Die Frage nach Gott in der Moderne – Robert Spaemann zum 90. Geburtstag

Statue am Salzburger Dom, Foto: Stefan Groß

Gibt es eigentlich Gott und können wir ihn beweisen? Vor zehn Jahren begab sich der Philosophieprofessor Robert Spaemann auf Spurensuche und begründete die göttliche Existenz aus der Ontologie der Grammatik.

Einer der größten deutschen Philosophen ist – fast unbemerkt – 90 Jahre alt geworden. Robert Spaemann hat die geistige Welt der Bundesrepublik wie kaum ein anderer geprägt. Immer wieder meldete sich der Ritter-Schüler zu den großen Themen der Zeit zu Wort, ob zur Embryonenforschung, zur Sterbehilfe oder zum Tierschutz. Spaemann zählt nicht nur zu den großen Wertkonservativen des 21. Jahrhunderts, ist bekennender Katholik, Bewahrer der Schöpfung und des Personen-Seins im Geiste des Naturrechts. Er ist einer, der sich immer wieder gegen den technischen Machtbarkeitswahn auflehnte, den Nihilismus der Spaßgesellschaft kritisierte und sich gegen jede Relativierung der Schöpfungswirklichkeit wandte.

Mit 80 Jahren, also genau vor zehn Jahren, hat der ehemalige Professor, der in Stuttgart, Heidelberg und München lehrte, seinen Gottesbeweis aus dem Geiste der Grammatik vorlegt. Das Buch „Das unsterbliche Gerücht, Die Frage nach Gott und die Täuschung der Moderne“ war nicht nur der Versuch in gottvergessenen Zeiten, die Gottesfrage erneut zu stellen, und zwar aus der Vernunft, aus der Ratio heraus,, sondern erwies sich zugleich als eine Kampfschrift gegen eine anmaßende Vernunft, wie sie die Naturwissenschaften für sich beanspruchen. Wer wie die Naturwissenschaftler glaubt, so Spaemann, ohne Transzendenzbezug und allein mittels der Naturgesetze die Welt in ihrem So- und Dasein zu erklären, irrt. Denn die technische Vernunft kommt letztendlich nur zur Begründung dessen, was sie voraussetzt, aber eben nicht zu Gott. Sie versteigt sich permanent in Erklärungsnöte – aber proportional zum anwachsenden Wissen vergrößert sich damit das Nichtwissen. Die grotesken Spekulationen auf dem Gebiet des Szientismus stehen für Spaemann dann auch für eine sich selbst überschätzende technische Vernunft. Und wer versucht, das Unerklärbare durch Worte zu beschwören, bleibt selbst ein „Opfer des Szientismus“.

Der Versuch, ja, die kleine Sensation einen neuen Gottesbeweis im Zeitalter von analytischer Philosophie und Hirnforschung vorzulegen, der Durchschlagskraft bekundet, war nicht nur im Hinblick auf Kants Zertrümmerung der Gottesbeweise und letztendlich Nietzsches Postulat, dass Gott-ist-tot-Philosophie sei, gewagt und unzeitgemäß. Doch Spaemann hält auch in postmetaphysischen Zeiten daran fest, dass Gott existiert. Denn: Wenn es Gott nicht gibt, gibt es auch keine Wahrheit und keinen Sinn im Leben. Ohne die Annahme, eben das „Gerücht Gottes“, das Axiom der Spaemannschen Philosophie und Theologie, dass Gott in der endlichen Welt erscheint und dass das Ich an der göttlichen Ordnung Anteil hat, lässt sich der Spaemannsche Gottesbeweis überhaupt nicht verstehen. Er setzt somit den Gottesglauben zum einen und zum anderen voraus, dass Vernunft und Glauben sich nicht widersprechen, dass der Glaube die höchste Form der Vernunft ist und zu ihrem Wesen gehört.

„Was glaubt also der, der an Gott glaubt? Er glaubt, so sage ich, an eine fundamentale Rationalität.“ Das höchste Prinzip dessen, was geglaubt werden kann, ist damit Gott als die Einheit von Sein und Sinn. Denn: „Wer an Gott glaubt, glaubt, dass die beiden Unbedingtheiten identisch sind: die Unbedingtheit dessen, was ist, wie es ist, die Unbedingtheit des Faktischen und die Unbedingtheit des Guten. […] Was uns verborgen ist, obwohl es vernünftig ist, es zu glauben, das ist die Einheit der beiden Unbedingtheiten, die Einheit von Macht und Sinn, von Allmacht und Liebe. […] Der Glaube an die Macht des Guten ist es, die es uns ermöglicht, uns handelnd auf die Realität einzulassen, ohne befürchten zu müssen, dass in einer absurden Welt auch jede gute Absicht zur Absurdität verurteilt ist.“

Damit wird nicht die moralisch-praktische Vernunft zum Instrument zur Gotteserkenntnis, sondern eben die rational-geschöpfliche des Menschen als Abbild, denn dadurch lässt sich der Transzendenzbezug überhaupt erst herstellen. „Glauben, dass Gott ist, heißt, dass er nicht unsere Idee ist, sondern dass wir seine Idee sind.“ Die menschliche Wahrheitsfähigkeit, die ihn als personales Wesen auszeichnet, hat so ihr Fundament im Bildsein des Menschen, in seiner Gottesebenbildlichkeit, die für seine Wahrheitsfähigkeit steht.

Und unter der Voraussetzung, dass eine „Hinterwelt“ existiert – das „unsterbliche Gerücht“ – bezieht Spaemann dann auch deutlich Position gegen Nietzsche. Aber wie muss ein Gottesbeweis, und gar ein letzter, beschaffen sein, dass er Nietzsches Vorwurf, dass keine Intelligibilität in der Welt sei, keine Hinterwelt existiert und die Wahrheitsfrage nicht relevant ist, standhält? Der ontologische, teleologische, kosmologische,  moralische oder ethikotheologische, axiologische oder eudämologische kommen dafür, so Spaemann nicht in Frage. Sein Beweis ist vielmehr grammatikalischer Natur. Der „Gottesbeweis aus der Grammatik“, als Futur exactum, als zweites Futur, bleibt, so der Philosoph, denknotwendig an die Gegenwart, an das Präsens gekoppelt, denn, von etwas zu sagen, dass es jetzt sei, ist gleichbedeutend mit der Aussage, dass es in Zukunft gewesen ist, was darauf hinausläuft, dass alle Wahrheit ewig ist. Was in der Gegenwart wirklich und wahr ist, das gegenwärtig Wirkliche als das künftig Vergangene, lässt sich auch in Zukunft nicht leugnen. Gott wird so als absolutes Bewusstsein gedacht, indem Vergangenheit und Zukunft zusammenfallen, wobei das „Gegenwärtige als Vergangenheit des künftig Gegenwärtigen immer wirklich“ bleibt. „Wenn es Wirklichkeit gibt, dann ist das Futurum exactum unausweichlich und mit ihm das Postulat des wirklichen Gottes.“

Was bringt uns nun ein Gottesbeweis aus der Grammatik, wie ihn Spaemann vorlegt für das 21. Jahrhundert? Zum einen sicherlich das Wagnis, über etwas zu sprechen, das aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden ist – die Rede von Gott. Und damit ein Gespräch über das Unverfügbare aufzunehmen. Zum anderen stellt Spaemann die berechtigte Frage nach einem letzten Sinn, einer letzten Sinnwirklichkeit, und dies in einer Zeit, wo das Sinnlose in Terror und Leid kulminiert, im gegenseitigen Verrechnen und in einer Kultur, die meint, sich als das Absolute selbst zu setzen. Mit Spaemann lässt sich Demut wieder lernen und nicht zuletzt:  „Umkehr der Perspektive, Bekehrung. Wenn Gott ist, dann ist das das Wichtigste. Wichter als dass wir sind. Aber dies wissen zu können, macht die Würde des Menschen aus, die ihn von allen anderen Lebewesen unterscheidet“.

Quelle: Robert Spaemann, DIE WELT, 26. 3. 2005 und Spaemann: „Das unsterbliche Gerücht, Die Frage nach Gott und die Täuschung der Moderne“.

 

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2157 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".

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