I.
30 Jahre nach dem Mauerfall, als (fast) alle glaubten, nun habe der Himmel uns
Deutschen und Europäern, nicht zuletzt auch den Russen im „gemeinsamen
Haus Europa“ (Michail Gorbatschow), endlich Freiheit und Frieden
geschenkt, wird die Luft zum Atmen „in diesem Lande“ dünner.
Wer sich nicht innerhalb des Meinungskorridors bewegt, wer sich dem
Konformismus verweigert, wer sich nicht von aggressiv dummen, totalitären
Studenten tyrannisieren lässt, wird ins soziale Abseits gedrängt, muss mit
„Sanktionen“, id est mit dem Ausschluss aus der der von
Minderheiten dominierten guten Gesellschaft der Wohlmeinenden, rechnen.
Verhaltene Kritik an dieser Realität äußerte unlängst der jeglicher
„rechter“ Sentiments unverdächtige Jurist und Schriftsteller Bernhard
Schlink. Auch Steinmeiers Vorgänger als Bundespräsident Joachim Gauck beklagt
die fehlende Toleranz im Umgang mit unliebsamen politischen Positionen.
In aller Deutlichkeit umriss zuletzt der einstige DDR-Bürgerrechtler
Gunter Weißgerber (SPD-MdB 1990-2009; Globkult-Autor) den geistigen – und
politischen – Zustand dieses Landes (siehe https://www.globkult.de/geschichte/zeitgeschichte/1806-30-jahre-friedliche-revolution):
„Wer meint denn hier im Raum, er oder sie könne jederzeit alles sagen, was
es zu sagen gilt? Ohne die Befürchtung an den Rand gedrängt oder gar
deutschlandweit am Pranger zu landen? Mir fallen da nur existenziell
unabhängige Bürger ein.
Wer in Abhängigkeit beschäftigt ist, der oder die überlegt sich das inzwischen
gründlich. Es entstand vor allem seit 2015 eine öffentliche Atmosphäre, wie sie
mir zwischen 1989 und 2015 unvorstellbar war. Wir leben nicht DDR 2.0,
niemand wird für seine Meinung eingesperrt.
Und doch entstand ein Klima der ängstlichen Vorsicht. Daran ist kein
Propagandaministerium beteiligt. Es ist ein Gemisch von medialer Selbstzensur
und zivilgesellschaftlichen Blockwarten. Gelebte Meinungsfreiheit geht anders.
Bei Voltaire ist das nachlesbar.“
II.
Wir leben im Jahre 2019. In den anstehenden Gedenkfeiern zum Mauerfall werden
kritisch-selbstkritische Worte über derlei Aspekte deutscher Wirklichkeit anno
2019 nicht zu vernehmen sein. Die – teils berechtigte, teils
selbstgerechte – Empörung über Höcke und die AfD nach deren voraussehbarem
„Erfolg“ in Thüringen wird alles übertönen.
Darüber rückt selbst die Erinnerung an die geschichtliche Realität
„unseres Landes“ vor und nach dem Mauerfall nicht nur zeitlich,
sondern auch „geschichtspolitsch“ in immer unklarere Distanz.
Vor diesem Hintergrund darf ich in Ergänzung zu meinem Kommentar zu den weithin
peinlichen Feiern zum „Einheitstag“ am 3. Oktober auf zwei
Buchrezensionen verweisen, die auf „Globkult“ erschienen sind:
https://globkult.de/politik/besprechungen/1791-frank-blohm-geh-doch-rueber-revisited-ein-ost-west-lesebuch
https://globkult.de/politik/besprechungen/1809-matthias-bath-hg-mauerfall-25-und-eine-erinnerung
Ich gestatte mir, die – wenngleich als Werbung für das Buch von Frank Blohm
gedachte – Reaktion des Lukas Verlags auf meine Besprechung zu
zitieren:“Eine erste und sogleich ausgesprochen gründliche Würdigung des
Buches »Geh doch rüber! Revisited« durch Herbert Ammon, also aus berufenem Munde bzw.
berufener Feder!“ Eigenlob? Nein, Vorsichtsmaßnahme!
Eingestellt von https://herbert-ammon.blogspot.com/ um