„,Ich glaube, das Wichtigste ist, irgendwas zu verändern‘, sagte sie. ,Du weißt schon, wirklich zu verbessern. (…) Nicht gleich die ganze Welt. Nur das kleine Stück um dich rum.‘“ Mit diesen Worten beginnt die für mich lesenswerteste, tragisch-komischste, bitter-süßeste Liebesgeschichte des Sommers 2009. Geschrieben hat sie der 1966 geborene britische Autor David Nicholls. Auf bemerkenswert hohem Niveau entwickelt sich sein Roman von einem leichten und weniger prekären Anfang zu einem stoischen, inhaltsvollen, ja expressiven Ende.
„Wofür sind Tage gut? / In Tagen leben wir. / Sie kommen, wecken uns, / immer von neuem. / Sie sind zum Glücklichsein: / Wo könnten wir sonst leben als in Tagen? …“ Das Gedicht „Tage“ von Philip Larkin stellt David Nicholls seiner Erzählung voran. Über neunzehn Jahre und zwar immer an ein und demselben Tag, dem 19. Juli, beginnend im Jahr 1988, begleitet Nicholls seine Protagonisten Emma Morley und Dexter Mayhew und beleuchtet deren Leben.
Dieses werden die beiden tatsächlich im Laufe der Jahre verändern. So wird aus dem smarten, verwöhnten und aus wohlhabendem Elternhaus stammenden College-Absolventen Dex ein mehr oder weniger erfolgreicher, aber mittelmäßiger Fernsehmoderator, der seine Liebschaften in konstantem Rhythmus wechselt, sich mit Drogen und Alkohol jedoch nach und nach den vermeintlich sicheren Ast, auf dem er sitzt, selbst absägt. Em hingegen, die intelligente Studentin mit dem vorzeigbaren Einser-Examen bekommt anfänglich keinen Fuss in die erhoffte Karrierewelt und trudelt von Aushilfsjob zu Aushilfsjob. Ihre hochgesteckten Ambitionen – sie möchte ein Buch schreiben, Schriftstellerin werden – scheinen sich nicht zu erfüllen.
„Wir sind nicht mehr wir selbst, stimmts?Ich zumindest nicht. Aber du auch nicht. Du bist nicht mehr du selbst. Jedenfalls nicht, wie ich dich in Erinnerung habe.“, stellt Em nach fünf Jahren bei einer ihrer Zusammentreffen resigniert fest. Die riesigen Erwartungen der Jugendzeit sind Enttäuschungen und Kompromissen gewichen.
Ihrer beider Leben verläuft stetig nebeneinander – „Em und Dex, Dex und Em“ – aber doch irgendwie aneinander vorbei. Man spürt es, sie gehören eigentlich zusammen, immerwieder zeigen sich Schnittmengen, kommt es zu gelegentlichen Kreuzungen, und doch gelingt es ihnen wie den zwei Königskindern aus dem alten deutschen Volkslied scheinbar nicht zusammenkommen…
Nicholls lotet menschliche Charaktere in ihrer ganzen Vielfältigkeit aus. Erwartungen und wie sie das Leben manchmal zunichte macht, sind das Thema des Buches. Durch Andeutungen und Auslassungen schafft er ein stetiges Neugierigmachen und „Treiben“ durch den Text und eine enge emotionale Bindung des Lesers an die beiden Protagonisten. Hervorzuheben ist gleichfalls die Beschreibung von Schauplätzen mit Liebe zum Detail, ohne ausufernd zu werden.
Der englische Text wurde feinfühlig und sensibel durch die Übersetzerin Simone Jakob ins Deutsche übertragen.
Fazit:
Ohne Kitsch und Rührseligkeit erzählt David Nicholls mit schlichten, aber unglaublich lebendigen Worten eine bezaubernde Liebesgeschichte auf hohem literarischen Niveau, die sich in die Gehirngänge eingräbt und schneller zu Ende ist, als einem lieb ist.
„Dies war für mich ein denkwürdiger Tag, da er gewaltige Veränderungen in mir bewirkte. Doch das gibt es in jedem Leben. Man stelle sich vor, ein ganz bestimmter Tag würde daraus gelöscht, und überlege dann, wie anders dieses Leben verlaufen wäre. Du, der du das liest, halt ein und denke für einen Augenblick an die lange Kette aus Eisen oder Gold, aus Dornen oder Blumen, die dich niemals gefesselt hätte, wäre nicht an einem denkwürdigen Tag ihr erstes Glied geschmiedet worden.“
(Charles Dickens, Große Erwartungen)
David Nicholls
Zwei an einem Tag
Titel der Originalausgabe: One Day
Aus dem Englischen von Simone Jakob
Kein und Aber, Zürich (Juli 2009)
544 Seiten, Gebunden
ISBN-10:
ISBN-13: 978-
Preis: 22,90 EURO
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