Schriftsteller und Parteisoldat – Zum Tod des Schlesiers Günter Görlich

Am 14. Juli 2010 verstarb in einem Hospiz in Berlin-Lichtenberg der DDR-Schriftsteller Günter Görlich (1928-2010). Die Beisetzung wird am 10. August auf dem Friedhof in der Landsberger Allee stattfinden. Geboren am 6. Januar 1928 in der schlesischen Hauptstadt Breslau, wurde er 1944 noch als Flakhelfer eingezogen und geriet 1945 in sowjetrussische Gefangenschaft. Aus dem Kriegsgefangenenlager im nördlichen Ural, wo er im Steinkohlebergbau eingesetzt war, kehrte er 1949 nach Ostberlin zurück, wurde zunächst Bauarbeiter und 1950 „Volkspolizist“. Nach einem Pädagogikstudium 1951 war er Erzieher im Jugendwerkhof „Struveshof“ bei Ludwigsfelde und 1953/58 Erzieher im Lehrkombinat in Ludwigsfelde im heutigen Landkreis Teltow-Fläming bei Berlin.
Er trat 1956 dem DDR-Schriftstellerverband bei, studierte 1958/61 am Leipziger Literaturinstitut in der Tauchnitzstraße, wo er am 15. Januar 1961 von der Bezirksverwaltung der „Staatssicherheit“ zur konspirativen Mitarbeit angeworben wurde, um zwei als oppositionell geltende Kommilitonen auszuhorchen. Diese Tätigkeit setzte er in verstärktem Umfang fort, als er 1964 nach Ostberlin umgezogen war, wo er Mitglied im Bezirksverband Berlin des Schriftsellerverbands und von 1969 bis 1989 zudem dessen Vorsitzender wurde.
Seit 1964 arbeitete Günter Görlich, der 1955 der SED beigetreten war und danach in Partei und Jugendverband zentrale Positionen als Kulturfunktionär einnahm, als freier Schriftsteller. Zwischen 1958 und 2003 erschienen 27 Bücher von ihm, von denen die Romane „Den Wolken ein Stück näher“ (1971) und „Eine Anzeige in der Zeitung“ (1978), der 1980 auch verfilmt wurde, sowie der Erinnerungsband „Keine Anzeige in der Zeitung“ (1999) die bekanntesten sind. In den beiden Romanen wird der DDR-Schulalltag thematisiert, im ersten geht es um den unerwarteten Tod eines beliebten Lehrers, im zweiten um einen Lehrerselbstmord.
Für seine von „Parteilichkeit“ und SED-Nähe erfüllten Bücher wurde der Autor zweimal mit dem FDGB-Kunstpreis (1966/1973), zweimal mit dem „Nationalpreis“ (1971/1978), einmal mit dem Ehrentitel „Held der Arbeit“ (1974) und einmal mit dem „Vaterländischen Verdienstorden“ (1985) ausgezeichnet.
Aufschlussreich für seine schlesische Biografie ist, dass er schon 1963 in seinem Roman „Das Liebste und das Sterben“ Flucht und Vertreibung aufgearbeitet hat. Die aus Oberschlesien stammende Familie Marula wurde 1945/46 auseinander gerissen, ein Teil lebt in den Westzonen, ein Teil in der SBZ. So erlebt sie die deutsche Nachkriegsgeschichte aus verschiedener Perspektive!

Über Jörg Bernhard Bilke 261 Artikel
Dr. Jörg Bernhard Bilke, geboren 1937, studierte u.a. Klassische Philologie, Gemanistik und Geschichte in Berlin und wurde über das Frühwerk von Anna Seghers promoviert. Er war Kulturredakteur der Tageszeitung "Die Welt" und später Chefredakteur der Kulturpolitischen Korrespondenz in der Stiftung ostdeutscher Kulturrat.

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