Interview mit dem Präsidenten des Bundesrechnungshofes, Professor Dieter Engels

„Der Bundesrechnungshof, dessen Mitglieder richterliche Unabhängigkeit besitzen, prüft die Rechnung sowie die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes. Er hat außer der Bundesregierung unmittelbar dem Bundestag und dem Bundesrat jährlich zu berichten.“ (Artikel 114 Grundgesetz)

Wenn es um das Offenlegen von Misswirtschaft und Steuerverschwendung geht, ist der Bundesrechnungshof nicht weit. Zwar hat die in Bonn ansässige Einrichtung eine im Grundgesetz verfasste Legitimation, gleichwohl sind ihre Sanktionsmöglichkeiten gering. Doch nicht zuletzt der immer stärker gewachsene Druck zu nachhaltigem wirtschaftlichem Handeln hat die Bedeutung und den Einfluss dieser Obersten Bundesbehörde wachsen lassen. Seit acht Jahren steht Dieter Engels, 60, als Präsident an der Spitze des Bundesrechnungshofes. Anlässlich eines Besuchs im Kölner Presseclub sprach Constantin Graf von Hoensbroech mit dem promovierten Juristen.

Herr Professor Engels, nach dem für die FDP enttäuschenden Landtagswahlergebnis in Nordrhein-Westfalen verabschieden sich die Liberalen von ihren Steuersenkungsplänen, mit denen die Bürger ab dem Jahr 2012 entlastet werden sollten. Hätte es aus Sicht des Bundesrechnungshofes dafür überhaupt Spielraum gegeben?

Lassen Sie mich bitte vorweg Folgendes betonen, damit kein falscher Eindruck entsteht: Der Bundesrechnungshof ist nicht gegen Steuersenkungen. Gleichwohl zeigt in der gegenwärtigen Lage allein der Blick auf die nackten Zahlen, dass es für kreditfinanzierte Steuersenkungen gar keinen Spielraum gibt.

Wie sehen denn die nackten Zahlen aus?

Der Bund gibt jährlich 170 Milliarden Euro für Sozialleistungen sowie 37 Milliarden Euro für Zinsen aus. Damit sind die Steuereinnahmen bereits ausgeschöpft. Hinzukommen 39 Milliarden Euro für Personal- und Pensionsausgaben, 28 Milliarden Euro für Investitionen sowie 53 Milliarden Euro für übrige Bereiche. 25 Prozent der Ausgaben müssen somit über Kredite finanziert werden.

Haben Sie Vorschläge, wie der Bund seine Einnahmeseite verbessern und auf der Ausgabeseite sparen kann?

Der Bund braucht eine Strategie für den Schuldenabbau und die Haushaltskonsolidierung. Dazu gibt es aus unserer Sicht verschiedene Möglichkeiten. So ließen sich beispielsweise etwa zehn Prozent des jährlichen Beschaffungsvolumens des Bundes für Waren und Dienstleistungen, zurzeit etwa 65 Milliarden Euro, durch Effizienzgewinne einsparen. Steuerausnahmetatbestände müssen ebenso auf den Prüfstand wie die Subventionen. Da ist vieles nicht mehr zeitgemäß. Sozialverträgliche Einsparungen im zweistelligen Milliardenbereich sind möglich.

Ihre Behörde prangert seit Jahren die mangelhafte Steuergerechtigkeit an…

Das ist in der Tat seit etwa zehn Jahren eines unserer großen Themen. Nach seriösen Schätzungen könnten etwa bei der Lohn- und Einkommenssteuer jährlich zwischen 8,4 und 11,5 Milliarden Euro mehr eingenommen werden, wenn die Steuern so erhoben würden, wie sie erhoben werden müssten. Allein die konsequente Umsetzung geltender Gesetze könnte also zu wesentlichen Mehreinnahmen führen.


Welchen Einfluss haben die Wirtschafts- und Finanzkrise sowie die damit zusammenhängenden politischen Entscheidungen auf Ihre Arbeit?

Da gibt es Einiges. So haben wir beispielsweise ein eigenes Team aus über 30 Mitarbeitern gebildet, das sich mit der Prüfung der von der Bundesregierung verabschiedeten Konjunkturpakete befasst. Außerdem sind wir beim sogenannten Bankenrettungsschirm beteiligt, weil wir auch die Geldhäuser, die aus dem Bundeshaushalt Geld erhalten, prüfen. Und drittens prüfen wir seit drei Jahren nun auch die gesetzlichen Krankenkassen.

Können Sie Erfolge verbuchen?

Durch unsere Prüfungen legen wir nachrechenbar jährlich einen Effizienzspielraum zwischen 1,5 bis zwei Milliarden Euro offen. Wahrscheinlich ist die Summe deutlich höher, weil wir in einem Jahr nunmal nicht den gesamten Bundeshaushalt prüfen können. Zudem beobachten wir, dass die meisten Ministerien und Behörden immer offener mit den Vorschlägen des Bundesrechnungshofes umgehen.

Wer kontrolliert eigentlich den Bundesrechnungshof?

Der Rechnungsprüfungsausschuss des Deutschen Bundestags. Und er macht das sehr gewissenhaft und kommt jährlich mit einer größeren Gruppe von Berlin nach Bonn. Wir sind immerhin eine Bundesbehörde mit über 1200 Mitarbeitern und einem Etat von rund 110 Millionen Euro.

Im Grundgesetz wurde im vergangenen Jahr die Schuldenbremse verankert, die den Bundesländern praktisch die Kreditaufnahme verbietet und dem Bund für neue Schulden enge Grenzen setzt. Was versprechen Sie sich davon?

Die Schuldenbremse ist ein erster Schritt in die richtige Richtung und vom Ansatz her effektiver als die bislang im Grundgesetz beschriebenen Regelungen zur Schuldenbegrenzung. Gleichzeitig ermöglicht sie in Krisenzeiten Spielräume, etwa für ein strukturelles Defizit von neun Milliarden Euro nach heutigen Werten. Unter dem Diktat der Schuldenbremse werden nun womöglich alte Forderungen wichtig und Maßnahmen ergriffen, um Steuergerechtigkeit herzustellen. Dazu zählt vor allem die Entflechtung des Kompetenzwirrwarrs zwischen Bund und Ländern und mehr Transparenz bei den Finanzströmen. Die Form des beschönigend umschriebenen kooperativen Föderalismus, in der nicht mehr nachvollziehbar ist, wer eigentlich fachlich, finanziell oder parlamentarisch Verantwortung trägt, muss aufhören. Auch hier sehen wir Entlastungspotentiale im zweistelligen Milliardenbereich.

Um wesentlich größere Summen geht es bei der Sanierung von Griechenland. War der Bundesrechnungshof mit Bezug auf den deutschen Beitrag eingebunden?

Nein, hier handelt es sich um eine politische Entscheidung, die der Bundesrechnungshof nicht zu beurteilen hat. Ich kann nur soviel sagen: Es ist durchaus positiv, dass die Bundesregierung eine Entscheidung zur Griechenland-Hilfe über den Bundestag gesucht hat, obwohl das nicht nötig gewesen wäre. Der im Haushaltsgesetz festgelegte Bürgschaftsrahmen ist um einiges größer als die nun beschlossenen Garantien. Ich würde mir allerdings von allen Beteiligten, auch von den Medien, neben europapolitischen Argumenten eine größere Wertschätzung ökonomischer Argumente wünschen.

Herr Professor Engels, vielen Dank für das Gespräch.

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