Die Aufgabe des Denkens und das Geviert

1.Akademische Annahme des Gevierts Nach meiner Auffassung lassen sich vier gut differenzierte Momente festlegen:
a)Seminaretappe:
Die Anfänge des Gevierts sind seine besten Zeiten. Die Seminare eines auf die schwarze Liste gesetzten Heideggers, an denen eine ausgewählte Zuhörergruppe teilnahm, die zwar nicht zahlreich, aber treu waren (sogar der Gestapo-Spion legt seine Identität gegenüber seinem Meister offen[1]). Diese Seminare werden zu einer chiffrierten Botschaft (symbolisch), die an die nicht niedergeschriebenen Lehren der Schule Platons erinnert.
b)Nach 1945: Zusammenbruch nach Verlust der Zuhörerschaft:
Fern davon, eine Schule zu begründen, verliert Heidegger nach 1945 seine Zuhörer. Schon seit einiger Zeit hatte er nicht mehr für die Nationalsozialisten gesprochen, und nach dem Krieg straften die Alliierten Heidegger durch Entzug der Lehrbefugnis, der venia docendi: Er verlor seine Schüler. Als er sich dessen bewusst wurde, brach er zusammen[2]. Ein Psychiater und alter Freund musste ihm beistehen. Aber er erholte sich erst, als er wieder Zuhörer hatte; also als drei Wochen später Beaufret und Towarnicki ihn als Lehrer anerkannten und zu ihm kamen, um ihn zu hören. Erst dann erholte sich Heidegger und kehrte von seinem Rückzugsort zurück, um 1949 die reife Formel des Gevierts zu erlangen. Auch wenn er trotz des Rückgewinns seiner Zuhörerschaft noch kein Verständnis erreicht hatte – und vielleicht deshalb -, kümmerte sich Heidegger stark um die Herausgabe seines Werks in Erwartung zukünftiger Zuhörer (wie die von Nietzsche). Kurioserweise werden eben die Nietzscheaner, angeleitet vom schwachen Denken, Heidegger zurückholen, nachdem der Erfolg des existenzialistischen Heideggers, der die Franzosen vor dem Krieg begeistert hatte, zu Ende gegangen ist.
c)Phase der Anklagen und Entlastungen
Die Philosophie des zweiten Heideggers geriet im Schatten der Anklagen und Entlastungen im Hinblick auf seine Verbindung zum Nationalsozialismus in Vergessenheit. Ohne dass jemand den Aspekt des Denkens vertiefen wollte, blieb das Geviert obskur und seltsam und wurde als dekadentes Werk eines zum Dichterlings verkommenen Philosophen abgelehnt. Die akademische Welt hatte sich zum politischen Treuhänder oder zum erlösenden Richter des Individuums Heidegger gewandelt und den Aspekt des philosophischen Denkens vergessen.
d)Überwindung des Einflusses der Figur Heideggers
In der letzten Zeit hat sich die Philosophie Heideggers zu einem kommenden Pfad entwickelt (laut dem Symposium in Madrid im Jahr 2006), zu einem uns anfallenden Weg[3]. In der akademischen Welt wird das Geviert als philosophisches Thema behandelt. In dieser Phase befindet sich die Forschung, die ich hier vertrete als Fortsetzung des Versuchs, sich der Sache des Denkens zu bemächtigen, auf der Suche nach dem, was wir als tiefen Sinn oder philosophischen Kern des Gevierts bezeichnen könnten.
Mattéi hat als einziger ausdrücklich ein Buch über das Geviert geschrieben[4]. Auch wenn andere wie Wenzel[5] oder Holter Helting[6] ebenso darüber geschrieben haben, bin ich der Meinung, dass Mattéi als Thrasyllus von Mendes des Gevierts Heideggers zu betrachten ist.
Nachstehend folgt eine zusammenfassende Darstellung der im Rahmen meiner Forschung bisher erzielten Fortschritte.

2.Einleitung: der Tod als Zweck der Existenz
Sein zum Tode.Zum Tode wenden wir uns hin; er ist der Zweck der Existenz. Gewiss könnten wir uns viel lebensbetontere Zwecke vorstellen, wie eine Familie zu haben oder viel Geld zu verdienen, eine stabile Arbeit zu haben oder alles Wissen zu erreichen (auch wenn letzteres eher Aufgabe eines universellen Geistes ist). Aber der Tod ist kein Zweck in diesem Sinne, er ist kein Projekt, dem wir die Existenz widmen, sondern die Vorwegnahme einer zukünftigen Gegenwart, die kommen wird. Und eben angesichts der beängstigenden Gegenwärtigkeit unseres Todes verstehen wir[7], dass Projekte keine zukünftigen Gegenwarten sind, die kommen werden, sondern projizierte Gegenwarten (und keine Gegenwart erschöpft diese Projektion, außer der Tod). So schreiben wir Doktorarbeiten oder verlieben uns, all dies stets mit Projektion der Gegenwart: Philosoph zu werden oder eine Familie zu gründen.
Eine Gegenwart ohne Projekte ist eine unverständliche Gegenwart, wobei unverständlich nicht bedeutet[8], dass sie keine Erklärung besitzt, denn die Erklärung ist klar: eine anonyme Existenz, die eingetaucht in den unpersönlichen Fluss der Alltäglichkeit lebt und sich von dem mitreißen lässt, was alle tun[9]. Aber diese Erklärung bietet kein Verstehen. Verstehen findet statt, wenn wir Verantwortung für unsere Gegenwart übernehmen und sie auf die Zukunft projizieren. Im Augenblick der Entscheidung und der Wahl, in dem Augenblick, in dem wir uns fragen: Und was tue ich jetzt? Nun, da die Forschung für die Doktorarbeit zum Ende gelangt ist, da wir verheiratet sind, da die Hündin nicht mehr durch das Feld läuft … was jetzt? Durch eben diese Frage klammern wir uns mit beiden Händen an unsere Gegenwart, und wenn wir entschlossen die Entscheidung treffen, uns – stets unter dem Einfluss der Vergangenheit- neuen Projekten zu öffnen, wird uns unsere unmittelbare Gegenwart automatisch verständlich[10].
Sicher besteht noch eine Tradition, die versucht, die Gegenwart durch das Studium der Vergangenheit zu verstehen. Und sicher muss auch die Vergangenheit Berücksichtigung finden, aber aus der Sichtweise heraus, dass für den Existierenden die Vergangenheit nicht mehr geschieht, sondern sich dadurch erhält, dass sie Auswirkung auf die Existenz hat, sodass jegliche Projektion der Gegenwart bereits affektiv beeinflusst ist[11].
Dies ist nicht der Endpunkt, sondern der Beginn der Grundfrage: Im Augenblick der Entscheidung, in dem wir unsere Existenz gegenüberstellen und unsere Gegenwart verstehen, betont Heidegger die Zugehörigkeit des Daseins zu seiner Welt: in der Welt sein. Und während ein klassischer Denker schlicht gesagt hätte, dass die Entdecktheit die herausragende Aktion des Verstands ist, sagt Heidegger seinerseits, dass Intelligenz nur das verstehen kann, was bereits zum Verstandenwerden gegeben ist[12]. So schlägt er eine rezeptive[13] Intelligenz vor, wie bei Kant[14] oder Descartes[15], bei der uns die Gegenwart geschieht, wir erleiden sie, sie fällt uns an wie der Sonnenstrahl inmitten des Waldes; und wenn das, was verstanden wird, das ist, was zu seinem Verständnis beleuchtet wird, dann – denn wir haben gesagt, dass Verstehen die Projektion der Gegenwart ist – sind unsere Projekte diejenigen, die unsere Welt möglich macht.

3.Von Heidegger I zu Heidegger II
Dass sich das Verstehen in einer Welt befindet, in der alles miteinander in Zusammenhang, in Bewandtnisbezügen[16], steht, bedeutet hauptsächlich, dass das, was der Mensch tut, darin besteht, diese Verweisungen zu verstehen, und auf diese Weise projiziert er sich auf die Zukunft.
Ich möchte sagen, dass das, was verstanden wird, die Bewandtnis ist. So verstehe ich, was ein Hammer ist, wenn ich seinen Bezug zum Bild, zur Wand und zum Nagel verstehe. Wenn ich den Bewandtnisbezug verstehe, kann ich mich auf die Zukunft projizieren und die Möglichkeit verstehen, Bilder an der Wohnzimmerwand aufzuhängen. Aber diesen Bezug erfinden wir nicht, sondern wir verstehen ihn: Es handelt sich um eine Möglichkeit, die uns das Verständnis der Bewandtnisbezüge eröffnet; so unterliegt jedes Verstehen einem solchen Bezug, der uns den Sinn der Wesenheiten der Welt (reduziert auf Werkzeuge) erschließt. Natürlich verstehen wir nicht nur eine Funktion, und eben in der Möglichkeit, andere Verwendungen zu verstehen, liegt der Schlüssel, uns der Existenz zu bemächtigen und uns diese anzueignen. Das Dasein erfindet keine Bezüge, es versteht sie nur (auch die eigentliche Existenz erfindet keine Bezüge). Wenn dies so ist, unterliegen das Verständnis unserer Gegenwart, unsere Projekte diesem Netz aus Verweisungen, das uns in eine zuvor offene Welt setzt.
In der Vertiefung dieses Sich-die-Möglichkeit-zum-Verstehen-Gebens entdeckt Heidegger, dass es nicht nur darum geht, dass unsere Projekte sich in einer Welt befinden, die uns eröffnet, was verstanden werden kann, sondern dass zudem nicht einmal wir die Projekte lenken, sondern unsere Projekte Antworten auf die Aufgabe sind, die uns als Anforderung unserer eigenen Zeit auferlegt wird[17]. Ich meine damit, dass es nicht nur so ist, dass man die Lokomotive denken kann, weil man den Bewandtnisbezug zur Kohle, zum Dampf, zum Rad und zu den Schienen versteht, sondern weil das Denken, wie die Ware vom Schmelzofen zum Kanal zu transportieren ist, dem Denken eine Aufgabe abverlangte, die natürlich nicht an der Entdeckung der Dampflokomotive Halt machte; deshalb besitzt die Eisenbahn eine ganze Geschichte, über Elektrozüge bis hin zum deutschen ICE oder zum spanischen Hochgeschwindigkeitszug AVE. Ja, gewiss ist dies die eigene und persönliche Antwort von Richard, nicht aber die Anforderung der Aufgabe. Natürlich sind Projekte keine „gegenwärtigen Zukünfte”, und deshalb besteht ihre Wirklichkeit nicht in der Durchführung der Aufgabe. Die Aufgabe bleibt als Anforderung bestehen, und im Hinblick auf diese projizieren wir unsere Gegenwart, aber die Aufgabe selbst identifiziert sich mit keiner konkreten Projektion, wodurch eine Geschichte entsteht.
Das Beispiel der Eisenbahn kann klar sein, aber in jedem Fall gibt es eine viel wichtigere Aufgabe, die die Philosophie seit ihren Anfängen beschäftigt: die Wahrheit. Von Beginn an, seit der Grieche Antworten auf das Fundament und das Schicksal hatte, dank derer er die praktische Aktion ausrichten konnte, nahm die Philosophie die Aufgabe an, die Wahrheit der Vorschläge zu bewerten. Ihre Aufgabe bestand also in der Wahrheit. Vorher konnte dies keine Aufgabe sein, denn die Wahrheit entsteht als Aufgabe erst dann, wenn der Mensch bereits geantwortet hat und sich auf seine Weise in der Welt orientiert. Diese Aufgabe hat eine ganze Geschichte des Denkens hinterlassen, die wir als Philosophiegeschichte kennen. Dass die Wahrheit die sich dem Philosophen aufdrängende Aufgabe ist, dies ist das Thema des Gevierts.

4.Die Aufgabe des Denkens und das Geviert
Der erste Heidegger hatte noch nicht verstanden, was „Aufgabe” bedeutet. Er wusste, dass die Zukunft in der Projektion der Gegenwart bestand. Nach der Vision der neuen Beamten in Karlsruhe im Jahr 1933[18] aber wird er verstehen, dass die Projektion unserer Gegenwart eine Antwort auf eine Aufgabe gibt, deren Zweck nicht das Dasein ist, sondern der Anstoß zur Tätigkeit des Denkens. Er wird verstehen, dass es nicht darum geht, einen Stern zu erreichen[19], sondern den Weg zu ihm hin zu beschreiten. Deshalb ist Heidegger nicht länger der Führer des Führers, der er sein wollte, und zieht sich von der politischen Bühne zurück, um zu lehren, dass die Aufgabe die Zukunft als Anforderung ist[20].
Die Philosophie des Gevierts besteht darin, zu zeigen, in welchem Sinn sich die Aufgabe von den Projekten als die Frage der Antwort unterscheidet; dies ist das Geviert. Sie ist keine Antwort auf eine Frage, sondern die symbolische Formulierung der nächsten Frage: In welchem Sinne unterscheidet sich die Wahrheit als Aufgabe von jeglicher Antwort wie der Ruf, der erotisch zu sich hin zieht? Oder auch auf diese andere Weise: Wie werden wir auf die Wahrheit projiziert?
Zu betonen ist, dass Heidegger vergisst, dass außer mir andere existieren. Die Tatsache, dass außer mir andere existieren, ist ein unverzichtbares Element zum Verständnis dessen, warum die Dinge nicht so ausgehen, wie wir sie projizieren. Heidegger hatte die Figur des anderen so wenig berücksichtigt, dass er nicht einmal an seine Verantwortung gegenüber diesen anderen dachte (und dies hätte er tun müssen). Wir können nicht sagen, dass er sich seiner Verantwortung nicht bewusst war, denn, wenn er dies nicht war, machte es sich Jasper zur Aufgabe, ihn darauf aufmerksam zu machen. Wie auch immer, seine Teilnahmslosigkeit gegenüber anderen hindert ihn daran zu sehen, dass, wenn im Jahr 1933 das Gesehene nicht das Erwartete war, dies daran lag, dass es andere mit anderen Projekten gab. An dieser Stelle liegt nach meinem Verständnis der Schlüssel zur ethischen Wende, die Levinas gegenüber Heidegger vorschlägt.

a)Sterbliche und Göttliche, Erde und Himmel
Beginnen werde ich mit der Darstellung des symbolischen Sinns der Sterblichen als diejenigen, die des Todes als Tod befähigt sind[21]. Der grundlegende Sinn dieser Definition besteht darin, dass nur er angesichts der Gegenwärtigkeit des Todes lebt, eben weil er fähig ist, seine Gegenwart auf die Zukunft zu projizieren. Dem ist hinzuzufügen, dass der Mensch betroffen sein muss, damit diese Projektion geschieht: Die uns betreffende Ungerechtigkeit bringt uns dazu, unsere Gegenwart auf eine gerechtere Zukunft zu projizieren, und die uns betreffende leidenschaftliche Liebe bringt uns dazu, unsere Gegenwart auf eine Zukunft zu projizieren, in der wir zusammen sind. Aber diese Leidenschaft, die uns die Augen für eine unmittelbar bevorstehende neue Welt öffnet, verbirgt vor uns auch andere mögliche Welten[22]: Diese Leidenschaft macht uns in dem Sinne blind, wie wir sagen, dass die Wut oder die Liebe jemanden blind gemacht hat: Blind projizieren wir unsere Gegenwart und sehen dabei andere Möglichkeiten nicht mehr. Aus diesem Grund bezeichnen die Sterblichen in der Formel des Gevierts nicht die Entbergung, sondern die Verbergung der vier Dimensionen der Unverborgenheit, denn sie bringen die folgende Dimension der Wahrheit zum Ausdruck: Die Dinge auf eine Weise zu verstehen, bedeutet, sie nicht mehr auf eine andere Weise zu verstehen (der Verliebte sieht sich nur als Verheirateter).
Zu den Blindesten von allen gehören jene, die der Anforderung der Wahrheit unterliegen. So stellte sich Galileo, ohne seine These beweisen zu können, gegen die Wissenschaft seiner Zeit, und Thomas von Aquin begann trotz Verbots mit dem Studium von Aristoteles. Sie waren blind durch ihre Liebe zur Wahrheit und nicht bereit, die Dinge auf andere Weise zu sehen; wie Ockham, der trotz des Befehls der Kirche nicht zur Berichtigung bereit war.
Die Sterblichen drücken eine Dimension der Wahrheit selbst aus: Die Wahrheit ist nicht nur Offenbarung, sondern zugleich Verbergung. Zu erklären ist, dass es sich nicht um eine Beschränkung der menschlichen Fähigkeit handelt, sondern um ein wesentliches Merkmal der Wahrheit: Wenn das Phänomen in einer Gegenwart auftritt, die ihm Sinn verleiht, verbirgt diese Gegenwart, während sie zugleich die Erscheinung des Phänomens ermöglicht, andere mögliche Erscheinungen. Diese Beschränkung der Wahrheit ist in einer Vierergleichung die Grundlage der Möglichkeit zum historischen Wandel der Wahrheit.
Das Problem besteht darin, dass heutzutage die Perfektion unserer Werkzeuge und Mittel uns in der alltäglichen Auffassung festigt, dass wir in der besten denkbaren Welt leben, und wir haben die wesentliche Stärke verloren, unsere Gegenwart auf mögliche neue Gegenwarten zu projizieren. Dies ist das Übel des Reichs der Technologie: Nichts berührt uns ausreichend, um unsere Gegenwart zu projizieren.
Und nichts scheint menschlicher, als dieser Welt zu entfliehen und dadurch zu überraschen, seitlich auszuscheren: Ich gehe in den Wald! Genau dies tat Heidegger. Dort gibt es vielleicht eine gewisse Rettung, denn dort schaut man noch gen Himmel, um das Zeichen zu erblicken, das Regen ankündigt … und wenn es dort noch einen Ort der Rettung gibt, dann, weil es darum geht, Zeichen zu erblicken. Ebenso wie das Lächeln einer schönen Frau mir eine Möglichkeit aufzeigt, die mir zuvor verborgen geblieben war und mich, indem ich mich verliebe, dazu bewegt, die Gegenwart auf eine gemeinsame Zukunft mit ihr zu projizieren, so wartet Heidegger auf das Zeichen[23], das uns aus der philosophischen Lethargie erweckt und uns leidenschaftlich hin zu neuen Horizonten bewegt, die uns im Reich der Technologie verborgen geblieben waren. Der Philosoph muss seine Aufgabe annehmen, aber er muss sich als Möglichkeit anbieten, damit diese uns affektiv bewegt[24]. Dieses Sich-Anbieten kennzeichnet die Göttlichen. Und genau deshalb, wenn die Sterblichen ein Verbergen bezeichnen, bezeichnen die Göttlichen die Entbergung: Denn die Dinge in einem neuen Licht zu sehen, geschieht laut Heidegger nicht, weil wir beginnen, auf neue Arten und Weisen zu denken, sondern weil wir durch Zeichen zu neuen Arten und Weisen des Daseins hingeführt werden.
Allerdings ist zu erklären, dass die Zeichen nicht mit der Unverborgenheit zu verwechseln sind. Die Entbergung der Göttlichen besteht darin, die Möglichkeit neuer Arten und Weisen, die Dinge in einem neuen Licht zu sehen, aufzuzeigen, aber nicht die Dinge auf neue Arten und Weisen zu sehen. Sie bringen uns auf den Weg hin zu diesem neuen Licht und deshalb bezeichnen Sterbliche und Göttliche lediglich zwei Sinne der vierfachen Dimension der Wahrheit. Hinzuzufügen ist, dass, wenn diese Aktion des Verbergens und Entbergens möglich ist, dann, weil die Möglichkeit dazu besteht, also weil es verborgene Möglichkeiten gibt, die sich als abwesend offenbaren können[25].
Das Verborgene[26], von der Erde bezeichnet, trägt und schafft[27] die Möglichkeit neuer Arten und Weisen der Entbergung. Es bezeichnet die Grenze der Anwesenheit, weshalb diese nicht totalisiert werden kann und auf der sich der Ersatz einer Anwesenheit durch eine andere begründet (einer Begrenzung durch eine andere). Natürlich schafft das Verborgene in der Unverborgenheit lediglich die Möglichkeit neuer Arten und Weisen, im Licht zu sehen, indem sich diese als abwesend offenbaren. Wenn die Abwesenheit also zur Nichtabwesenheit[28] wird. In Richtung dieser Nichtabwesenheit zeigen die Göttlichen, aber die Nichtabwesenheit selbst wird nicht von den Göttlichen benannt, sondern vom Himmel[29], der vierten Dimension der Wahrheit. Auch der Himmel weist nicht darauf, die Dinge in einem neuen Licht zu sehen, sondern auf das Licht, in dem die Dinge auf eine neue Weise gesehen werden. Die Nichtabwesenheit ist nicht mit der Unverborgenheit von etwas Anwesendem zu verwechseln, sondern mit der Anwesenheit selbst, die die Entbergung als ihren Horizont annimmt[30].
Auf diesem vierfachen Wesensgehalt der Anwesenheit[31] begründet sich der historische Wandel der Wahrheit[32], und deshalb sind Sterbliche und Göttliche, Erde und Himmel auch Stimmen des Schicksals[33]. Zusammengefasst bringt das Geviert Folgendes zum Ausdruck: Jedwede geschehene Anwesenheit wird von der Abwesenheit anderer Anwesenheiten getragen, und wenn wir von dem Zeichen berührt werden, das uns zu seiner Nichtabwesenheit hinführt, wird die Wahrheit zur Aufgabe des Philosophen, auf die er durch die Projektion seiner Gegenwart antwortet. Und da jegliche Projektion blind ist, da wir beim Antworten andere Arten des Daseins verbergen, die verborgen bleiben und andere mögliche Anwesenheiten stützen, entsteht der unendliche Kreislauf des historischen Wandels der Wahrheit als Aufgabe, aus der durch ihre Beantwortung die Philosophiegeschichte entsteht.

b)Kritischer Kommentar zum Geviert
Ich teile die Auffassung Heideggers nicht, dass das Denken der Kraft der Intelligenz untergeordnet ist. Die Meinung zu vertreten, dass der Akt des Denkens vor dem kommt, was gedacht werden kann, und dass die Freiheit des Denkers auf diesem Vorrang beruht, war die Absicht des Epilogs. Heidegger glaubt, dass die Aufgabe das Denken antreibt und es in Gang setzt, indem sie es dazu auffordert, aber ich bin der Meinung, dass – um mit Aristoteles zu sprechen – man nicht denkt, weil es etwas zu denken gibt (modernes Erbe Heideggers), sondern dass es etwas zu denken gibt, weil man denkt. Gerade aufgrund der Vorrangstellung dieser Tätigkeit gedeihen Aufgaben, nicht die Aufgabe bringt die Tätigkeit hervor. Sogar das Denken kann Aufgaben unberücksichtigt lassen und in diesem Fall zu seiner Tätigkeit selbst zurückkehren und beim Verständnis des eigenen Vorgangs andere Vorgänge suchen, statt sie zu finden: auf andere Weise denken (was nicht bedeutet, die Philosophie zu einer bewussten Ordnung zu machen). Aber dies ist nur möglich, wenn das Denken in der Lage ist, seiner Zeit ungehorsam zu sein, und dies wiederum ist nur möglich, wenn die Tätigkeit des Denkens vor der Kraft der Intelligenz steht. Sicherlich ist zudem nur der Philosoph fähig, seiner Zeit nicht zu gehorchen und, statt zu finden, zu suchen[34]. Vielleicht deshalb ist die erste Philosophie ein sich ständig in der Krise befindendes Wissen.


BIBLIOGRAPHIE

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Duque, Félix 2008: Introducción, in: F. Duque (Hg.), Heidegger. Sendas que vienen I, Madrid, 9-19
Gadamer, Hans-Georg 2004:Hermenéutica de la Modernidad. Hans-Georg Gadamer conversaciones con Silvio Vietta, Madrid
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Guilead, Reuben 1965: Être et Liberté. Une étude sur le dernier Heidegger, Louvain
Heidegger, Martin 1959: Gelassenheit, Pfullingen
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Heidegger, Martin 1991: Kant und das Problem der Metaphysik, Frankfurt am Main
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Heidegger, Martin 1999: Hölderlins Hymnen „Germanien“ und „Der Rhein“, Frankfurt am Main
Heidegger, Martin 2000: Vorträge und Aufsätze, Frankfurt am Main
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Helting, Holter 1999: Heideggers Auslegung von Hölderlins Dichtung des Heiligen. Ein Beitrag zur Grundlagenforschung der Daseinanalyse, Berlin
Husserl, Edmund 1973: Die Idee der Phänomenologie, Hagg
Mattéi, Jean-François 2001: Heidegger et Hölderlin. Le Quadriparti, Paris
Tamayo, Luis 2001: El colapso de Heidegger de 1045-1946. Reflexiones acerca del autor y su obra, in: l’école lacanienne de psychanalyse 3, 161-184
Towarnicki, Frederic de 1999: Martin Heidegger. Souvenirs et Chroniques, Paris
Wenzel, Uwe 1986: Die Problematik des Gründes beim späten Heidegger, Rheinfelden



[1] “Insistant sur l’orientatio de ses cours, il remarque: «Entre 1935 et 1944 personne n’a osé ce que j’osai.» Et il rappelle qu’en 1937, un étudiant mouchard de la Gestapo lui avait confié, alors qu’il faisait son cours sur Nietzsche, qu’il était en «bonne place» sur la liste noire” Towarnicki, F, Martin Heidegger. Souvenirs et Chroniques (Payot et Rivages, Paris, 1999) s 74
[2] “Después de saber el veredicto de la Comisión de depuración, Heidegger desfallece. No creía que Jaspers actuaría de esa manera, creía que lo apoyaría y, como consecuencia, sería exonerado. Heidegger sabía que desde 1936 había roto con el NSDAP, es decir, desde hacía 9 años no se consideraba, de ninguna manera, un nazi y que, si había continuado pagando sus cuotas al partido, era porque en un totalitarismo de esa calaña, hacerlo de otra manera equivalía a ofrecerse como cordero sacrificial. / El interrogatorio fue inquisitorial. Hubo un exceso. ¿Quién tenía el derecho de juzgarlo? Heidegger sabía que Lampe tan sólo se estaba vengando. Heidegger sabía que Jaspers, en 1933, también quería formar parte de la revolución nacionalsocialista y renovar la Universidad de Heidelberg. Pero también sabía que él mismo, cuando fue rector en la Universidad de Freiburg, había actuado en pro de los nazis, que había promovido el voto por Hitler y que muchas personas, y entre ellas muchos miembros de la Universidad, habían votado por Hitler a fines de 1933 debido a que él, el rector, los invitó a ello. El había apoyado, realmente, a los nazis. A unos nazis que, si bien es cierto en ese momento aún no eran los asesinos de judíos con los cuales, en la actualidad, el pensar occidental los asocia, ya eran unos nazis que molestaban y excluían injustamente a los mismos por el solo hecho de su pertenencia racial. El peritaje de Jaspers obligó a Heidegger a recordar esa verdad” Tamayo, L. El colapso de Heidegger de 1045-1946. Reflexiones acerca del autor y su obra, in: l’école lacanienne de psychanalyse, 3 (2001) 161-184,s 176
[3] “¿Qué ha ocurrido? ¿Acaso basta el paso del tiempo para «redimir» a una figura, para que olvidemos sus presuntas fechorías o encontremos nuevas y poderosas razones para limpiar y pulir aquélla, como si de marmóreo pedestal se tratase? No. Dando de lado esotéricas explicacionessobre el tiempo, su paso y sus repasos (para eso, mejor leer cuanto antes el ensayo de Pérez de Tudela), el tiempo transcurrido ha servido –está sirviendo- para que nos dejemos de denuncias o de redenciones dirigidas a una «figura» (ya está bien, digo yo- de oficiar de comisario político o de detergente lávatodo, por no decir que ya está bien de chismorreos más o menos picantes” Duque, F. Introducción, in: Duque F. (Hg.), Heidegger. Sendas que vienen I (Círculo de Bellas Artes, Madrid, 2008) 9-19, s 12 y 13
[4] Mattéi, J-F, Heidegger et Hölderlin. Le Quadriparti (Presses Universitaires de France, Paris, 2001)
[5] Wenzel, U.,Die Problematik des Gründes beim späten Heidegger (Schäuble, Rheinfelden, 1986)
[6]Helting, H., Heideggers Auslegung von Hölderlins Dichtung des Heiligen. Ein Beitrag zur Grundlagenforschung der Daseinanalyse (Duncker und Humbolt, Berlin, 1999)
[7]Martin, H., “Das Vorlaufen enthüllt dem Dasein die Verlorenheit in das Mann-selbst und bringt es vor die Möglichkeit, auf die besorgende Fürsorge primär ungestützt, es selbst zu sein, selbst aber in der leidenschaftlichen, von den Ilusionen das Man gelösten, faktischen, ihrer selbst gewissen und sich ängstenden Freiheit zum TodeHeidegger, M., Sein und Zeit, (GA 2, Klostermann, Frankfurt a. M., 1977) § 53
[8]“Das Dasein entwirft als Verstrehen sein Sein auf Möglichkeiten“ Ibidem § 32
[9]“das Man zeichnet die Befindlichkeit vor, es bestimmt, was man und wie man »sieht«” Ibidem § 35
[10]die Existenz kann aber auch im Augenblick und freilich oft auch nur »für den Augenblick« den Alltag meistern, obzwar nie auslöschenIbidem § 70
[11]“Die volle, durch Verstehen, Befindlichkeit und Verfallen konstituierte Erschlossenheit des Da erhält durch die Rede die Artikulation“ Ibidem § 68 d
[12] M. Heidegger, „Das entschlossene Zurückkommen auf die Geworfenheit birgt ein Sichüberliefern überkommener Möglichkeiten in sich, obzwar nicht notwendig als überkommener“ GA 2 § 74
[13] M. Heidegger, “Vorgängig »sein« Lassen besagt nicht, etwas zuvor erst in sein Sein bringen und herstellen, sondern je schon »Seiendes« in seiner Zuhandenheit entdecken und so das Seiende dieses Seins begegnen lassen. Dieses »apriorische« Bewendenlassen ist die Bedingung der Möglichkeit dafür, daβ Zuhandenes begegnet, so daβ das Dasein, im ontischen Umgang mit so begegnendem Seinden, es im ontischen Sinne dabei bewenden lassen kann“ GA 2 §18
[14] M. Heidegger, GA 3 § 5
[15]Descartes, R. , Resp. II, AT, VII, s 160
[16]“Damit aber das Dasein mit einem Zeugzusammenhang soll umgehen können, muβ es so etwas wie Bewandtnis, wenngleich unthematisch, verstehen: es muβ ihm eine Welt erschlossen sein“, Heidegger, M., Sein und Zeit, cit § 69 b
[17]“Der Weg ist, hinreichend gedacht, solches, was uns gelangen läβt, und zwar in das, was nach uns langt, indem es uns belangt“ Heidegger, M., Das Wesen der Sprache, (in GA 12, Klostermann, Frankfurt a. M., 1985) s 186
[18] Gadamer, H-G., Hermenéutica de la Modernidad. Hans-Georg Gadamer conversaciones con Silvio Vietta (Übersetzung de Luciano Elizaincín-Arrarás, Trotta, Madrid, 2004) s 41
[19] “Auf einen Stern zugehen, nur dieses” Heidegger, M., Desde la experiencia del pensar (Übersetzung F. Duque, Abada editores, Madrid, 2005) s 12
[20]Diese Hörenden können wir nur sein, insofern wir in die Sage gehören“ Heidegger, M., Der Weg zur Sprache (in GA 12 cit) s 245
[21]„Die Sterblichen sind die Menschen. Sie heiβen die Sterblichen, weil sie sterben können. Sterben heiβt: den Tod als Tod vermögen. Nur der Mensch stirbt. Das Tier verendet. Es hat den Tod als Tod weder vor sich noch hinter sich“ Heidegger, M., Vorträge und Aufsätze (GA 7, Klostermann, Frankfurt a. M., 2000) s 180
[22]“Vielmehr ist das Ent-bergen zugleich ein Ent-bergen“ Heidegger, M., Parmenides (GA 54, Klostermann, Frankfurt a.M., 1992) s 198
[23]“Dichtung ist: das Dasein des Volkes in den Bereich dieser Weisung die Götter offenbar werden, nicht als irgendetwas Germeintes und Betrachtbares, sondern in ihrem Winken“ Heidegger, M., Hölderlins Hymnen „Germanien“ und „Der Rhein“, (GA 39, Klostermann, Frankfurt a.M., 1999) s 32
[24]“»Ent-bergen« -das sagt jetzt zugleich in eine Bergung bringen: nämlich das Unverborgene in die Unverborgenheit verwähren“ Heidegger, M., Parmenides, cit s 198
[25]„Alle aktualle Erfahrung weist über sich hinaus auf mögliche Erfahrungen, die selbst wieder auf neue mögliche weisen, und so in infinitum“ Husserl, E., Die Idee der Phänomenologie (in GW III/1, Nijhoff, Hagg, 1950) § 47
[26]Was da bei der »Un-verborgenheit« zuvor verborgen ist“ Heidegger, M., Parmenides, cit s 19
[27] “Die Erde ist die bauend Tragende, die nährend Fruchtende, hegend Gewässer und Gestein, Gewächs und Getier / Sagen wir Erde, dann denken wir schon die anderen Drei mit aus der Einfalt der VierHeidegger, M., Vorträge und Aufsätze cit s 179
[28]Das Unverborgene ist das Un-abwesende, über das eine entziehende Verbergung nicht mehr waltet. Das An-wesen selbst iste in Aufgehen, d. h. in die Unverborgenheit Hervorgehen, dergestalt, daβ das Aufgegangene und Unverborgene in die Unverborgenheit aufgenommen, durch sie gerettet und in sie geborgen bleibtHeidegger, M., Parmenides cit s 197
[29]Muβ der Mensch aus der Tiefe des heimatlichen Bodens in den Äther hinaufsteigen können. Äther bedeutet hier: die freie Luft des hohen Himmels, den offenen Bereich des Geistes“ Heidegger, M., Gelassenheit (Neske, Pfullingen, 1959) s 14-15
[30]“Das Geben im »Es gibt Sein« zeigte sich als Schicken und als Geschick von Anwesenheit in ihren epochalen Wandlungen. / Das Geben im »Es gibt Zeit« zeigte sich als lichtendes Reichen des vierdimensionalen Bereiches“ Heidegger, M., Zur Sache des Denkens (Niemayer, Tübingen, 1976) s 17
[31]“müssen wier erst aufwachen und der Weisung folgen, die uns zunächst das übersetzende Wort »Un-verborgenheit« gibt. Die Weisung zeigt gleichsam die Richtung des Übersetzens. Die Weisungführt, wenn wir uns auf ihre Hauptzüge beschränken, in ein Vierfaches“ Heidegger, M., Parmenides cit s 18-19
[32]„L’histoire en tant que déroulement des événements réels ne peut être expliquée qu’à partir de sa base ontologique, à savoir, à partir de l’histoire de la vérité qui, comme nous le verrons, est l vrai et seul «événement»” de Guilead, R., Être et Liberté. Une étude sur le dernier Heidegger (Nauwelaerts, Louvain, 1965) pp 68-69
[33] “Vier Stimmen sind es, die tönen: Der Himmel, die Erde, der Mensch, der GottHeidegger, M., Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung (inGA 4, Klostermann, Frankfurt a.M. 1996) s 170
[34] “Al conocer se impone lo conocido, esto es, la verdad; ocultándose en cambio la dimensión metódica del ejercicio intelectual. El objeto conocido es, entonces, el límite de la libertad. Límite que al tiempo la salvaguarda” Juan A. García, en I. Murillo (Hg..): Ciencia y hombre (Diálogo filosófico, Madrid 2008) 51-57, s 55

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