Rupprecht Mayer: „Bolihua. Chinesische Hinterglasmalerei aus der Sammlung Mei-Lin – Delikate Bilder

München: Hirmer Verlag 2017

Dem Hinterglasmalerei-Freund und Hinterglasbilder-Sammler tut sich mit einer späten Frühjahrs-Novität des in vielfachen Publikationen der Bildenden Kunst dienenden Münchner Hirmer-Verlags eine völlig neue Welt auf: China als Land der Hinterglasmalerei. Es handelt sich um die erste im Westen publizierte Monografie der schon im 18. Jahrhundert in Kanton begonnenen Hinterglasbilder-Produktion. Die erhaltenen Stücke sind, bei Glaskunst ist dies ohnehin die Regel, schon deshalb eine Rarität ersten Ranges, weil der „Stoff, aus dem die Bilder sind“ so fragil wie der raschen Brüchigkeit und Unwiederbringlichkeit unterworfen sind.

Anlässlich der spektakulären gemeinsamen Ausstellung „Gespiegelte Welt – Von der Faszination des chinesischen Kosmos hinter Glas“ auf Schloss Werningerode (vom Dezember 2016 bis April 2017) und nun im Schaezlerpalais Augsburg (noch bis zum 15. Oktober 2017) erschien ein Bildband von unerwarteter Strahlkraft seiner farbsatten, spiegelnden, prunkenden Abbildungen. Die meisten großformatig wiedergegebenen Hinterglasbilder (zur Gänze, aber immer wieder auch in „gezoomten“ Ausschnitten), in deren Bedeutung und Besonderheiten im China des späten 19. Und frühen 20. Jahrhunderts der in Burghausen lebende Sinologe Rupprecht Mayer einführt und deren Katalog-Exponate er eingehend kommentiert, sind zwischen 1850 und 1950 geschaffen worden. Schön wäre es, wenn Herkunft und Künstlernamen, Schaffensanlass und genaue Beziehungen zum Herstellungsort und Herstellungszeitraum hätten mitgeliefert werden können. Die unterschiedlich großen, meist holzgerahmten Stücke stammen aus der in dieser Publikation nicht näher beschriebenen Sammlung Mei-Lin. Über diese Sammlung hätte der Leser gern genaue Auskunft erhalten.

Der prachtvolle Kunstband besticht durch seine mit einem neuen fototechnischen Verfahren – spiegelnde Objekte zu fotografieren ist nicht eben leicht erfolgreich zu bewerkstelligen – hergestellten Abbildungen. Das Buch ist für den fortbildungsfreudigen, weltoffenen Liebhaber von Bildkunst im allgemeinen, von Hinterglasmalerei im Besondern, geschaffen und kommt diesem mit kurzen Hinweisen zur Geschichte der traditionsrechen, jedoch oft nur der Volkskunst zugeschriebenen Malerei auf Glas, einem ausführlichen Katalog (insgesamt ausgesuchte 137 Exponate) und einer reichhaltigen Literaturliste, die den belesenen Autor verrät, entgegen. So kann das Buch sowohl als willkommener Begleitband zur nun in Augsburg zu sehenden Ausstellung ebenso dienen wie es eine Bereicherung der Bibliothek eines jeden Kunstfreundes zur selbständigen Erarbeitung eines neuen Interessenfeldes darstellt.

Über die jüngere Geschichte der chinesischen Hinterglasmalerei sei, so der Autor, wenig bekannt, umso mehr jedoch über die in den Malereien auftretenden Glücksmotive, auch über die „mythologischen, historischen und literarischen Sujets, die die Hinterglasbilder mit den Neujahrsbildern, der Schnitzkunst, dem Schattenspiel, den Scherenschnitten und volkstümlichen Gemälden wie denen im Wandelgang des Pekinger Sommerpalastes gemeinsam haben“.

Eine „heile Welt hinter dem Glas“ tue sich hier auf, meint der begeisterte Verfasser des Geleitwortes. Er bringt voller Bedenken in seinen hinführenden Zeilen zurecht die „gläserne Zerbrechlichkeit“ zur Sprache, welche, wie er sich ausdrückt, die „delikaten Bilder“ in besonderer Weise liebenswert machten. Die an Metaphern reiche Lyrik und ein im Chinesischen angewandter ausschmückender Erzählgestus des „alten“ Chinas verbinden sich in den leuchtenden Farben der oft eine Idylle wiedergebenden großartigen Tafeln zu ästhetisch hochstehenden, freilich auch inhaltlich anspruchsvollen Gesamtkunstwerken.

Den unvoreingenommenen Leser erwarten ungeahnte „Geschichten“ – ob von der „pietätvollen Schwiegertochter“, dem „Biss in den Fuß“, dem „Karpfenmädchen“ oder der „Prinzessin Lotosblüte“. Phantasievolle Landschaften, kuriose Familienereignisse, Skurriles aus dem Alltag, Hochdramatisches oder Märchen- und Sagenhaftes wechseln sich ab mit rein Dekorativem. Eine naturgemäß abbildende, stets aber auf gefällige Ästhetik bedachte Darstellung der Tier- und Pflanzenwelt, der Anmut junger weiblicher Gestalten oder die Freundlichkeit und Innigkeit unschuldiger Kinder können den Betrachter immer wieder in Erstaunen versetzen.

Dem Gockelhahn werden in China seit jeher Mut, Bildung, Belesenheit, Altruismus und Zuverlässigkeit zugeschrieben. Er ist Glücksbringer. 2017 ist übrigens ein Jahr des Hahnes – wie es 2005 war und 2029 sein wird. Er wird gerne mit der Strauchpfingstrose dargestellt, der paeonia suffruticosa (Päonie). Deren Blüte gilt in China als am häufigsten dargestelltes Bild für Wohlhabenheit und hohen gesellschaftlichen Rang. Der Hahn auf dem holzgerahmten Hinterglasbild (Katalog Nr. 16) kräht auf einem Felsen einbeinig stehend. Wer im Schlossmuseum Murnau vor zehn Jahren die Schau „Chinesische Bilder. Volkskunst – Inspiration für den `Blauen Reiter`“ sah, stieß vielleicht auf eine ähnliche Hahn-Darstellung (Foto) wie die hier (aus insgesamt drei verschiedenen) ausgewählte.

Rupprecht Mayer: „Bolihua. Chinesische Hinterglasmalerei aus der Sammlung Mei-Lin“, herausgegeben von Christian Juranek und Christof Trepesch, 252 Seiten, zahlreiche Abbildungen (Fotos von Andreas Brücklmair), 45 Euro, München: Hirmer Verlag 2017

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Über Hans Gärtner 501 Artikel
Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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