Ein Füllhorn von Geschichten

Konstanze von SchulthessNina Schenk Gräfin von Stauffenberg. Ein PorträtPendo Verlag (April 2008) 240 Seiten, Gebunden ISBN-10: 3858426520ISBN-13: 978-3866121591Preis: 19,90 EURO

Konstanze von Schulthess, die jüngste Tochter des Hitlerattentäters Stauffenberg, räumt auf mit dem Klischee: hier die glorreichen Männer, dort die schwachen, ängstlichen Frauen. Herausgekommen ist ein wunderbares Porträt einer starken Frau; das ihrer Mutter: Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg.

Als der damalige vierfache Familienvater Claus Schenk Graf von Stauffenberg am 20. Juli 1944 mit einer Aktentasche das Führerhauptquartier in der ostpreußischen „Wolfsschanze“ betrat, sollte das der Anfang eines großangelegten Putsches werden. Doch es kam anders. Als die Bombe, die Stauffenberg entsichert hatte, explodierte, wurden zwar vier Menschen getötet und einige verletzt, Hitler jedoch überlebte. Die federführend von Generalmajor Henning von Tresckow ausgearbeitete „Operation Walküre“, deren Ouvertüre der Tod Hitlers sein sollte, wurde im Keim erstickt. Der Putsch brach in sich zusammen. Noch am selben Abend wurde Claus Graf Schenk von Stauffenberg im Kreis seiner Mitverschwörer erschossen. Seine Frau Nina (geborene von Lerchenfeld) war damals gerade mit seinem fünften Kind schwanger. Die Tochter sollte ihren Vater nie kennenlernen.

Nun hat eben diese jüngste Tochter – Konstanze von Schulthess – in der Biografie „Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg“ ein liebevolles Porträt ihrer Mutter gezeichnet.

Gestützt auf Gespräche, zahlreiche Dokumente, Briefe und Interviews sowie eine bis dato nicht veröffentlichte private Familienchronik resümiert sie deren Leben, das ihrer Familie und ihres engsten Umfeldes. Eben diese – bis ins 18. Jahrhundert zurückreichende – Familienchronik, die Nina auf Drängen ihrer Kinder in den 1960er-Jahren schrieb, erwies sich als „ein wahres Füllhorn von Geschichten, nicht nur die tragischen und dramatischen – auch Familienanekdoten, amüsante Szenen und Kolportagen, wie sie von Generation zu Generation weitergegeben werden“. Diese wirken wie das sogenannte Salz in der Suppe, denn die Autorin weiß sie – trotz der Tragik der Familie Stauffenberg – auflockernd in ihr leicht und sehr angenehm zu lesendes Buch einzuweben. Sie machen es überaus lebendig, verströmen eine atemberaubende Essenz aus „Duft und Farbe des gelebten Lebens“, ganz nach dem Motto ihrer Mutter, die durchaus selbstbewusst und ironisch in ihrer Chronik vermerkte: „Ein Mann schreibt Geschichte, eine Frau neigt zu Geschichten!“
Konstanze von Schulthess holt ihre Mutter vom Rand in die Mitte des öffentlichen Bewusstseins und räumt auf mit dem Vorurteil, der naiven, „dumme[n] kleine[n] Hausfrau mit Kindern und Windeln und schmutziger Wäsche“, als die Nina Stauffenberg in den Medien gern hingestellt wurde. Sie rückt ein Klischee zurecht: das der treusorgenden, nichtsahnenden, apolitischen deutschen Offiziersfrau, dem „Heimchen am Herd“. Entstanden sicherlich aus einer überlebenswichtigen Haltung, die im Nachhinein an ihr haften bliebt, obwohl sie mit der realen Person nichts gemein hatte. Im Gegenteil, Nina von Stauffenberg war eine außergewöhnlich selbstständige und starke Person. Doch in ihrer ausweglosen Situation – als Frau eines Hitlerattentäters – war sie zwangsläufig gezwungen, das „kleine Dummchen“ zu inszenieren und zum Beispiel ihren beiden älteren Kindern mitzuteilen: „Der Papi hat sich geirrt, deshalb hat man ihn erschossen.“ Zum Schutze ihrer Kinder prägte sie ihnen einen weiteren Satz ein: „Die Vorsehung schütze unseren geliebten Führer.“ Es sind Worthülsen für das Verhör. Sie rechnete fest damit, dass die Kinder verhört werden würden und sich verplappern könnten. Genau wie ihre vorgespielte Naivität ihr wohl das Leben rettete.
Denn nach dem 20. Juli 1944 wurden die Familien im Rahmen der Aktion „Gewitter“ von der sogenannten „Sippenhaft“ der nationalsozialistischen Machthaber getroffen. Die Gestapo verhaftete auch die schwangere Nina von Stauffenberg. Sie wurde zuerst nach Rottweil, dann nach Berlin, am Ende für fünf Monate ins Konzentrationslager Ravensbrück gesteckt, ständig in Isolationshaft und ohne zu wissen, was aus ihrer Familie, den Kindern geworden war. Die Zeiten überstand sie nur, weil die Schwangerschaft sie zum Durchhalten zwang, sie imaginäre Musik- und Literaturabende in ihrer Zelle veranstaltete und Gedichte rezitierte.
Die Kinder wurden übrigens in ein Heim nach Bad Sachsa in Thüringen verschleppt und unter falschem Namen festgehalten. Derweil musste Nina von Stauffenberg ihr fünftes Kind, Konstanze, während der Haft am 17. Januar 1945 in einem NS-Frauenentbindungsheim in Frankfurt an der Oder zur Welt bringen. Von Seiten der NS-Führung bestanden auch Pläne, die jüngsten Kinder nationalsozialistischen Familien zur Adoption zu überlassen.
Das baldige Kriegsende verhinderte dieses Schicksal, und die Kinder konnten sich – gemeinsam mit einigen überlebenden Freunden der Familie – nach Kriegsende auf dem Stauffenbergschen Familiensitz in Lautlingen wieder mit Mutter und Großmutter zusammenfinden.
Dass das Buch mit sehr viel Empathie für die Mutter der Autorin geschrieben ist, spürt man permanent, schadet jedoch keineswegs dem durchweg positiven Gesamteindruck. Konstanze von Schulthess zeichnet ein stimmiges Bild einer starken Persönlichkeit („Schwach habe ich meine Mutter nie erlebt.“), die keinesfalls nur ein ahnungsloses Opfer und relativ intensiv in die Pläne ihres Ehemannes eingeweiht war.
Auch nach dem Krieg war Nina von Stauffenberg ein engagiertes Mitglied der Gesellschaft. Sie lebte fortan von ihrer Witwenrente und engagierte sich für den Denkmalschutz und die Verbesserung des Verhältnisses zwischen us-amerikanischen Offizieren und Deutschen. Heiraten sollte sie nicht noch einmal. Nina Gräfin von Stauffenberg starb im Jahr 2006.
Zum gelungenen Gesamteindruck dieser Biografie tragen gleichfalls 42 Fotografien bei, die die Eltern, die Familie und vor allem den Weg des jungen Mädchens aus gutem Hause bis hin zur alten, immer noch würdevollen Frau, zeigen, einer Frau, die ihrem Mann eine ebenbürtige Partnerin war, „in guten und in schlechten Tagen“, auch wenn sie dafür einen hohen Preis zahlen musste.

Fazit:
Neben einer gelungenen Einbettung in den jeweiligen historischen Horizont ist dieses Buch vor allem eine neuerliche Annäherung an die Mutter. „Was gelebtes Leben zwischen Mutter und Tochter war, ist so zu einem Porträt geworden, das meiner Mutter – so hoffe ich – eine eigene Gestalt verleiht. Ein Porträt, das eine eindrucksvolle Frau zeigt, deren Leben mit einem der dramatischsten Kapitel unserer Zeitgeschichte verknüpft war. Zugleich ist es durchaus auch als etwas sehr Persönliches gemeint: nämlich als eine Liebeserklärung an meine Mutter.“
Dem gibt es nichts mehr hinzuzufügen.

Über Heike Geilen 597 Artikel
Heike Geilen, geboren 1963, studierte Bauingenieurswesen an der Technischen Universität Cottbus. Sie arbeitet als freie Autorin und Rezensentin für verschiedene Literaturportale. Von ihr ist eine Vielzahl von Rezensionen zu unterschiedlichsten Themen im Internet zu finden.

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