Kommt jetzt das orwellsche Zeitalter? Mehr Gelassenheit gegenüber Trump

Amerika-Fahne, Foto: Stefan Groß

Säbelrasseln im Weißen Haus. Nach zwei Wochen im Amt schockiert Amerikas Number One die Weltöffentlichkeit. Pünktlich zum Frühstück serviert US-Präsident Trump jeden Tag einen Cocktail, der einem noch zum Mittag schwer im Magen liegt. Manche sehen mit ihm gar ein neues „1984“ heranbrechen. Kommt jetzt ein neues orwellsches Zeitalter?

Für die einen ist Trump so eine Art Super-Gau, dessen bloße Namensnennung für Gefühlstsunamis und seismografische Turbulenzen sorgt, man spricht von Trump-Massakern und „kriegerischem Nationalismus“. Trump ist das Monster, das die Welt in Atem hält. Für die anderen ist der Milliardär eine Art Messias, ein Heilsbringer, der Amerika vom verhassten Establishment befreit. Er verspricht nicht nur Mauer, Einreisverbot und ein rasantes Wirtschaftswachstum, sondern unterschreibt im Turbomodus ein Dekret nach dem anderen. Er arbeitet so schnell wie einst die Concorde einst flog. 17 Dekrete in 10 Tagen, Obama kam seinerzeit auf 277 insgesamt.

Orwellscher Neusprech regiert

Doch kaum ein Politiker polarisiert mehr. Es ist die Art, wie er Entscheidungen fällt, die verunsichert. Zwei Wochen im Amt zerstört er das Tafelsilber. Mit seinen Gegnern spielt er Russisch Roulette, kritische Journalisten bekämpft er wie ein wildes Raubtier. Wer nicht seiner Meinung ist, fliegt raus. Orwellscher Neusprech regiert auf allen Etagen. Das Zeitalter Trumps ist bereits jetzt das der „alternativen Fakten“ und ein Wahrheitsanspruch regiert, der selbst die christliche Offenbarung wie ein Sekundärereignis erscheinen lässt.

Seine Politik gleicht einem Pokerspiel in seinem riesigen Casino. Trump poltert und fordert die Wiedereinführung von Waterboarding – doch er ist sprunghaft wie ein Tiger auf der Hetzjagd. Heute dies – morgen das. Chaos scheint das politische Programm zu sein, das die große Rhetorik-Maschine Trump fast existentiell beflügelt. Die meisten seiner Entscheidungen fällt er spontan aus dem Bauch heraus, um sie am nächsten Tag wieder in den Orkus der Geschichte zu spülen. Der Polit-Amateur ist in den ersten Wochen eins – ein „Doppeldenk“ und ein politischer Überlebenskünstler.

Machtpolitiker mit Allmacht-Phantasien

Trump ist kein Grüßaugust. Vielmehr geriert er sich als Machtpolitiker mit Allmacht-Phantasien. Als omnipotenter Monarch von Gottesgnaden pflegt er einen fast diktatorischen Autokratenstil und erklärt die Welt – samt ihrer Pluralität – in einem Handstrich zum Hofstaat. Kritik mag er nicht, wenngleich er betont, dass er sich Herausforderern gern zum Duell stelle. US-Justizministerin Sally Yates zumindest war zum Duell ausgeladen oder eben nicht auf Augenhöhe. Ob Trump tatsächlich ein Diskursplayer ist, bleibt abzuwarten.

Bislang, so scheint es wenigsten, ist Trump zumindest eins, der König der Diskursverweigerung. Kritiker befürchten einen nationalen, flächendeckenden Überwachungsstaat, andere sehen sich schon in einen Unterdrückungssystem angekommen, dass in seiner Radikalität noch Kim Jon-un, Josef Stalin, Adolf Hitler und den trübsinnigen Stasi-Mielke überbietet. Immer wenn Diktatoren, Allmachtphantasien und totalitäre Apparate sich janusköpfig aus dem schlammigen Erdboden erheben, kommt George Orwells düsteres „1948“ in Spiel. In Amerika ist das Buch bereits jetzt ausverkauft.

„1984“ – „Big Brother is watching you“

In seinem Bestseller-Roman „1984“, 1948 geschrieben, entwarf Orwell eine Dystopie. Es ist einer der radikalsten, düsteren Gegenentwürfe zu Platons „Staat, Thomas Morus’ „Utopia“ oder Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“. Orwell entwickelt als Programm der Moderne einen totalitären Überwachungsstaat, der jede Individualität am Boden vernichtet, der die Privatsphäre in Bann wirft und die Gedanken in Fußfesseln zementiert. Gedankenfreiheit ist bereits ein Verbrechen und wird mit rigider Gehirnwäsche betraft. Der große Bruder („Big Brother is watching you“), die Parteielite, regiert mit strikter Hand, mediale Eindimensionalität ist Programm. Die Willensmanipulation als perfideste Zensur regiert und schädliche Begriffe wie Freiheit werden durch eine neue Sprache ersetzt. Der Neusprech und der „Doppeldenk“ regieren, und wer sich ihnen widersetzt, endet in den Folterkammern des Staates, wird mental manipuliert und wieder auf Parteikurs gebracht. Die heute vielzitierte postfaktische „Geschichtsklitterung“ ist systemisch im Überwachungsstatt verankert und die eigentliche Freiheit zeigt sich im Bekenntnis zum totalitären Staat, in der Selbstauflösung und in der Akzeptanz des Großen Bruders als dem alleinseligmachenden Prinzip der Wahrheit.

Orwells Narrativ zeitgemäßer denn je?

Wenn man Kundenrezensionen bei Amazon zu „1984“ liest, ist Orwells Narrativ am Puls der Zeit. „Sehr relevant für die Zeit, in der Wissenschaftler zum Schweigen gebracht und Einwanderer attackiert werden, und in der sich die Vereinigten Staaten in eine Welt alternativer Fakten bewegen.“ und „Orwell dachte an die Trump-Regierung, als er den Klassiker geschrieben hat, “ heißt es dort. Doch bei aller berechtigten Angst: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch, schrieb einst Hölderlin in seinem Gedicht „Patmos“. Und Trump ist, wie einst Ronald Reagan bei seinem Amtsantritt, möglicherweise ein riesiges Trumpeltier, das unflätig den Zeitgeist beunruhigt und zermürbt – aber vielleicht lernt der neue US-Präsident doch noch seinen Verstand zu gebrauchen, getreu der Maxime Kants und seine Feinde zu ehren, wie Konfuzius es weise forderte. In seiner Rede auf dem „National Prayer Breakfast“ am 2. Februar betonte er immerhin: „Amerika muss eine tolerante Gesellschaft bleiben.“ Das klingt zumindest nicht nach „1984“.

Mehr Gelassenheit gegenüber Trump

Altbundeskanzler Gerhard Schröder jedenfalls fordert mehr Gelassenheit im Umgang mit Trump. Und das ist vielleicht ganz gut so. Wir haben noch ganz andere Probleme, die der kollektive, fast ebenso eindimensionale Zeitgeist im kritischen Trump-Fieber derzeit völlig ausklammert: Hungersnöte, Kriege und eine globale Umweltzerstörung. In der medialen Trump-Hetze rückt dies alles in Hintergrund. Schade!

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2159 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".

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