4 Dinge, die wir von Friedrich Schiller lernen können

Friedrich Schiller ist keineswegs nur Deutschlands berühmtester Dramatiker, dem wir die besten Stücke der Weltgeschichte verdanken. Schiller ist mehr, er ist auch ein politischer Geist. Er wollte eine erneuerte Gesellschaft mittels seiner ästhetischen Revolution. Und dabei begriff Schiller diese keineswegs à la Bloch als bloße Utopie. Ihm ging es ganz konkret darum, wie sich dieses gesellschaftliche Ideal harmonischer Gemeinschaftlichkeit, das sittliche Gemeinwohl, verwirklichen läßt. Dabei war er zugleich Visionär und Realist. Visionär und Idealist, weil er eine Reformierung der Gesellschaft für notwendig erachtete, Realist, weil sich diese nur durch eine aufgeklärte Menschheit durchsetzten ließe.

Der Weltbürger ist weder rechts noch links

Im Jahr 2016 wäre Friedrich Schiller ein grenzenloser Verfechter der europäischen Idee. Schiller will den „Weltbürger“, jenen freien Geist, der sich seiner politischen Verantwortung bewusst ist, der als gemäßigter Denker jedem politischen Radikalismus und jedem religiösen Fundamentalismus abschwört. Sein Weltbürger ist den Idealen von Freiheit, Bürgerlichkeit und Brüderlichkeit verpflichtet. Mit einer AfD könnte Schiller genausowenig anfangen wie mit linkem Terror, jeglicher Extremismus ist ihm ein Greuel. Seine ästhetischen Briefe lesen sich, als wären sie gestern geschrieben. Weil Schiller, und das macht ihn so modern, den Menschen weder auf Rationalität noch auf Sinnlichkeit reduzieren will, lehnt er alles ab, was seinen Ursprung entweder in einer reinen Verkopftheit oder in einer blinden Raserei hat. Er weiß, dass ein reiner Idealismus à la Robespierre zur Diktatur führt, ein reiner Materialismus hingegen zu einem oberflächlichen Leben, das es sich bequem macht, wo Lust und Neigung regieren. Nur, wo sich Rationalität und Sinnlichkeit, Pflicht (Formtrieb) und Neigung (Stofftrieb) aus Freiheit verbinden, findet Versöhnung statt, kommt der Mensch zu seiner Bestimmung, zu seinem Wesen. Dort, wo er spielt, wird er Mensch, ist er gemäßigt.

Kritik am oberflächlichen Zeitgeist

Der Marbacher Schiller ist ein gnadenloser Chronist. Wie später Engels und Brecht analysiert der Ästhetiker die Unarten der Zeit, die Verflachung der Mode und den geistigen Verfall auf breiter Front. Die kritische Analyse dessen, was den sogenannten Zeitgeist ausmacht, liest sich wie eine genuine Beschreibung der Kulturverflachung des, 21. Jahrhunderts. Der Weimarer Ästhetiker spricht von Erschlaffung, von einem ermüdeten Zeitgeist, der die Gefahr in sich birgt, a-politisch zu werden. Erschlaffung ist das Fehlen der Vernunft und des Verstandes als Triebfedern. Dieser Flachheit im kulturell und politischem Betrieb sich entgegenzustellen, begreift Schiller nicht nur als Herausforderung der Stunde, als das, was geboten ist, sondern als die Pflicht eines jeden Bürgers, der als Weltbürger nicht gesinnungsethisch, sondern verantwortungsethisch handelt. Schiller bekämpft den Spießbürger, den selbstgefälligen Unpolitischen, der zur Gesellschaft auf Distanz geht, dem das Politische egal und gleichgültig ist. Er kritisiert den angepaßten Bürger, den heutigen Nichtwähler, und fordert demgegenüber das politische Interesse im Sinne der aufgeklärten Vernunft, den Bürger also, der für das Gemeinwohl kämpft. Kritisch würde sein Urteil heute gegenüber denjenigen ausfallen, deren Handlungsprämissen von Gier, Luxus, Neid, Mißgunst und Eitelkeit bestimmt sind.

Wider den Egoismus – für einen humanen Staat

Schon vor über 200 Jahren kritisierte Schiller die „Schlaffheit“ des Geistes, jenes Spiel mit den Formen. Darin sah er einen Zweck ohne Zweck, eine gleichgültige Verschiebung von Verantwortung, ein regelloses Spiel mit leeren Hülsen und Floskeln. Den postmodernen Realismus, der sich dieses Formvokabular zu eigen gemacht hat und den Siegeszug durch die Instanzen angetreten ist, würde er als höchst unproduktiv entlarven, die ganze Postmoderne als etwas charakterisieren, was auf ein entleertes Ich hinausläuft, das nur sich selbst kennt und wahrnimmt. Dieses sich selbst deutende, bedeutende Ich führt geradezu in einen Nihilismus, der in seiner radikalsten Form einen Egoismus zur Folge hat. Dieser wird zum Brandzeichen einer Gesellschaft, die sich zerstückelt, die sich be- und entfremdet und das soziale Miteinander zerstört. Statt das Gemeinwohl zu befördern, steigert der Einzelne nur sein Individualwohl. Was darüber zerbricht, ist das Humanun. Diesen Egoismus zu zertrümmern, darin sieht Schiller eine der Aufgaben seiner ästhetischen Erziehung. Dabei ist sich Schiller bewußt: Zuerst muss sich der Mensch zu seinem sittlich-moralischem Wesen erziehen und dann den gesellschaftlichen Transformationsprozess einläuten. Menschsein bedeutet Sein im Anderen und im Anderen-Sein. Oder anders gesagt: Glück findet der Mensch erst als Bürger, wenn er sich moralisch verhält und den Staat zu einem Raum der Freiheit für alle werden läßt, zum humanen Staat, eben zum ästhetischen Staat.
Heute würde Schiller, der Autor der „Räuber“, einerseits für eine Verteilungsgerechtigkeit plädieren, andererseits für eine humanitäre Lösung in der Flüchtlingsfrage, wobei nicht die Integration für ihn die maßgebende Rolle spielen würde, sondern die moralische Selbsterziehung jedes einzelnen, der sich an den universalen Werten von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit orientiert und durch das maßvolle Spiel zwischen Vernunft und Neigung zum Bürger wird. Vom Bürger führt dann der Weg zum Staatsbürger.

„Schaubühne“ und Neue Medien

Nun ist Schiller aber auch Realist und weiß, dass der Mensch endlich und fehleranfällig ist. Dieser Schwachheit des Geistes, des Gemütes und des Leibes gilt es entgegenzusteuern. Dabei im Blick hat Schiller die Kunst, genauer das Theater, die „Schaubühne als moralische Anstalt“. Sie gilt ihm als Medium, das zu politischer Bildung erzieht. Das Theater vermag sowohl den Vernunft- als auch den Triebmenschen ansprechen, es kommt damit sowohl dem „unteren“ oder niederen Beweggründen als auch der moralischen Natur des Menschen entgegen. Weil es „einem mittleren Zustand, der beide widersprechende Enden vereinigt“, herstellt, dient es zur Verwirklichung der Glückseligkeit als höchstem Ziel, befördert die Bildung des Herzens und des Verstandes. Damit kommt dem Theater oder der Kunst eine Schlüsselrolle bei der ästhetischen Erziehung zu, denn im Unterschied zum Staat (und seinen Rechtsvorschriften) mit seinen „verneinenden Pflichten“ und der Religionen (samt ihren Offenbarungen) unterstützt, bzw. überformt die Kunst alle beide. Versagt der Staat als gesetzgebende Instanz, so Schiller, dann obliegt es der Kunst hier deutend einzugreifen, Irrtümer einer fehlbildenden Geschichts- und Realitätssicht zu korrigieren. Nur ihr ist es möglich, „[…] die unglücklichen Schlachtopfer vernachlässigter Erziehung in rührenden, erschütternden Gemälden“ an ihrem Schicksal vorbeizuführen.
War es für Schiller noch die Schaubühne sind es heute das Fernsehen, das Kino, die Sozialen Netzwerke, die Medien insgesamt, denen Schiller die verantwortungsvolle Aufgabe einer ästhetischen Erziehung übergegeben würde, von denen er erwartete, gegen den Zeitgeist zu streiten, die Moralität statt den Stumpfsinn zu befördern, politisch zu erziehen als zu verharmlosen. Wo die Medien ihren Bildungsauftrag nicht erfüllen, wo die Ängste des gemeinen Mannes – wie derzeit in der Flüchtlingskrise – nicht mehr vom politischen Klasse wahrgenommen werden, wo die Politik sich in Herzergießungen zerreißt und sich selbst inszeniert, wo die Öffentlich-rechtlichen Medien eindimensional berichten, da dürfte, so würde Schiller schließen, es auch nicht verwundern, wenn das Volk verroht, wenn es sich jenseits von Kultur, Kunst und Politik selbst erzieht – nur dann leider nicht zum Weltbürger, sondern eben zum Spieß- oder Wutbürger samt radikalen Tendenzen inklusive. Noch schlimmer wäre es, wenn die Salafisten als die „besseren Sozialarbeiter“ die Erziehung hierzulande übernehmen.

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2157 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".

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