die Sammlung von Herzog Franz von Bayern, gehörenden Kiefer-Gemälde „Nero malt“ (1974; Öl auf Rupfen, Maße: 221,5 x 300,6 Zentimeter) gesellen sich nun, im passenden Abstand, zwei manns- bzw. übermannshohe Glaskästen: „Die 12 Stämme“ (zu ergänzen: Israels) aus dem Jahr 2010 und „Morgenthau“ von 2016 (Foto). Das verwendete Metall ist beide Male Blei – nicht von ungefähr; Kiefer wählte das Material aus der Rückbesinnung auf dessen Verwendung für die Waffen in beiden Weltkriegen. Kiefer erwarb Bleiplatten vom Kölner Dom, von wo er sie mit 86 Lkw abfahren ließ. Vor beiden Kästen wird man lange verweilen. Führt der eine in alttestamentarische Fernen zurück – aus riesigen Sonnenblumen, die aus dem „Himmel“ wachsen und an den Stängeln die Stämme-Namen tragen, ist schwarzer und weißer Samen zu Boden gefallen – erinnert der andere an den Amerikaner Henry Morgenthau, der als Präsident Roosevelts Berater 1944 Deutschlands Umwandlung in einen Agrarsaat vorsah. Dicke, goldene Ähren wachsen aus einem verdorrten Stück Erde, auf dem sich eine träge schwarze Natter schlängelt. – Das neu bestückte Anselm Kiefer-Zimmer ist ab sofort täglich von 10 bis 18, donnerstags bis 20 Uhr, zur Besichtigung, vor allem für Nachdenkliche, frei.    

Anselm Kiefer, Foto: Hans Gärtner

Fotos: Hans Gärtner

  • Der große deutsche zeitgenössische Künstler Anselm Kiefer (72) wurde bei der Eröffnung der Ausstellung von etlichen Fans umringt und um eine Signatur seiner Bücher gebeten.
  • Riesige goldene Ähren im 2016 entstandenen Glaskasten „Morgenthau“ Anselm Kiefers werden von Besucherinnen bestaunt.
  • Das monumentale rätselhafte Gemälde Anselm Kiefers „Der Sand aus den Urnen“ entstand 2009 und ist dem Dichter Paul Celan gewidmet.
Anselm Kiefer, Foto: Hans Gaertner

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Über Hans Gärtner 501 Artikel
Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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