Erinnert sich noch jemand an die AfD? Kein Wunder: Zur Kultur fiel der Partei während der Corona-Krise bisher nichts ein – außer dem Generalverdacht, dass die Kreativen bei den Hilfsprogrammen betrügen könnten. Und die Mikrostipendien, mit denen Sachsen seinen Künstler*innen helfen will, findet sie auch ungerecht. Daran wird wohl auch der Offene Brief Kölner Dokumentarfilmer*innen an die BKM nichts ändern.
In Sachsen können Künstler*innen seit vorigem Donnerstag Mikrostipendien in Höhe von je 2.000 Euro beantragen. Das Programm „Denkzeit“ soll helfen, „an ihrer künstlerischen Arbeit festzuhalten und individuelle Handlungsansätze für den Umgang mit der Corona-Krise zu entwickeln.“ Zwei Millionen Euro hat der Sächsische Landtag, in dem die Regierungskoalition aus CDU, Grünen und SPD die Mehrheit hat, für Künstler*innen aus den Sparten Darstellende und Bildende Kunst, Musik, Literatur und Film bewilligt.
Die AfD-Fraktion im Sächsischen Landtag ist dagegen. „Statt einzelne Randgruppen bevorzugt zu behandeln“, sollten besser Pauschalen „von 1.000 Euro an erwerbstätige Familien mit Kindern“ gehen, schrieb die Partei in einer Pressemitteilung. „Unbürokratische Nothilfe muss für alle Betriebe, die von der Corona-Krise betroffen sind, da sein. Es ist jedoch der falsche Weg, mit unzähligen, intransparenten Förderprogrammen Sonderregeln und Vorteile für einzelne Berufe zu schaffen.“
Damit ignoriert die Partei sämtliche Hilferufe und Berichte zur Situation der Kulturschaffenden (einen guten Überblick bieten vor allem die Brancheninfos der letzten sechs Wochen). Auch auf Bundesebene steht die AfD den Kulturschaffenden misstrauisch gegenüber: Vorige Woche wurde im Kulturausschuss des Bundestags über Soforthilfen beraten. Die einzige Sorge des kulturpolitischen Sprechers der AfD-Fraktion war lediglich wichtig, dass diese Hilfen von den Kreativen nicht missbraucht werden.
Am 16. März erschien die erste „Corona Brancheninfo“. 95 Pressemitteilungenhat die Bundes-AfD seit diesem Tag herausgegeben. Kein einziger hatte die Kultur zum Thema. Geschweige denn die Kulturschaffenden.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters ermöglicht ab sofort Kulturinstitutionen, Honorare für Engagements zu zahlen, die wegen der Coronakrise abgesagt wurden. Die Regelung gilt für Kultureinrichtungen und Projekte, die vom Bund gefördert werden. Bedingung: Das Engagement wurde bis zum Stichtag 15. März 2020 vereinbart. Für Gagen unter 1.000 Euro, kann ein Ausfallhonorar von bis zu 60 Prozent des Nettoentgelts anerkannt werden, bei Gagen über 1.000 Euro maximal 40 Prozent; die Obergrenze des Ausfallhonorars liegt bei 2.500 Euro.
„Jetzt ist es wichtig, dass alle Bundesländer ähnlich verfahren und es den von ihnen geförderten Kulturinstitutionen ebenfalls ermöglichen, Ausfallhonorare zu zahlen“, wird die Kulturstaatsministerin (BKM) in der heutigen Pressemitteilung zitiert. Im Interesse der Künstler*innen „brauchen wir eine möglichst einheitliche Regelung bei Bund, Ländern und Kommunen.“
Die Hilfen für Künstler*innen und Kreative von Bund, Ländern und anderen im Überblick der BKM.
Nicht nur die BKM, auch andere Politiker verstehen nicht, warum die Kreativen vor der „Grundsicherung“ zurückschrecken. Klar geht’s dabei auch um Stolz – aber selbstverständlich. Das erklärt das Kölner Dokomotive Filmkollektiv in einem Offenen Brief an die Kulturstaatsministerin und macht auch einen Vorschlag, wie es besser ginge:
„Wir sind die junge Generation an Filmemacher*innen, die künstlerische Dokumentarfilme drehen. Unsere Filme sind kritische, sensible und poetische Auseinandersetzungen mit unserer Welt. Sie geben Impulse zur Reflexion politisch- und gesellschaftsrelevanter Themen – sie begeistern, erschüttern und bewegen. Unser Schaffen trägt erheblich zum demokratischen Werteverständnis bei. Insofern sehen wir unsere Arbeit selbstverständlich als systemrelevant an.
Wir arbeiten alle regulär als Freiberufler*innen in der Filmbranche oder haben anderweitige Nebenjobs, um unser Leben und unsere Filme zu finanzieren. Die derzeitige Situation mit den Eindämmungsmaßnahmen aufgrund der Corona-Pandemie zwingt uns, laufende oder geplante Filmprojekte zu stoppen. Durch das ALG2 mag unsere Existenz zwar auf ein Minimum abgesichert sein, trotzdem fallen unsere Honorare ohne eigenes Verschulden vollständig weg und das ohne Kompensation – die an Wenige verteilten Soforthilfen ausgenommen. Schon jetzt ist absehbar, dass unsere alltägliche Filmarbeit durch den Umgang mit dem neuartigen Virus langfristig erschwert wird. Wir haben keine Rücklagen oder Ersparnisse, wie sollen wir also unsere Filmarbeit zukünftig fortsetzen?
Wir als Kulturschaffende setzen uns meist freiwillig den Umständen materieller Bescheidenheit aus und erleiden oft das Ausbleiben gesamtgesellschaftlicher Anerkennung. Ihr Verweisen auf das ALG2 fassen wir ebenfalls als Geringwertschätzung unseres Schaffens auf. Längst ist bekannt, dass selbst etablierte Filmemacher*innen nach zahlreichen Auszeichnungen und Preisen unterbezahlt sind und bei der Realisierung ihrer Filmprojekte für einen Mindestlohn arbeiten. Wir stehen noch am Anfang, doch schon jetzt sehen wir unsere berufliche Zukunft bedroht.
Unsere Forderung zielt auf ein vorerst sechsmonatiges Mindestgrundeinkommen ab, dessen Höhe sich auf dem Niveau des Grundeinkommens in Baden-Württemberg von 1.180 Euro bewegen sollte. Es soll für alle Filmemacher*innen gelten, einschließlich Nicht-KSK-Versicherter. Bei Mehrbedarf aufgrund der Familien- und Wohnverhältnisse soll das Mindestgrundeinkommen aufgestockt werden.
Wir fordern, schnell unbürokratische Unterstützungsmaßnahmen für Filmemacher*innen vorzulegen, damit wir uns in der aktuellen Situation bestmöglich auf die kommende Zeit nach der Corona-Krise vorbereiten können!“
Gemeinsam mit dem Bundesverband Regie fordert der Bundesverband Herstellungs- und Produktionsleitung eine Änderung des Sozialgesetzbuchs III. Dem Aufruf, der die Lage der Filmschaffenden in der aktuellen Krise verbessern soll, hat sich ein Dutzend weiterer Verbände angeschlossen.
Mehr als 60 Schauspieler*innen haben ein Schreiben unterzeichnet, in dem die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) zu schnellem Handeln aufgefordert wird. Mit der Ausschüttung der zum Teil seit langem zustehenden Zahlungen könnte die GVL zahlreichen in ihrer Existenz bedrohten Schauspieler*innen helfen, argumentieren sie.
Was fällt denn nun unter „Betriebskosten“? Die Soforthilfen des Bundes für Solo-Selbständige und Kulturschaffende sind unsinnig geregelt. Wann ändert sich das endlich? fragt die „Süddeutsche Zeitung“.
Dazu ein Tipp der Schauspielerin und „Hartz-IV-Expertin“ Bettina Kenter-Götte zur Antragstellung zur „Grundsicherung“ aka ALG2 aka Hartz IV:
„Keine ,Eingliederungsvereinbarung’ unterschreiben, falls eine solche vorgelegt wird. Falls nicht freiwillig unterschrieben, werden die selben Inhalte/Vorgaben dann zwar per ,Verwaltungsakt’ verfügt. Unterschied: Gegen den Verwaltungsakt kann man klagen, gegen die freiwillig unterschriebene ,Eingliederungsvereinbarung’ nicht. Keinesfalls zur Unterschrift nötigen lassen: die Nicht-Unterschrift darf seit 2011 nicht mehr ,sanktioniert’ werden.
Mein Rat: Alle Unregelmäßigkeiten bei der Antragstellung (verzögerte Bearbeitung, Nötigungsversuche, schlechte Behandlung und so weiter) sofort an das zuständige Landratsamt, zuständige Gemeinde (Bürgermeister*in) und die Presse melden und Beschwerde einlegen. Gewerkschaftsmitglieder haben Rechtsschutz. Betroffene aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck können sich bei Problemen an mich wenden.“
Die Kinos sind dicht, produziert wird auch nicht mehr. Was bedeutet der Corona-Lockdown für die Filmbranche? „Die Krise wird eine Menge Verlierer haben“, vermutet Festivalchef und Kino-Vordenker Lars Henrik Gass.
„Wir werden ganz sicher als eine andere Organisation hier herausgehen“, sagt Ben Roberts. Der Chef des British Film Institute erwägt in „Variety“ein radikales Umdenken auf dem Weg zur wirtschaftlichen Erholung des Independentfilms[auf Englisch].
Die französischen Kinos bleiben mindestens bis zum 2. Juni geschlossen, berichtet „Screen Daily“
Überwindet Eure Geld-Scham! ruft die „Taz“: Kulturschaffende bieten ihre Werke gerade oft umsonst an. Sie sollten beim Publikum faire Bezahlung einfordern.
Wer nutzt überhaupt Theater-Streams? „Nachtkritik“ unternahm eine nicht-repräsentative Umfrage. Ein Ergebnis: Der Preis ist ein Abschaltfaktor.
Erst hat man ihm das Theater weggenommen und jetzt darf er nicht mal mehr sein Huhn an der Fleischtheke aussuchen. Frank Castorf kritisiert heute in der „Berliner Zeitung“ die Corona-Einschränkungen und trifft wunde Punkte.
Gestern rief der Theatermacher im „Spiegel“ zu „republikanischem Widerstand“ gegen die Pandemie-Maßnahmen auf: Wir sollten uns nicht länger den Dekreten von Virologieprofessoren und Politikern unterwerfen.
Die designierte Direktorin der Landesmedienanstalt Saarland, Ruth Meyer, hat sich dafür ausgesprochen, Kinos unter Einhaltung strikter Hygienevorschriften und im Zuge schrittweiser Lockerungen baldmöglichst wieder zu öffnen. Auch spricht sie sich für weitere Hilfsmaßnahmen aus.
Streaming wächst in allen Zielgruppen. Mit dem Ankommen im Mainstream verändern sich die Anforderungen der Nutzer an Inhalte und Nutzungsformen. Die Nutzung von Streaming-Angeboten erfolgt komplementär zum TV. „Medienpolitik“ fasst ein Whitepaper der RTL Mediengruppe zusammen.
„Warum wir gerade lieber Drosten als Sloterdijk hören“, erklärt die „FAZ“: Alle großen Theoretiker haben sich schon zu Wort gemeldet. Aber die Begriffe und Lösungen, mit denen sie daherkommen, sind die alten. Ihre Selbstgewissheit führt uns in der Corona-Krise nicht weiter.
Im Bund bröckelt die ganz große Pandemie-Koalition, und die Länder tun das, was sie immer tun: Sie beschreiten Sonderwege. Ein gutes Zeichen, findet Roger Köppel, Verleger der Schweizer Wochenzeitung „Weltwoche“ und Abgeordneter der konservativen SVP. Die „Diskussionsorgien“, vor denen Angela Merkel warnt, sieht er als Rückkehr zu dem, was eine europäische Demokratie ausmacht: Das ergebnisoffene Ringen um die beste Lösung. Ein Beitrag in Gabor Steingarts Podcast „Morning Briefing“.
Offene Schulen und Restaurants: Im Kampf gegen das Coronavirus verweisen Lockdown-Gegner gern auf den schwedischen Sonderweg. Doch den gibt es so gar nicht, schreibt „Der Spiegel“.
Viele Griechen zeigen sich selbst erstaunt über ihre Disziplin im Umgang mit dem Corona-Virus und das gute Krisen-Management der Regierung. Die sieht Griechenland gern als Musterland in der Bekämpfung der Pandemie, berichtet die „Tagesschau“.
Beide Länder haben mit über 10 Millionen Menschen fast die gleiche Einwohnerzahl. Allerdings ist in Griechenland die Bevölkerungsdichte fast viermal so hoch, und das Land schneidet im Vergleich zu Schweden bei fast allen Daten zu Wirtschaft und Infrastruktur erheblich schlechter ab als Schweden.
Was wird aus dem geplanten Auslandsurlaub? Nach Informationen des „Spiegel“ soll die weltweite Reisewarnung des Auswärtigen Amtes noch mindestens bis zum 14. Juni gelten. Über die Sommerferien wird später entschieden.
Der Schauspieler Daniel Brühl ruft eine Poesie-Aktion ins Leben. Unter dem Hashtag #poetryforlocals können Menschen auf Instagram ihre Lieblingsgedichte posten. Mit der Aktion sollen kleine Läden, Cafés und Restaurants in der Nachbarschaft unterstützt werden.
Wie schlagen Sie sich während der Corona-Krise? „Blickpunkt Film“ hört sich um und befragt Mitglieder der Kino- und Filmbranche, mit welchen Schwierigkeiten sie konfrontiert werden. Hier berichtet Monika Plura, Kamerafrau.
Corona trifft viele mitteldeutsche Kurzfilmschaffende hart. Der MDR will helfen und legt nach der „enormen Resonanz“ auf „Corona Creative“ das Kurzfilmprojekt „MDR Shorts“ auf.
Weil aktuell wichtige internationale Filmfestivals abgesagt werden müssen, will die chilenische Filmindustrie ausgewählte preisgekrönte Filme des südamerikanischen Landes kostenlos online zur Verfügung stellen.
Bislang mussten Filme im Kino zu sehen gewesen sein, um bei den „Oscars“ nominiert zu werden. Wegen der Corona-Krise macht die US-Filmakademie für das kommende Jahr aber eine Ausnahme und lässt Streaming-Filme zu.
Wir teilen einen Post auf Facebook. Dort macht sich der Regisseur Lars Jessen ein bisschen weiterführende Gedanken und lädt zum kreativen Protest:
„Hast du auch gerade das Gefühl, dass die Welt Kopf steht und sehnst dich nach einem Stück Normalität?
Aber zu welcher Normalität wollen wir eigentlich zurück? Corona hat gezeigt, dass unsere Normalität gar nicht so toll war: Jetzt merken wir, wer wirklich systemrelevant ist und völlig unterbezahlt. Dass unsere Wirtschaft trotz Rekordwachstum schon nach wenigen Wochen Stillstand gerettet werden muss und das, weil die Menschen nur noch das kaufen, was sie wirklich zum Leben brauchen. Auch wenn wir Bürger und Bürgerinnen gerade wie gelähmt sind mit all unseren Problemen, so passiert in der Politik gerade ziemlich viel: Milliardenhilfen werden ausgegeben und die heilige schwarze Null ist Geschichte, neue Gesetze werden in Rekordzeit erlassen.
Gerade wird Geschichte geschrieben, und wir sollten alle mitreden. Politik ist für uns da, und die Milliardenhilfen sind unser Steuergeld. Wir können gerade zwar nicht richtig demonstrieren, aber wir alle haben ein Handy. Deshalb lasst uns einfach zu Hause auf den Tisch steigen und sagen, wofür wir morgens aufstehen: #ichsteheauffuer
Und so geht’s:
# Hänge dir ein buntes Badehandtuch um.
# Steige auf einen Stuhl, Tisch, eine Mauer oder ähnliches.
# Sage in die Handy-Kamera, für welche Sache du aufsteht und was dir für eine lebenswerte Zukunft wirklich wichtig ist. Alternativ kannst du ein „aufgestandenes“ Foto von dir machen, frisch aus dem Bett.
# Poste Dein Video/Foto mit dem Hashtag #IchSteheAufFuer auf Twitter, Insta, Facebook, Youtube, LinkedIn, TikTok etc. und leite es an möglichst viele Leute weiter!
# Motiviere drei weitere Personen direkt, ebenfalls aufzustehen.
# Halte das Badehandtuch in den nächsten Wochen bereit für Step 2 …
Also los! Wofür stehst du auf?
P.S. Solltest du diesen Kettenbrief nicht an mindestens 20 Kontakte weiterleiten, wird Donald Trump wiedergewählt.“
Kreativ in der Krise. Eine Urlauberin und ein Urlauber entscheiden sich, die Corona-Krise auf einer sicheren Insel zu verbringen. Sie kommentieren die aktuellen Ereignisse aus der Ferne per Video-Blog und versuchen, ihre Freunde durch diese schwere Zeit zu begleiten.
So ist „Die Corona Chronik“ in ihrem Youtube-Kanal beschrieben. Dahinter stecken Anne Hoffmann und Moritz Frei – sie Schauspielerin, er Bildender Künstler. „Seit über fünf Wochen produzieren mein Freund und ich während des Mittagsschlafes unserer Tochter eine improvisierte ,Heimsatire’ unter Palmen, mittlerweile gibt es 22 Folgen“, schreibt Hoffmann. „Die ersten Folgen stecken noch sehr in den Kinderschuhen, da kann man ruhig bisschen was skippen – guter Einstieg ist ab Folge 11.“
Aufmerksam wurden auch schon Radio 1, Deutschlankfunk, „Monopol“ und in Luxemburg „L’essentiell“.
Brancheninfo von crew-united und cinearte, erschienen auf out-takes