Es ist ohne Zweifel, dass wir nicht die Werkzeuge hatten, die man in seinem Werkzeugkasten haben will.[1]
Die Sprache: ein Mittler und Mittel
Der Mensch existiert in einer Welt, die sich ihm nicht anders und die er sich nicht anders als durch Sprache erschließt. Und auch nicht anders als in dieser Reihenfolge: die Welt erschließt sich ihm stets vorrangig und er sie sich stets nachrangig durch Sprache. Denn als erstes macht sie ihn zum Hörer, der Sprache vernimmt, und dadurch als zweites zum Sprecher, der Sprache verwendet. Die Sprache ist ihm bereits im Vorhinein der Mittler der Welt, das Medium, das ihn umfasst, bevor sie ihm im Nachhinein zum Mittel wird, die Welt zu fassen. Was immer er darum mit Sprache erschließt, er ist zuvor schon von ihr umschlossen.[2]
Die Sprache vermittelt die Welt aber natürlich nicht objektiv, als Realität an sich, sondern nur als subjektive Sicht ihrer zahllosen Dinge: der Sprecher vollzieht je und je nichts als selektive Weltvermittlung, woraufhin ihm der Hörer nur gehorcht, wenn er sie fortan selbst betreibt und sich aller Selektion durch Sprache beugt. Faktisch verstehen sich weder Sprech- noch Hörakt jemals als neutrales, quasi wertfreies und weltoffenes Geschehen. Vielmehr fungiert noch jede verwendete und vernommene Sprache längst als Mittler einer Sicht von Welt, die wesentlich kein anderes als ein subjektives Urteil mitführt und mitzuteilen vermag.
Der Mensch, der Hörer und Sprecher verfügt insofern auch nicht über die Welt, wenngleich er sie als seinen Besitz wähnt. Ja, wie selbstverständlich ernennt er sich nicht nur zum Herrscher, sondern überhaupt zum Erzeuger von Welt, zumal sie für ihn selbst, in seinen Augen doch nur vorhanden und somit wirklich ist, weil und solange er selbst existiert. Dabei ist es umgekehrt: ihr Vorhandensein bringt seine Existenz erst hervor. Sowenig er aber als ihr Erzeuger firmiert,sowenig auch als der Erzeuger von Sprache selbst – er ist nur der Besitzer eines Wortschatzes, mittels dessen er sich eine Sicht der Dinge, eine Weltsicht zu eigen macht.
Die Sprache: ein Schlüssel und Werkzeug
Die Welt, die der Mensch vor Augen hat, gerät ihm darum eo ipso umso kleiner, je begrenzter sein Wortschatz ist, um sie als seine Sicht der Dinge zu fassen. Letztlich bemisst sich das, was er die Welt nennt, exakt an den Maßen seines Sprachvermögens.[3] Nur, welche Welt vermag er überhaupt in Worte zu fassen? Doch keine größere und andere als gerade seine je eigene. Sein Wortschatz steht in Konsequenz auch immer nur für seine Sicht eigener Dinge – für keine andere und nichts anderes. Zeitlebens im Wahn, selbst der Erzeuger von Welt und Sprache zu sein, übereignen ihm diese unterdessen bloß die Mittel: einen – ungeachtet aller Dimension – stets begrenzten Wortschatz zur Vollendung eigener Ansichten.
Das Sprachvermögen eines jeden Menschen, sein geschätztes Mittel, dient ihm so allererst als Schlüssel und Werkzeug.[4] Wobei die Schlüsselfunktion von Sprache, wie sie vornehmlich im Kultur- und Bildungsbetrieb kursiert, schon einer Romantisierung das Wort redet. Jedenfalls dann, wenn die Metapher des Schlüssels nur der eindimensionalen Einsicht zum Durchbruch hilft, dass Sprache der Erschließung von Räumen dient, d.h.: einer je eigenen Raumsicht, sei es jener der Kultur oder Natur. Dann leugnet Sprache ihre Umkehroption der Verschließung von Räumen. Erst diese trägt – wider alle Romantik – der Willkür Rechnung, mit der sich der Einzelne Zutritt verschafft, Räume für sich beansprucht, um sie sogleich zu verriegeln.
Die Metapher des Werkzeugs hingegen reflektiert – über die Doppelfunktion von Sprache als Schlüssel hinaus – überhaupt auf ihre universelle Funktion. D.h., darauf, was sie im Horizont des je eigenen Wortschatzes alles zu leisten vermag. Gerade ihr vermeintlich totales Potential spottet jeglicher Romantisierung. Wer Sprache erstmals als Werkzeug begreift, der gibt sich nicht mehr mit dem Auf- und Zuschließen von Räumen zufrieden: der bedient sich ihrer, um sie, aller Grenzen des je eigenen Wortschatzes zum Trotz, jeglichem Denken und Tun so frei – wie preiszugeben. Mit seinem Vokabular als Werkzeug nimmt der Mensch Räume nicht mehr allein in Besitz, er macht mit ihnen schlicht, was ihm zupass kommt.
Der persönliche Wortschatz eines jeden ist insofern sein ganz eigener Sprachwerkzeugkasten, mit dessen Inventar er seine Sicht der Dinge mehr oder minder tauglich zusammenstellt. Als Grundregel dabei gilt: tendenziell nimmt das Wort, das jemand denkt, hört und spricht nur die Tat vorweg, die es bezeichnet. So plant der Mensch zunächst, was er zu tun gedenkt, er bildet und fertigt Ansichten, um sie dann ins Werk zu setzen. Und zwar in einem, was die Natur als Raum betrifft, wörtlich direkten Sinne: hier bleibt kein Zweifel virulent. Sein Vokabular wird ihm zum Bagger, zur Fräse und Säge, zum Bohrer und Dübel – längst bevor er aller Welt, wie seine Pläne es verheißen, das Handwerk legt und sie allerorten nutzbar macht.
Das Bauwerk: eine Bohrinsel
Die Natur hält zwar nicht jeder Nutzung stand, indessen still. Nicht dass sie schwiege und sich entzöge. Nur entlässt sie Lautbilder, die der Mensch – und zwar nicht erst der selbst ernannte „moderne“ – wenngleich wahrzunehmen, so doch niemals zu verstehen vermag. Die Frage isteinzig, was er überhaupt aufnimmt, nachdem er sie total objektiviert und sich mit aller Macht der Ihrigen entledigt hat? Allerdings betrifft ihn diese Frage nicht, als dass sie ihm mehr als in den Sinn käme; sondern auch zu Leibe rückte. Wie begeistert von sich, geht er darin auf, seine An- und Absichten zu sublimieren; wobei diese Sichten Omen gleich allein die Initiale seiner Taten bilden. Sein verbales Werkzeug verweist auf dessen reales Pendant.
Das offenbart summarisch den Theorievorteil von Sprache: dass sie jeden Menschen als ihren Nutzer instand setzt, sich übers Verbale einen Weg ins Reale zu bahnen. So betritt er schon in Gedanken die Natur als Raum, indem er sie mit Namen besetzt, begrenzt, bestimmt und damit als Kulturraum annektiert. Zum Zeichen seiner Annexion verrichtet er in der Folge vom Wort zur Tat ein logistisches Werk. Im Falle einer Bohrinsel avisiert er, die Elemente zur gleichen Zeit zu unterwerfen: ob Luft, Wasser und Land – er tritt der Naturgewalt synchron entgegen, womit eine Bohrinsel das Bauwerk schlechthin bezeichnet. Als Produkt verbalen wie realen Werkzeugs legt sie wie kein anderes Zeugnis eines vermeintlichen Triumphes ab.
Der Symbolstatus einer Bohrinsel beschränkt sich gleichwohl mitnichten darauf, menschliche Naturdominanz zu vereinen. Als Bauwerk schlechthin bezeugt sie mehr als perfekt rationale Hegemonie. Ihr Status erweist sich zuletzt darin, dass sie allseits die Genese anderer Werke initiiert. Schon ihr Zweck besteht – wie der eines simplen Bohrturms auf Land – allein darin, Treibstoff für weitere, immer neue Zeugnisse industrieller Kultur zu liefern, um so noch jedes Machwerk der Moderne anzutreiben. Aus deren Sicht versteht sich eine Bohrinsel darum als Bauwerk niemals für sekundäre, sondern stets für primäre Zwecke, d.h., als Werkzeug eines wahrhaft schöpferischen Wirkens – als kolossale Kraftpumpe des Fortschritts.
Der Werksnutzen: das Öl – ein Traum von Macht
Die Namen von Bohrinseln verraten bereits ihre Erbauer: sie entlarven jenen Geist, von demsich alles Moderne durchdrungen weiß. Ohne Zweifel sind diese Namen Programm. Was sich selbstgewiss Sovereign Explorer, Discoverer Inspiration, Discoverer Enterprise, Deepwater Millenium, Deepwater Champion oder Deepwater Horizon nennt, das prononciert jedweden Anspruch auf Hoheit. Auch lässt es buchstäblich die Treue erahnen, mit der sich die Erbauer als Stellvertreter ihrer Spezies ans Werk begeben, um eines gemeinsamen Traums von Macht wegen Öl zu gewinnen – Kultur zu stiften. Dass der Traum sich indes zu jeder Zeit in dessen Gegenteil, einen Albtraum verkehren kann, ist bloß Naturgesetz.
Der Empirie nach weiß der Mensch um solche Dialektik. Nur ist sie ihm derart verhasst, dass er sie wenigstens abzustreiten, wenn nicht mattzusetzen sucht, wann immer er kann; gemahnt sie ihn doch aufzuhorchen und sich bewusst zu machen, dass jegliches Leben – also auch sein eigenes Sein und Haben – stets zwei Konstanten und ihren Grenzmarken unterliegt. Die eine, die qualitative Konstante impliziert die Punkte „Gewinn und Verlust“: Nutzen und Schaden. Die andere, die quantitative, die Punkte „Alles und Nichts“: Viel und Wenig. Jegliches Leben bedeutet ein Da-zwischen-Sein, ein Geschehen zwischen Position und Negation. Nichts eignet seiner empirischen Realität so unbedingt, wie die ihrer dialektischen Extreme.
Das negative Moment indes spielt im Sichtfeld des Menschen zwar keine unwirkliche, jedoch- was seine Mentalität betrifft – eine eher unwesentliche Rolle. Sein verbales Werkzeug ist wie sein reales im Prinzip auf die Verwirklichung eines Traums, denn auf die Verhinderung eines Albtraums abonniert: wie selbstverständlich erklärt und erwirkt er nur die Erschließung einer Ölquelle, nicht aber ihre Verschließung. Dabei mangelt es seinem Naturverständnis nicht etwa primär an Weit-, Vor- oder Rücksicht. Schwerer als sein ethisches wiegt sein hermeneutisches Defizit. Seine chronische Kurzsicht in Wort und Werk ist allein authentisches Produkt seines Selbst, das die alleinige Macht sich monologisch verspricht und verleiht.
Der Werksschaden: die Ölpest – ein Albtraum von Ohnmacht
Die simple Option, diesen Monolog zu beenden oder zu unterlassen, bleibt illustrer Phantasie vorbehalten – bar jeder Realität des real existierenden Menschen. Was ihm bereits in Grenzen der Kultur zu schaffen macht – einen Dialog zu führen -, das gibt ihm jenseits davon sogleich bloß Rätsel auf. Wie um alles könnte er mit der Natur in ein Gespräch treten und wie um alles sie mit ihm? Schon seines Menschseins wegen scheint das unmöglich! Wenn er je etwas sein „Schicksal“ heißt, dann jenes, sich von ihr zu emanzipieren, zu lösen und sie zum Kulturraum zu verkehren. Gerade so, wie es ihm sein mythischer Traum kundtut: seine Megavision, kraft Macht der Kultur Natur außer Kraft zu setzten – und sich selbst über sie hinweg.
Der andere, ein Albtraum voller Ohnmacht tut sich exemplarisch als Ölpest kund. Das Fatum der Deepwater Horizon besiegelt nicht nur das einer Vision, sondern – weit mehr – zuletzt das einer Sichtkultur der Dinge, die als Wirklichkeit nur noch das wahrzunehmen vermag, was ihr selbst sich als solche erweist. Im Grunde abstrahiert der Mensch, indem er sich Naturgesetze zu unterwerfen sucht, stringent von deren dialektischer Faktizität. Je autonomer er sich wähnt, umso weniger meint er, die Wirklichkeit jedes Lebens als eine zweipolige achten zu müssen. Vom Selbstgespräch beglückt, träumt er von der Macht, ihr die Fixpunkte des „Verlusts“ und des „Nichts“ zu entwenden, d.h., sie um die Möglichkeit der Negation zu bringen.
Das Regime jeder Kultur reicht jedoch dazu nicht aus. Kaum dass sie sich anschickt, je und je ihren Triumph zu feiern, kommt der Mensch sich in die Quere. Zwar scheint er mit der Natur in gewisser Hinsicht wohl – allerdings mit sich nicht fertig zu werden. Wie auch? Er löst sich nur von aller Natur als Objekt seiner An- und Absichten, unmöglich aber von ihr als Subjekt, der Instanz allen Lebens: ihr bleibt er vollends verhaftet. Sein ganzes Sinnen nach Autonomie reflektiert nur seine Borniertheit. Es übersieht selektiv, dass jedwedes Leben als ein Sein und Haben zugleich ein Nicht-Sein und Nicht-Haben birgt: dass Nutzen und Schaden zwei Seiten ein und derselben Wirklichkeit sind – wie Macht und Ohnmacht, Öl und Ölpest.
Die Sprache im Gebrauch: ein Blendwerk
Das Faktum der Dialektik verlangt freilich nach Abstraktion. Wie anders wäre es zu ertragen? Schon die Permanenz von „Gewinn und Verlust“, „Alles und Nichts“ dekretiert geradezu, dieEbene des „positiven Denkens“ zu betreten. Ja, der Selbsterhalt verleitet den Menschen, selbst die Negation prompt zu negieren, weil ihm ihre Realität und damit überhaupt die allen Lebensunerträglich suspekt ist. Allein wenn es ihm gelänge, mit ihr jemals übereinzukommen und in ihr sich einzufinden, führte er tatsächlich ein Leben gemäß der Natur: dann wäre er wahrhaft ein Realist – quasi gleichermaßen Optimist wie Pessimist. Was selbst als Utopie noch grotesk anmutet, solange er einer Kultur vorsteht, die ihn notorisch als „Gewinner“ hofiert.
Der „Positivismus“ versteht sich damit nicht als irgendeine, nur philosophische Sichtkultur: er ist durchaus im Menschen angelegt – ein Erbe der Natur, ein Elementartrieb zum Zwecke des Selbsterhalts! Letztlich verhilft er, die Dinge blindlings „besser“ zu sehen, als sie realiter sind: also sich und anderen mit Worten etwas vorzumachen. Alltäglich benutzt so der Mensch seine Sprache als Blendwerk und mutiert darüber allemal zum Blender. Wo immer es gefordert ist, Gewinnchancen groß- und Verlustrisiken kleinzureden, da scheint er wie prädestiniert, sich in Selbst- und Fremdbetrug zu verstricken. Es nimmt somit nicht wunder, dass auf dem Bodenökonomischer Interessen das ordinäre Betrugswesen besonders floriert.
Die Maße der Interessen spiegeln nur jenes von Lug und Trug. Bohrinseln wie die Deepwater Horizon erzielen und binden hier Maximaldaten. Aber nicht im erwarteten Nutzens-, sondern im unerwarteten Schadensfall, zumal im Laufe einer Katastrophe, treten sie hervor. Erst dann klärt sich – und sei es durch wirren PR-Jargon -, dass weniger die Erfüllung, als vielmehr eine Verfehlung von Interessen und Zwecken über das Betrugsszenario, also das Gesamtmaß eines medialen Blendwerks entscheidet. Dieses Maß offenbart unterdessen nicht bloß ökonomische Aspekte, sondern – wie seine totale Ausschöpfung paradox indiziert -, zugleich physische wie moralische: gerade die Stärke der Blendung bezeugt die Ohnmacht der Blender.
Die Sprache im Verbrauch: kein Mittel – kein Werkzeug
Das volle, das wahre Ausmaß der Katastrophe erweist sich indes in ganz anderen Parametern. Jenseits dessen, was Sprache erfasst. Da mag der Mensch Worte machen! So „viele und gute“ gibt es unmöglich, als dass es ihnen gelänge, die ökologische Dimension des Geschehens nur im Ansatz zu umreißen. Und überhaupt: es geht im Grundsatz weder um eine Menge noch Güte von Worten – es geht nicht mal um ihr Vorhandensein. Denn für das, was sich mit dem Namen Deepwater Horizon verbindet, gibt es, wie alle Worte belegen, keine Worte: sie sind zur Neige und zu Nichte gegangen. Sie fehlen. Jedoch nicht, weil diese Ölpest der Superlative sich jeder Verbalisierung entzieht. Sondern, weil sie sich ihrer entledigt – sie aufhebt.
Der trotzige Versuch, dennoch Worte zu finden, enthüllt wiederum nur die Ohnmacht derer, die ihr Sprachversagen – stellvertretend für alle anderen – blendend verleugnen. Dabei wissen sie darum durchaus, indem sie, und sei es unbewusst, eingestehen, dass ihnen jegliche Mittel fehlen, um die Katastrophe abzuwenden oder drastisch einzudämmen.[5] Ein Eingeständnis, das alles sagt, weil es, wie kein anderes Wortzeugnis wahrheitsgetreu, vom verbalen auf das reale Defizit hinweist. Wem aber das reale Werkzeug fehlt, um ein Ökodesaster zu verhindern, dem steht in Wahrheit auch kein verbales zur Verfügung. Jedes Wort, was doch gebraucht wird, istim Grunde verbraucht – vollendete Verblendung. Lug und Trug in Potenz.
Die Fakten der Natur entsprechen daher mitnichten jenen, welche die Kultur durch Sprache zu ermitteln vermag. Dazu nützte selbst „bestes“ Verbalwerkzeug nichts, da Zeugnisse der Naturfür sich sprechen, d.h., sie verlautbildlichen sich auf ihre eigene Weise, ohne dass der Menschsie rudimentär zu decodieren, geschweige denn, als solche Fakten zu kommunizieren wüsste. Wie sollte er das auch? Das ihm Mögliche ist, die Lautbilder der Natur aufzunehmen – sie zu hören und zu sehen. Das unbedingt Notwendige aber: sie zu verstehen und zu achten, um eine Katastrophe je zu vermeiden, eignet ihm nicht. Ohne Werkzeug, die Dinge zu richten, steht er bloß am Abgrund seiner Kultur. Dann richtet die Natur über ihn. Und sein Vokabular.
Die Sprache am Ende: kein Mittler
Das Sprachversagen im Angesicht einer fatalen Ölpest spiegelt letztlich nur die Faktizität aller Naturgesetze. Es macht offenkundig, dass der Mensch samt seiner Kultur und Sprache in jene Dialektik eingereiht bleibt, die jede Zelle universal durchwaltet. Mag er sich suggerieren, die Sprache, sein genialisches Werkzeug, sei ein Erzeugnis seiner Kultur – im letzten Sinne ist sie es nicht. Das Vermögen zu sprechen, ergibt sich bloß aus der Verbindung mit der Natur, wie das Versagen aus der Loslösung von ihr. So oder so, beides verweist auf die Relationalität des Menschen zur Natur als Grundprinzip seiner Existenz. Alles, was er ist und hat – seine Kultur besteht nur, weil Natur besteht: sie ist der Nährboden, auf dem seine Hybris gedeiht.
Die Kultur als Naturerzeugnis aufzufassen, versteht sich freilich als Binsenweisheit. Obgleichdie Konsequenzen, die daraus resultieren, eben wieder zur Abstraktion einladen. Zu lästig, ja lastvoll drückt die Einsicht, dass mit jeder Reduktion der Natur als Raum eine ebensolche der Sprache in Gestalt des einzelnen, jedes individuellen Wortschatzes einhergeht. Zumal daraus folgt, dass die Sprache als Mittler der Welt dem Menschen de facto nur dann zur Verfügung steht, wenn er der Natur als solcher, als Subjekt, als Instanz allen Lebens ihren eigenen Raum als Natur belässt. Denn eines ist klar: der Kollaps einer Kultur, der im Fatum einer Bohrinsel aufscheint, schließt den der Natur nicht unbedingt ein – umgekehrt schon.
Der Mensch bleibt somit – und im gleichsam optimistischen Sinne – „gut“ beraten, der Natur mindestens so viel Raum zu gewähren, wie sie zur Aufrechterhaltung seines Kulturraums und schlussendlich zur Erhaltung seiner Spezies benötigt. Dass er ihr mit Sicherheit – schon wegen des verbalen wie realen Werkzeugs, das er mit sich führt -, keinen Deut zu viel überlässt, steht indes auf einem anderen Blatt. Nur wäre es umgekehrt, jedenfalls im Horizont der Dialektik von Naturgesetzen, gewiss nicht pessimistisch, zu meinen, dass er, der selbsternannte Potentat aller Welt, seine Herrschaft über sie mit seiner Entfremdung von ihr bezahlt. Das ist längst zu kurz gegriffen. Realistisch besehen, bezahlt er sie mit seiner Entmachtung.[6]
[1] BP-Chef Tony Hayward in einem Interview mit der Financial Times am 02.06.10
[2] Zum Verständnis von Sprache als Mittler der Welt vgl. H.-G. Gadamer, Hermeneutik II, Tübingen 1986, S. 149
[3] In Analogie zur AuffassungL. Wittgensteins („Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“); Tractatus logico-philosophicus 5.6, Frankfurt 2003, S. 86
[4] Zum Verständnis von Sprache als Werkzeug vgl. Platon, Kratylos 387a – 388din: Platon, Werke in acht Bänden griechisch und deutsch; hg. und überarb. V. Gunter Eigler, Bd. 3: Phaidon. Das Gastmahl. Kratylos; bearb. v. D. Kurz, griech. Text v. L. Robin und L. Meridie, deutsche Übersetzung v. F. Schleiermacher, 3. Aufl. Darmstadt 1990
[5] Siehe Anmerkung 1
[6] In kritischer Fortführung von M. Horkheimer und T. W. Adorno („Die Menschen bezahlen die Vermehrung ihrer Macht mit der Entfremdung von dem, worüber sie Macht ausüben.“); Dialektik der Aufklärung, 17. Aufl. Frankfurt 1988, S. 15
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