6. Jüdische Filmtage am Jakobsplatz – Eine facettenreiche Veranstaltungsreihe mit Filmen, Dokumentationen, Podiumsgesprächen und Kunstausstellung für die Filmstadt München

Mit einem von Ellen Presser brillant geführten Gespräch über „Film und die Welt“ mit der weltbekannten Regisseurin und Autorin Doris Dörrie begannen am 15. Januar die 6. „Jüdischen Filmtage“ im überfüllten Burda-Saal der Jüdischen Kultusgemeinde am Jakobsplatz. Als „frühestes Event“ mit Filmfestcharakter des Jahres „noch vor der Berlinale, vor Cannes und Venedig“ – wie IKG- Kulturleiterin humorvoll unterstrich – sind die „Jüdischen Filmtage“ inzwischen zum festen Bestandteil des Programms der Filmstadt München geworden.
Nachdem Doris Dörrie („Männer“,1985) über ihre amerikanischen Erlebnisse während der Studienzeit in Los Angeles, die ihren Horizont öffneten, über die schwierigen Anfängen als junge Frau im ersten Filmstudio in der Kaulbachstraße mit viel Verve und Temperament berichtet hatte, wurde im angrenzenden Foyer eine Ausstellung eröffnet, die auch ganz im Zeichen des Filmgeschehens stand. Präsentiert wurde eine ganze Reihe von Porträtzeichnungen jüdischer Schauspieler, die Maya Gutman – Architektin im Hauptberuf und nebenher auch erfolgreiche Schmuckdesignerin – aus einer umfangreicheren Serie von Abbildern Hollywoods Stars für diesen Anlass ausgewählt hat. Der Bogen der Porträtierten spannte sich von Anouk Aimée in „La dolce vita“ (1960) und Morgan Freeman in „The Code“ (2009) bis hin zu Woody Allens in „To Rome with love“ (2012) und gipfelte in die sofort erkennbaren Porträts von Sean Penn, die den Schauspieler in seiner unendlichen Wandlungsfähigkeit wiedergeben. Von ihm waren Zeichnungen aus ganzen sechs Filmen zu sehen, darunter aus „Dead Man Walking“ (1995), „Sweet and Lowdown“ (1999) und „Cheyenne“ (2011) zu sehen. Was Manya Gutman fasziniert, ist ein bestimmter Gesichtsausdruck, den sie in nur 1/24 einer Sekunde – so lang wie die Dauer eines Filmbildes – bravourös mit dem Bleistift zeichnet, nachdem sie den Film für eine kurze Zeitspanne gestoppt hat. Eine aparte Technik, die ihr erlaubt eine besonders dramatische Sequenz aus den unterschiedlichsten Filmgenres – Komödie Thriller oder Liebesfilm – zu fokussieren und ganz besonders zur Geltung zu bringen.
Als Auftakt der rege besuchten Veranstaltungsreihe fand am Vortag der Eröffnung die Vorführung im Gabriel-Kino des vielschichtigen „Real-Life-Thrillers“ The Green Prince statt, in dem die wahre Geschichte von Mosab Hassan Yousef aufgerollt wurde, der als Sohn eines Hamas-Führers zum israelischen Geheimdienst überlief und zehn Jahre in dessen Dienst stand, weshalb er heute noch versteckt leben muss.
Viele die Facetten, die die Reihe wie ein Mosaik bestücken und zum Lachen aber auch immer wieder zum tiefen Nachdenken führen. Kurz vor dem 70. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz war in diesem Rahmen zum ersten Mal in München die ergreifende Dokumentation „Der letzte der Ungerechten“ (2013) über die umstrittene Rolle der „Judenräte“ in der NS-Zeit des bekannten französischen Regisseurs Claude Lanzmann („Shoah“, 1985) zu sehen. In einem dreistündigen Interview mit Rabbiner Benjamin Murmelstein versuchte er ihn in seiner ambivalenten Rolle als hohen Vertreter der von Eichmann kontrollierten Israelitischen Kultusgemeinde Wien in der NS-Zeit und als „Judenältesten“ im Ghetto Theresienstadt zu durchleuchten. Nach München führte wieder der poetische Film „Für die Ewigkeit“ der zwei Absolventinnen der Filmhochschule München Isabel Gathof und Agata Wozniak über den 1816 angelegten, inzwischen stillgelegten jüdischen Friedhof an der Thalkirchner Straße gedreht haben. Ein Ort der Stille und der vielen Geschichten zugleich, die in den Erzählungen von Johanna, der Schwiegertochter der christlichen Familie Angermeier aufleben, die ihn seit Jahrzehnten – und selbst in der Hitler-Zeit! – pietätsvoll verwaltete. Ergänzt wurde der Film durch Interviews u.a. mit Dr. Andreas Heusler vom Stadtarchiv München, der einen wesentlichen Impuls zu dessen Realisierung gegeben hat und durch Zeitzeugen Uri Siegel, ein Neffe vom FC-Bayern-Gründer Kurt Landauer, der auch ei der Vorführung anwesend war.
Über Höhen und Tiefen seiner Karriere unterhielt sich im Beisein seiner Frau Senta Berger und seiner Kinder Regisseur Michael Verhoeven mit Prof. Michael Brenner
und ging auch mit zahlreichen Filmbeispielen auf die vielen kritischen Beiträge ein, die er in seiner Laufbahn zwischen „Enttäuschung und Ermutigung“ verwirklicht hat. Das deutsche Kulturleben der Goldenen Zwanziger Jahre in Berlin wurde in der Erinnerung des „Lebenskünstlers und geborenen Alleinunterhalters“ Gad Granach
(Rheinsberg, 1915 – Jerusalem 2011) in seinem vollen Glanz auf einmal wieder lebendig. Von seinen Begegnungen mit Hermann Hesse, Bertolt Brecht und Heinrich George erzählte der Sohn des aus Galizien stammenden Charakterdarstellers Alexander Granach („Nosferatu“, 1921; Ninotschka“ 1939) in einer aus 60 Interviews aus unterschiedlichen Filmen und Videoformaten bestehenden Dokumentation, die zu den Highlights der Reihe gehörte. Zusammengestellt wurde sie 1997 von Anke Apelt, die den witzig-scharfsinnigen 83-jährigen bei seinem ersten Deutschland-Besuch 50 Jahre nach seiner Auswanderung nach Palästina an die Hand führte. Eine letzte Kostbarkeit mit hohem künstlerischem Prädikat wurde im Rahmen der „Jüdischen Filmtage“ von der Janusz Korczak Akademie in Kooperation mit der IKG vorgestellt. Es handelt sich um den in Polen, in der Tschechischen Republik, Frankreich, Weißrussland und Russland gedrehte Kurzstreifen „Tufelki“ (Schuhe) des jungen, in der Ukraine geborenen Regisseurs Constantin Fam, der neulich in die Filmsammlung der Holocaust-Gedenksstätte Yad Vashem aufgenommen wurde. Ganz ohne Worte, mit einer einfühlsamen musikalischen Untermalung, entwickelt sich in einem knappen 20minütigen Verlauf die Geschichte voller Symbolik eines sehr intensiv gelebten, in seiner Blütezeit gewaltsam abgebrochenen Lebens. Ihre Phasen, Liebe, Heirat, Mutterschaft, Krieg und Verfolgung, werden mit der Kamera aus einer Perspektive von unten fokussiert, in der ein Paar rote Damen-Pumps die Protagonistenrolle übernimmt. Ihr Weg beginnt im Schaufenster eines Schuhgeschäfts und führt freudig-unbeschwert über eine offene Tanzfläche im Schatten der Tour Eiffel bis sie – beschädigt und verfärbt – auf tragische Weise ihre Endstation auf einem Schuhberg im KZ-Auschwitz finden. Der Film ist der erste Teil einer Trilogie in fieri, in der ein langsamer Prozess der Bewußtseinwerdung eingeleitet wird. In Vorbereitung unter dem Titel „Brutus“ ist ein zweiter, längerer Film, der – auf einem Roman von Thomas Manns Schwiegersohn Ludwig Ashkenazi basierend – die Story eines in einem jüdischen Haus in Prag zunächst wohl behüteten Welpen erzählt, der sich in einen Wachhund in einem KZ verwandelt, wo ihn seine frühere Herrin wieder trifft. Die Premiere ist bei den kommenden Filmfestspielen in Cannes angesagt.

Portrait von Annouk Aimée in „La Dolce Vita“.

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Dr. Anna Zanco-Prestel, hat Literaturwissenschaften (Deutsch, Französisch und Italienisch) und Kunstgeschichte in Venedig, Heidelberg und München studiert. Publizistin und Herausgeberin mit Schwerpunkt Exilforschung. U.d. Publikationen: Erika Mann, Briefe und Antworten 1922 – 69 (Ellermann/DTV/Mondadori). Seit 1990 auch als Kulturkoordinatorin tätig und ab 2000 Vorsitzende des von ihr in München gegründeten Kulturvereins Pro Arte e.V.

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