Günter Grass bei der SS, Karl-Heinz Kurras bei der Stasi. Was braucht die Republik noch, um die altlinken Mythen und die der Neuen Linken zu dekuvrieren? Die letzten Pfeiler der hoch ideologisierten, aber außerordentlich erfolgreichen 68er-Massenbewegung, krachen in sich zusammen. Neue Dokumente aus der Birthler-Behörde belegen, dass der Todesschütze von Benno Ohnesorg, der Westberliner Polizist Karl Heinz Kurras, bereits seit 1955 als Stasi-Spitzel für die SED arbeitete. Der Gründungsmythos der 68er, die Demonstration am 2. Juni 1967 und die Schüsse auf Benno Ohnesorg, müssen neu eingeordnet werden. Die gängige Bewertung in den Geschichtswissenschaften, die schon immer falsch war, muss jetzt endgültig korrigiert werden.
Allerdings: Nach allen Erfahrungen der vergangenen vierzig Jahre sind die 68er-Ideologen und auch das gigantische Millionenheer der Mitläufer von 68faktenresistent. In ihrem Gründungsmythos „Tod von Benno Ohnesorg“ als Startschuss für die 68er-Bewegung und als wohlfeile Rechtfertigung für alles, was dann aus ihren Reihen an Gewalt folgte, haben sich die satt gefressenen 68er im Laufe der vergangenen vierzig Jahre immer bequemer eingerichtet.
Und die Renegaten der Bewegung, die in eigener Sache massiv befangenen Historiker der 68er-Revolution, sind die Innenarchitekten dieses 68er-Hauses und zugleich die sich kritisch gebenden Security Gards, die darüber wachen, dass weiterer Schaden vom 68er-Lager fern gehalten wird. Die 68er werden sich anstrengen, wie schon spontanauf allen Kanälenbegonnen, die neuen Erkenntnisse über Kurras heimlicher Zugehörigkeit zur SED runter zu fahren.
Was geschah damals am 2. Juni 1967 wirklich?
Im Mai /Juni 1967 hatte eine Reihe von West-Radikalen (deren Stasi-Verbindung sicher noch der Erforschung harrt) den Besuch des Schahs von Persien im Vorwege auserkoren, um ein bisschen Bürgerkrieg in der Bundesrepublik zu entfachen. Die Stimmung in einzelnen Zirkeln, an einzelnen Universitäten, die dort ziemlich diktatorisch die Meinungsführerschaft inne hatten, war auf Putzmachen gebürstet.
Wer die Geschichte genau nachliest, versteht: Auch ohne den Schuss auf Benno Ohnesorg wäre die 68er-Bewegung, die bereits im Gange war, voll aus dem Rohr gegangen. Und: Die Gewalt und die Gewaltbereitschaft gingen, entgegen den Legenden, damals nicht vom Staat aus, sondern von der sich rapide radikalisierenden APO-Bewegung, die später 68er-Bewegung genannt wurde.
Der Staat tat sich tatsächlich schwer damit gegen eineradikalisierende winzige Minderheit, die dabei war einen enormen Einfluss an den Universitäten zu gewinnen, als eine wehrhafte Demokratie, wie es damals hieß, anzutreten.Die Repräsentanten der Bundesrepublik reagierten hoffnungslos überfordert auf die ersten Gewaltaufrufe und Exzesse der Jung-68er-Bewegung.
Dass die bis dahin vollkommen angepasste, friedliche, unauffällige 68er-Generation über Nacht von Revolution und Staatsumsturz redete und von roten Diktatoren, Völkermördern und Stadtguerilleros, wie Mao, Ho Tschi Minh und Che Guevara schwärmte, war ein Schock. Dass die jungen Leute, die selber im Wohlstand aufgewachsen waren, den sozialen Wohlstand der Bundesrepublik plötzlich als „Konsumscheiße“ beschimpften und begannen erste Sabotageakte zu inszenieren, war ein Schock für die gesamte Gesellschaft der Bundesrepublik.
In Echtzeit, Anno 67, als Benno Ohnesorg erschossen wurde, war dessen Tod allerdings nicht das schlechthinnige Ereignis, das den historischen Schalter umlegte. Ohnesorgs Tod, unmittelbar von den APO-Führern für die eigene Sache nutzbar gemacht, heizte die siedende Stimmung in der APO-Bewegung zwar weiter an, aber das Ereignis, welches dem Rad der Geschichte der Bundesrepublik eine andere Drehrichtung gab, war tatsächlich das Einknicken der politischen Führung Berlins als Folge der Schüsse auf Ohnesorg.
Der Berliner Bürgermeister Heinrich Albertz knickte ein
Die Geschichte gebrochen hat damals der Bürgermeister Berlins, Heinrich Albertz, der sich von den wild gewordenen Studentenprotesten hatte anfixen lassen. Die Studenten propagierten nach dem Tod von Ohnesorg, dass Albertz der eigentliche „Mörder“ von Ohnesorg gewesen wäre.
Diesen Schuh zog sich Albertz vollkommen sinnloser Weise und entgegen allen auch damals bekannten Tatsachen an. Denn auch damals stand fest, dass Kurras nicht mit einem Staatsbefehl der Bundesrepublik gehandelt hatte.
Der Rücktritt von Albertz und den anderen Funktionsträgern des Westberliner Staatsapparates nur wenige Wochen nach den Schüssen auf Benno Ohnesorg, war die eigentliche Katastrophe des Jahres 1967 für die Geschichte der Bundesrepublik. Dieser Rücktritt wirkte nämlich für die APO, die außerparlamentarische Opposition, wie ein volles Schuldanerkenntnis des Staates, wie ein Freifahrtschein für Revolution und Radikalisierung.
Man kann zusammenfassen: radikale Studenten wollten gemeinsam mit persischen Schahgegnern, die in Berlin und Westdeutschland die Stimmung anheizten, Terror und Zerstörung sprich Revolution ( auf Maos Spur) in den saturierten Rechtsstaat Bundesrepublik tragen. Und sie haben nach dem 2. Juni 1967 der Bundesrepublik in einem Durchmarsch eine schwere Niederlage zugefügt. Die 68er-Bewegung, die es noch gar nicht gab, hatte ihren ersten großen Sieg errungen.
Man hatte mit einer gewalttätigen Demonstration den Berliner Bürgermeister aus dem Amt gejagt, die Springerpresse als Hetzorgan „entlarvt“ und einen großen Sympathisantenzuwachs generiert, ein nicht zu unterschätzender Sieg! Dieser Siegesrausch – und eben nicht die Wut über einen erschossenen Studenten – war der eigentliche Funke, der die 68er-Bewegung etablierte.
Das Interesse der DDR
Ein solcher Funke war von der DDR jeder Zeit herbeigesehnt worden. In Ost-Berlin wusste man natürlich auch, dass man einen Märtyrer erzeugen müsste. In dem Moment war es für die DDR das willkommenste Szenario, dass in der Bundesrepublik bürgerkriegsähnliche Kräfte entstehen, die die Bundesrepublik als faschistischen Staat, als Unrechtsstaat, als kriegstreibenden Staat, als kapitalistisch-imperialistischen Staat und der gleichen mehr brandmarken würde.
Der Sieg der Berliner APO kam zusammen mit der „Erkenntnis“, die die radikalen Studentenführer ja propagierten, die aber bis dahin nicht allgemein geglaubt oder gefühlt worden war, dass der Staatsapparat ein faschistoider Repressionsapparat wäre, der einfach so auf friedliebende Demonstranten mit Schusswaffen losgeht.
Indeswar die Propaganda der APOeine ganz durchsichtige Angelegenheit: Die 68er-Bewegung, die damals noch APO-Bewegung hieß, baute auf dem Tod von Ohnesorg ihre Legende auf, dass der Staat derjenige war, der zuerst Gewalt angewendet hätte, auf die die friedliche Massenbewegung nur reagiert habe.
Diese Legende wird unter anderem auch von dem Film „Der Baader-Meinhof-Komplex“ aufwendig und für teures Steuergeld als Schlüsselszene des Films völlig unhistorisch bekräftigt. Unter anderem die Schüsse auf Ohnesorg – so inszenierten es auch Eichinger, Edel und Aust – lieferten der APO und der RAF die „Rechtfertigung“ auch selber Gewalt gegen den „faschistischen Staat“ ausüben zu können.
Die Ohnesorg-Legende ist, auch ohne die neue Nachricht, dass Kurras bei der Stasi war, schon immer eine Schuldlegende gewesen: alles andere, Zerstörungstaten der APO bis hin zur RAF, Terror und Gewalt, alles erlaubt, wenn nicht geboten wegen der bösen Bundesrepublik, die ihre Fratze in den Schüssen auf Ohnesorg gezeigt hätte.
Was war Kurras' Auftrag?
Jetzt hat die Fratze ein SED-Gesicht. Aber auch die SED und ihre Nachfolgeorganisationen sind bis heute faktenresistent. Die jetzt eilig diskutierte Frage, ob Kurras einen Schießbefehl ausgeführt hätte, mit dem eiligen Zusatz, dass sich diesbezüglich trotz erwiesener Spitzeltätigkeit und SED-Mitgliedschaft nichts finden ließe, ist keine ganz ungefährliche Frage. Sie kann leicht als das Einfallstor für neue Legenden nach alten 68er-Strickmustern dienen.
War Kurras nicht in Wahrheit Doppelagent? Und haben nicht die Führungsoffiziere von einem „Unglücksfall“ gesprochen oder geheuchelt oder war dies doch nur Heuchelei für alle Fälle? Und spielt es überhaupt eine Rolle, denn die Studenten von damals haben ja nicht gewusst, dass Kurras ein DDR-Akteur war?
Kurras konnte wohl kaum den Auftrag haben den politisch bedeutungslosen Studenten Benno Ohnesorg zu erschießen. Aber einen förmlichen Befehl oder einen irgendwie gearteten Wunsch, dass Kurras in die Menge ballert oder irgendeinen Demonstranten erschießt, um einen Initialfunken zu setzen, um die Bundesrepublik von innen heraus zu destabilisieren und die radikale APO-Bewegung noch weiter zu radikalisieren, das alles dürfte schon zu den taktischen oder strategischen Planspielen in Ostberlin gehört haben.
Immerhin: Kurras war laut der neu gefundenen Stasi-Akte seit 1955 treues und zuverlässiges Stasi-Mitglied und Mitglied der SED und er war Waffenspezialist und ein hervorragender Schütze, einer der besten der damaligen Westberliner Polizei. Er stand also, als er auf Ohnesorg schoss, seit 12 Jahren im Dienste Ostberlins und er war jemand, der mit diesem Doppelleben nicht durchdrehte und er wusste, dass Liquidationen, Staatsmorde, in der DDR Praxis waren.
68er-Historiker stellen jetztspontan die falschen Fragen
Die jetzt eilig diskutierte Frage, was hätten die Studenten anders gemacht, oder die an den Haaren herbei gezogene Frage, was die Springerpresse – die einzige, die damals einen kühlen Kopf bewahrte – anders gemacht hätte, wenn sie gewusst hätte, wer Kurras war, sind typische Produkte der routinemäßig geklitterten 68er-Geschichte.
Es ist völlig irrelevant, was die damaligen Radikalen anders gemacht hätten. Die eigentliche Frage lautet nämlich, wie oben ausgeführt: was hätte die Berliner Regierung anders gemacht? Was hätte Heinrich Albertz anders gemacht? Diese Frage ist leicht beantwortet: er wäre nicht zurück getreten. Die Gesellschaft hätte den radikalen Studenten unter diesen Umständen womöglich kein Gehör geschenkt und ihnen die völlig aufgeblähte Bedeutung versagt. Es hätte diesen Sieg der APO nicht gegeben und die Bundesrepublik wäre eine andere geworden.
Der gleich wieder im Morgenmagazin zum Interview geholte sogenannte 68er-Kenner aus dem konservativen Lager,Arnulf Baring, hat der Sache prompt ebenfalls eine falsche Wende gegeben. Auch er betonte, dass die Studenten damals den jetzt aufgefundenen Stasi-Dokumenten keinen Glauben geschenkt hätten und alles so gelaufen wäre, wie es gelaufen ist.
Es ist zweifelsfrei richtig, dass die Studentenführer und ihre Mitläufer von der Realität damals nicht mehr erreichbar waren, aber es erschüttert, dass die heutigen Historiker, wie Reemstmas Wolfgang Kraushaar oder einArnulf Baring in ihrer Fixiertheit sich immer nur fragen, wie ein paar Außerparlamentarische damals reagiert hätten, wenn sie gewusst hätten, dass Kurras ein DDR-Mann war.
Die historisch entscheidende Frage, die jetzt im Zentrum steht, ist,wie Heinrich Albertz und seine Leute damals auf die Dokumente reagiert und wie die damalige Presse und die damalige Gesellschaft auf eine solche Enthüllung reagiert hätten Auch diese Fragen sind im Prinzip einfach zu beantworten. Die Nachricht, dass Kurras ein DDR-Mann war, wäre damals eingeschlagen wie eine Bombe.
Die Nachricht wäre damals eingeschlagen wie eine Bombe
Die APO hätte statt eines Sieges einen Schlag erlitten, von dem sie sich nie wieder erholt hätte, weil die Massensympathien, von denen die APO getragen dann getragen wurde, nicht entstanden wären. Die Mitläufer machen die Stärke der 68er-Bewegung aus und die Heere dieser Mitläufer hätte es niemals geben können, wenn früh bekannt geworden wäre, dass die Schüsse von Kurras zumindest geistig aus Ostberlin kamen.
Über Kurras grassierten in der 68er-Bewegung allerlei „Gewissheiten“, die jetzt korrigiert werden müssen, zum Beispiel, dass Kurras ein übler Nazischerge gewesen sei. Als er Ohnesorg erschoss, war er indes ein Stasi-Scherge.
Die Legende von der bösen und brutalen Bundesrepublik, die bis heute Wirkung entfaltet, hätte nicht entstehen können, aber die im Zuge dieser Legende notorisch im Westen heruntergespielte Tatsache, dass es sich bei der DDR um einen knallharten Unrechtsstaat gehandelt hat, hätte Gewicht bekommen. Die ethisch-moralische Waage zwischen Bundesrepublik und DDR hätte nicht zu Gunsten der DDR und zu Lasten der Bundesrepublik verschoben werden können.
Die Synergien zwischen der Linken im Westen und dem Staatsapparat im Osten, die nicht immer auf förmlich etablierten Strukturen beruht, bleibt ein weites Feld. Allerdings bemühen sich alle Betroffenen die Geschichte herunter zu spielen und mit möglichst vielen Nebelschwaden zu überdecken.
Jetzt stellt sich heraus, dass die Propaganda vom Staatsmord zu Lasten Benno Ohnesorgs richtig sein könnte, nur gerade anders herum als bisher von der Ostberliner Propaganda und den 68er-Mythologen seit 42 Jahren synergetisch behauptet wird, nämlich um einen Staatsmord Ost-Berlins auf westdeutschem Boden.
Günter Grass bei der SS, das war der Schocker im Sommerloch 2006. Dabei handelte es sich genau um jenen Günter Grass, der die DDR einst eine kommode Diktatur nannte, was wohl soviel heißen sollte, wie: ziemlich viele deutschtümelnde Blümchentapeten und fürsorgliche Reiseverbote in den dekadenten Westen! So kommod war die DDR nicht, wie sich jetzt am Beispiel Kurras wieder einmal, zum zigtausensten Mal, heraus stellt.
Mit freundlicher Genehmigung von Bettina Röhl (www.welt.de)
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