Alles bekommt einen Hashtag

hashtag, Foto: Stefan Groß
2017 wird so etwas wie ein Super-Wahljahr, da in Nordrhein-Westfalen und im Bund abgestimmt wird. Aufgeheizt wie selten ist die politische Debatte. Jeder ist ein kleiner Politiker. Durch die Verbreitung von sozialen Medien ändern sich mit dem damit verbundenen Zwang zur Außendarstellung auch die Meinungen.

Es gibt also nicht nur die schon bis zum Abwinken wiederholte Binsenweisheit, dass öffentliche und veröffentlichte Meinung zwischen Journalisten und Lesern abweichen, sondern auch eine Hybridvariante. Sie können nämlich eine nach außen gekehrte Schokoladen-Seiten-Meinung haben und eine im kleinen vertrauten Freundeskreis. Beide müssen gar nichts miteinander zu tun haben.

Na, erkennen Sie sich wieder?

Sie alle sind Publizisten. Was ich kann, können Sie schon lange, liebe Leser. Sobald Sie bei Facebook und Twitter etwas notieren, sind Sie Publizist. Außerdem sind Sie, ob Sie wollen oder nicht, kleine Bundespräsidenten. Und mehr Unterhaltungswert als Frank Walter Steinmeier werden Sie ja wohl anbieten können.

Daher legen Sie sich kleine Versatzstücke zurecht, damit sie geschmeidig Ihnen aufgezwungene äußere Ereignisse kommentieren können, ohne Ihr Gesicht zu verlieren. Geschickt gemacht können Sie sogar glänzen.

Lektion 1: Das Schlimmste geschieht (Gräueltaten, Amoklauf, Terroranschlag etc.) – wie reagiert man?

„Man sollte jetzt keine voreiligen Schlüsse ziehen.“

So fängt man an, zumindest, wenn man geschickt ist. Wer keine Schlüsse zieht, trägt weder Verantwortung noch irgendetwas. Wie lange das Zeitintervall „voreilig“ dauert, bestimmen allein Sie. Schließlich sind wir in einem freien Land. Dann muss ein Satz folgen, aber nur einer, sonst wäre es dem Ereignis nicht angemessen. Geschwätzigkeit kommt da nie gut an. Wählen Sie also folgenden Varianten:

„Das ist ein schrecklicher Einzelfall.“
oder:
„Wir sind in Gedanken bei den Angehörigen.“
oder:
„Je suis … irgendwas“, wobei das „irgendwas“ mit einem möglichst stylishen Logo in Windeseile zu untermauern ist, das ein Graphikdesigner irgendwo in weiser Vorausschau des „unerwarteten“ Ereignisses in der Schublade auf Halde liegen hatte.

Lektion 2

Freunden Sie sich damit an, dass alles ein Hashtag bekommt, das in einem kompakten Kunstwort Emotionen, Originelles und ach so Hintersinniges vereint. Prägen Sie also ein Hashtag, bevor es Sie prägt.

#Aufschrei ist dann gut, wenn man die Übergriffe gefährlicher älterer Männer in der Karnevalszeit brandmarken will, die Frauen wie Freiwild behandeln, sobald sie 3 Glas Riesling genossen hatten. Merke hierbei, der Aufschrei muss negativ korreliert sein mit Gefährlichkeit des Übergriffs. Bei wirklichen Übergriffen empfiehlt sich die De-Eskalation. Dabei lege ich das Hashtag #Einzelfall – siehe oben – nahe.

Deeskalation ist allein schon deshalb wichtig, weil diejenigen, denen Sie als Mini-Bundespräsident schreiben, also Ihren Followern, nicht die höchste Intelligenz attestiert werden kann. Nicht, weil es IHRE Follower sind, sondern weil grundsätzlich alle doof sind außer Mutti.

Lektion 3: Dumme dumm nennen.

Nehmen Sie sich ein Beispiel an Herfried Münkler. Er nennt Dumme einfach dumm. Münkler kann es sich leisten, er ist Professor und einer der führenden Intellektuellen im Lande. Was er kann, können Sie schon lange. Zitieren Sie einfach mal Machiavelli, dann haben Sie neben sich noch einen der führenden politischen Philosophen als Alibi. Je mehr dumm sind, umso eher sieht man in Ihnen philosophische Tiefe und Intelligenz. Fallen Wahlen nicht so aus, wie Sie sich das wünschen, streuen Sie neben dem Wort „dumm“ noch „postfaktisch“ oder „White Trash“, „alter weißer Mann“ oder „Abstiegsangst“.

Ist es Ihnen jedoch zu hart, den Pöbel mal richtig zu beleidigen, machen Sie es etwas subtiler. Juli Zeh ist ein wundervolles Beispiel. Andere Menschen sind einfach mal nicht klug genug, um die richtige Meinung zu haben. Man sagt es ihnen nicht, gibt aber ein pädagogisches Beispiel.

Erwachsenenpädagogik ist im Kommen. Es heißt Nudging. Man muss diese bedauernswerten Menschen nur subtil genug zu ihrem Wohl führen. Wenn sie wirklich dumm sind, merken sie es gar nicht, sind am Ende aber glücklich. Als Versatzstück der Erwachsenenpädagogik hat sich folgender Satz besonders bewährt: „Ich verstehe Sie, aber denken Sie, dass das die Lösung ist? Ich sehe das vielmehr so: …..“ Punkt. Ende der Diskussion. Das Gegenüber hat etwas gelernt.

Lektion 4: Wenn es eng wird mit der Argumentation

Haben Sie Schwierigkeiten, Ihre Argumente durchzusetzen, weil die Faktendecke zu dünn ist, kein Problem. Es gibt retardierende Sätze wie „Das muss man im großen Zusammenhang sehen“ oder weniger kompliziert: „Das hängt von vielen Umständen ab“. Oder ganz kurz und knackig: „In der globalisierten Welt hängt alles zusammen.“ Nebelkerzen sind die Glanzlichter der Rhetorik. Unscharfes Argumentieren kommt immer gut. Das verstehen auch die Dümmsten.

Lektion 5: Menschlich sein

Haben Sie endgültig argumentativ Schiffbruch erlitten, flüchten Sie sich in Floskeln wie
„Menschlich und anständig sollte man immer sein“ oder „Humanität in diesem Zusammenhang aber wichtig“. Oder: „Das ist blanker Zynismus“. Geht gar nicht.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen ganz persönlich einen besonderen Kniff ans Herz legen. Betonen Sie nicht Ihre Menschlichkeit, jeder sieht ja, dass Sie ein Mensch sind, auch wenn Sie eigentlich so mechanisch argumentieren, wie man Autos baut oder im Kaufhaus Anzüge zusammenstellt, nämlich nach Baukastenprinzip.

Lektion 6: Statistiken diffamieren

Unterstellen Sie vielmehr Ihrem Gegenüber mechanische Logik und Unmenschlichkeit. Das fällt besonders leicht, wenn Sie Ihr Gegner argumentativ unter Druck setzt, indem er Statistiken verwendet.

Merke: Statistiken sind unmenschlich. Das funktioniert immer, da können Sie sich dann die Dummheit des Publikums zunutze machen. Wir sind zwar im postfaktischen Zeitalter, aber auch im prä-statistischen. Das Publikum mag Fakten, hasst aber Statistiken.

Niemand ist gern ein Algorithmus – das ist eine tiefe Kränkung. Aber Baukastenargumente sind natürlich etwas ganz Anderes.

An einem einfachen Beispiel der stereotypen Baukasten-Diskussion sei genannt, wie der Dreh funktioniert.

Nennen wir den einen netten Typen Jakob, der mit Fakten argumentiert. Und den nicht ganz so netten Thilo, der mit Statistiken operiert.
Jakob: „Was Sie machen, ist gefährlich. Es stimmt einfach nicht, was Sie da sagen.“
Thilo: „Welche meiner Zahlen wollen Sie widerlegen?“
Jakob: „Sie kommen mit angeblichen Statistiken, aber was Sie eigentlich machen, ist, dass Sie die Tür für Rassisten öffnen, die durch Sie ein Alibi haben. Das ist gefährlich.“
Thilo: „Welche Statistiken meinen Sie, widerlegen zu können?“
Jakob: „Darauf lasse ich mich nicht ein, auf Ihre angeblichen Zahlen“.
Thilo: „Das hat wohl seinen Grund.“

Na, merken Sie es? Fakten und Statistiken sind zweierlei. Fakten sind nämlich menschlich, haben einen Gefahrendetektor, bald wird es sogar eine Fakten-Behörde geben, #relevant. Statistiken sind hingegen unmenschlich unsensibel, #gehtgarnicht.

Fakultativ (für Ambitionierte): Lektion 7 – Bauen Sie Rechtfertigungsdruck auf

Jetzt nehmen wir mal an, Sie haben politische Ambitionen, wollen wieder zurück in die große Politik, wo Sie nicht mehr sind. Ihnen fehlt das Rampenlicht. Bringen Sie sich ins Spiel, indem Sie Begriffe kapern, die menschenverachtend sind.

Nafri ist so ein Begriff. Er ist noch viel böser als eine Statistik. Haben also Nafris etwas Schlimmes getan, was statistisch greifbar ist, greift Lektion 1 (#Einzelfall), aber dann kommt gleich ein Wendemanöver, wie beim geübten Segler.

Nafri als Abkürzung geht gar nicht. Setzen Sie also Polizisten oder andere Ihnen irgendwie unliebsame Ordnungshüter unter Druck, indem Sie ihnen Menschenverachtung unterstellen. Seien Sie ein Pirat, die können Wendemanöver besonders gut.

Wenn also die Polizei ungeschickt ist, weil sie mehr mit Arbeit als mit Pressemitteilungen zu tun hat, umso besser. Bringen Sie sie in die Defensive. Rudert Ihr Gegner zurück, kommen Sie damit in die Schlagzeilen und argumentativ in die Offensive.

Es spricht 2 Tage später niemand mehr über eine geglückte Polizeiaktion, statistisch belegbar mit dem Rückgang von Übergriffen von 97% gegenüber dem Vorjahr, sondern nur noch über das hässliche Wort, das rhetorisch wenig geübte Ordnungshüter verwenden und natürlich spricht man über Sie, #zurückinsrampenlicht.

Am besten prangern Sie die Wortwahl genau dann an, wenn kurz danach das Unwort des Jahres gekürt wird. Die „Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres“ wird Ihnen bestimmt zur Seite springen, #Wortpolizei. Dann erhalten Sie ein Denkmal, ohne etwas getan zu haben. Vielmehr haben Sie die erfolgreiche Polizeiaktion in Misskredit gebracht, indem Ihr Gegner seine gute Tat selbst durch Zurückrudern reflexartig entwertet hatte. Das ist rhetorische Finesse für Fortgeschrittene.

Quintessenz: Die Baukastenidee hat bei Möbeln, Autos, Partnersuche und in der schlechten Herrenmode obsiegt. Es wurde nun auch wirklich Zeit, dass dieses Prinzip bei Diskussionen Anwendung fand.

So argumentieren also nicht mehr Individuen mit Argumenten in Diskursen, sondern Aggregate mit Versatzstücken in Sprech-Fabrikhallen. #Berechenbarundmerktesnicht

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