60 Jahre nach der Unterzeichnung der Römischen Verträge: Was jetzt geschehen muss

Ingo Friedrich, Foto: Stefan Groß

60 Jahre nach der feierlichen Unterzeichnung der Römischen Verträge am 25. März 1957 erleben wir einen zweiseitigen „Zangenangriff“ auf den Bestand des europäischen Projektes: Von außen greifen wichtige Kräfte aus den USA (Trump-Berater Steve Bannon), aus England (das Brexit-Lager) und aus Rußland das 1957 entstandene gemeinsame Europa an, um es wieder in seine nationalen Bestandteile zu zerlegen. Von innen sind es die nationalistischen Parteien in den EU-Staaten, die alles daran setzen, die Nationalstaaten wieder als alleinige politische Souveränitätsebene zu installieren.

Wenn diese beiden Kräfte wirklich Erfolg hätten und Europa als politisches Projekt zerstören würden, wäre anschließend das Heulen und Zähneklappern bei allen Beteiligten groß, weil dann plötzlich sichtbar würde, welche immensen Stabilitätswirkungen von der heutigen EU ausgehen und welches wirtschaftliche und politische Chaos die Folge eines Auseinanderbrechens der EU wäre.

Wir Europäer und Deutsche sollten jetzt alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um das wahrscheinlich genialste Projekt unserer Geschichte, die friedliche Einigung eines ganzen Kontinents zu verteidigen und zukunftsfest zu machen. Wir brauchen eine neue emotionelle Unterstützung der europäischen Einigung und eine deutliche Stärkung der europäischen Zusammenarbeit. Ja wir sollten wieder lernen, unser gemeinsames Europa zu lieben. Vielleicht erst ein bisschen schüchtern, aber dann immer selbstverständlicher: Es ist einfach wunderbar, dass es dieses friedliche, die Menschenwürde achtendes und wirtschaftlich erfolgreiche Europa gibt.

Natürlich machen die Europäer nicht immer alles richtig aber wer macht das schon. Aber eine Welt ohne Europa, ohne seine Botschaft und ohne seine Werte wäre ärmer und kälter. Wo sonst leben die Menschen so friedlich, so offen und so bunt zusammen.

Auch im Interesse einer friedlicheren und stabileren Welt ist der Erfolg Europas unverzichtbar. Es dient den Menschen zuhause und der ganzen Welt, wenn wir auf unser einmaliges europäisches Projekt und auf das was wir in den letzten 60 Jahren erreicht haben, ein bisschen stolz sind.

Es ist kein Zufall, dass sich gerade jetzt eine neue Bürgerbewegung »pulse of Europe« gegründet hat, die genau diese emotionelle Unterstützung für Europa einfordert. Die Menschen spüren, dass destruktive Kräfte den Einsturz des europäischen Werkes herbeiführen möchten und sie wollen, dass genau dieses Projekt mit seinen Errungenschaften verteidigt und ausgebaut wird. Wir brauchen ein besseres und stärkeres Europa aber keinen Rückfall im die Kleinstaaterei des 19. und 20. Jahrhunderts.

Um Europa zu stärken, ist ein weiterer ziemlich schwieriger Lernprozess erforderlich: Wir müssen lernen und uns eingestehen, dass europäisches und nationales Gemeinwohl nicht immer und überall übereinstimmen können. So ist es offenbar unvermeidbar, dass ein europäischer Zentralbankchef Draghi aus europäischer Sicht manches anders entscheidet als es der deutsche Bundesbankchef tun würde. Diese Spannung ist schwierig, sie muss aber ausgehalten werden. Das gemeinsame europäische Gemeinwohl ist eben auch von Bedeutung insbesondere auf lange Sicht.

Diese »Lektion« mussten übrigens die Bayern nach der deutschen Reichsgründung des Jahres 1871 auch lernen. Insofern haben wir Deutschen diesen schwierigen Lernprozess (der Akzeptanz einer weiteren Souveränitätsebene) schon einmal erfolgreich »durchlitten«, während andere (stolze) Nationen wie Frankreich und Polen diesen Lernprozess zum ersten Mal durchmachen müssen.

Und last not least: Europa muss den Mut haben, schwierige Entscheidungen zu treffen, auch wenn es »weh« tut. Dies bezieht sich gerade jetzt auf die schwierige Flüchtlingsfrage, aber auch auf alle Vorhaben, den Welthandel durch Protektionismus abzudrosseln und auf eine gemeinsame europäische Haltung zur Türkei eines unkalkulierbaren Staatspräsidenten Erdogan.

Europa sollte sein Licht nicht unter den Scheffel stellen: Es hat bereits heute globalen Einfluss und hat die Pflicht diesen Einfluss auch im Sinne von Vernunft, Klugheit und Stabilität global auszuüben. Die anderen Großmächte wie China und Rußland, aber leider auch die derzeitige USA denken primär an die eigene Größe und die Ausdehnung des eignen Einflussgebiets. Die Welt braucht die europäische Stimme der Vernunft und die Europäer brauchen das Wissen, dass es eine europäische Stimme gibt, die stabilisierend fast im Sinne eines globalen Gemeinwohls helfen kann. In der Welt des 21. Jahrhunderts müssen die Europäer gemeinsam auftreten oder die anderen Großmächte werden über uns Europäer entscheiden. Nur ein gemeinsames Europa bietet die Chance einer Selbstbehauptung in der komplexen Welt der Zukunft. Ohne ein starkes Europa gibt es keine sichere Zukunft für uns und unsere Kinder.

 

 

Über Ingo Friedrich 62 Artikel
Dr. Ingo Friedrich war von 1979-2009 Abgeordneter des Europäischen Parlaments, von 1992 bis 1999 Vorsitzender der CSU-Europagruppe im Europäischen Parlament. Er war Schatzmeister der Europäischen Volkspartei (EVP) und Präsident der Europäischen Bewegung Bayern. Seit 2009 ist er Präsident des Europäischen Wirtschaftssenats. Von 1999-2007 war Friedrich einer der 14 gewählten Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments. 2004 erhielt er das Große Bundesverdienstkreuz. Friedrich ist Ehrenmitglied des Europäischen Parlaments und war Präsident der Wilhelm Löhe Hochschule.

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