5.07.2018 | SCHAEZLERPALAIS AUGSBURG
Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen restituieren nach proaktiver Recherche 2017/18 ein Werk von Ernst Immanuel Müller an die Erbengemeinschaft nach Ludwig Friedmann (30.10.1880-07.03.1943). Das Bild mit dem Titel „Bauernstube“ wird an Miriam Friedmann, eine Enkelin von Ludwig und Selma Friedmann, für die Erbengemeinschaft übergeben. Diese 14. Restitution der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen nach der „Washingtoner Erklärung“ von 1998 erfolgt im Schaezlerpalais in Augsburg, da Ludwig und Selma Friedmann Bürger dieser Stadt waren und eine der Erbinnen Miriam Friedmann in dieser Stadt lebt. Auf Wunsch der Erbengemeinschaft soll das Bild auch zukünftig in der Familie verbleiben.
ERNST IMMANUEL MÜLLER (1844-1915)
BAUERNSTUBE (STUDIE)
Öl auf Leinwand, 66,8 x 42,3
Zitat Generaldirektor Prof. Bernhard Maaz
„Jede Restitution ist ein berührender, menschlicher Akt, und in dem Fall der Rückgabe dieses Bildes waren die vorbereitenden persönlichen Gespräche besonders von Vertrauen und Offenheit geprägt. Ich freue mich, dass dank der Kooperation der Familie und unserer proaktiven Recherche eine für beide Seiten einvernehmliche Lösung erzielt werden konnte und wir der Familie ein Werk von hohem symbolischen Wert zurückgeben dürfen.“
Zitat Miriam Friedmann
„Durch die Rückkehr des Bildes kommt ein kleiner Baustein dieser Geschichte zurück.“
Projekt „Erwerbungen zwischen 1933-45“
Im Mai 2017 startete das Referat Provenienzforschung der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen eine erneute Überprüfung der „Erwerbungen zwischen 1933-45“, da sich die Forschungsgrundlagen seit den letzten Untersuchungen dieses Bestands vor anderthalb Jahrzehnten grundlegend weiterentwickelt haben. Nicht zuletzt dank neuer Online-Datenbanken konnte 2017 die lückenlose Provenienzkette für dieses Bild erstellt werden, die die Grundlage zur Restitution des Bildes an die Familie Friedmann ist.
Die Familie Friedmann
Die jüdische Familie Friedmann führte in Augsburg seit 1872 einen erfolgreichen Wäschegroßhandel am Annaplatz und ab 1930 mit Geschäftspartnern in der Hermanstraße 15. Geboren am 30. Oktober 1880 in Augsburg, heiratete Ludwig Friedmann dort 1911 Selma Fromm, ebenfalls jüdischen Glaubens. Das Paar bekam vier Kinder. Am 04. Juni 1919 erwarb Ludwig Friedmann bei der Galerie Heinemann, einer bekannten Münchner Kunsthandlung, die Studie „Bauernstube“ (Kunstwerk-ID: 7618), die bis zu seinem Lebensende in seinem Eigentum war.
Ab 1933 wurde die Familie Opfer nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen. Bewegten sich die Angriffe zunächst auf persönlicher Ebene, so begann ab 1938 die systematische staatliche Verfolgung und Vernichtung der Familie. Die Firma und das Haus am Annaplatz mussten zwangsverkauft werden und es wurden weitere Vermögensabgaben verlangt. Die Familie wurde zweimal zwangsumgesiedelt, bis 1943 der Deportationsbefehl an Ludwig und Selma Friedmann erging. Die vier Kinder lebten zu diesem Zeitpunkt bereits im Ausland. Ihre Eltern blieben jedoch in Augsburg, wo sie zeitlebens gewohnt und gearbeitet hatten und Ludwig Friedmann 2. Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde war. Einen Tag vor ihrer angekündigten Deportation nahm sich das Ehepaar gemeinsam das Leben.
Nach ihrem Tod zog das Finanzamt Augsburg-Stadt das gesamte Eigentum des Paares „zur Verwertung“ ein. Die Wohnungseinrichtung ging an das städtische Wohlfahrtsamt, das Bild „Bauernstube“ kam beim Finanzamt Augsburg-Stadt zur Dienststelle für Vermögensverwertung. Durch die Vermittlung von Dr. Hans Buchheit, Direktor des Bayerischen Nationalmuseums, gelangte das Bild an die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, wo ihr Direktor, Dr. Ernst Buchner, sich für den Erwerb des Bildes einsetzte. Für 128,40 Reichsmark wurde im Mai 1943 diese „fein und intim gemalte, künstlerisch wertvolle Arbeit eines Münchener Malers“ schließlich angekauft.
Eine Entschädigung der Familie für den Verlust des Bildes hat bisher nicht stattgefunden. Die Rückgabe basiert auf der Anerkennung der selbstverpflichtenden Prinzipien und Grundsätze zur Auffindung und Rückgabe unrechtmäßig während der NS-Zeit entzogener Kunst- und Kulturgüter gemäß der „Washingtoner Erklärung“.
Die Erbengemeinschaft verteilt sich heute auf drei Länder und konnte durch die Unterstützung von Frau Friedmann, die als einziges Mitglieder der Familie wieder in Augsburg lebt, ganzheitlich kontaktiert werden. Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen danken der Familie ausdrücklich für die außerordentlich gute und offene Zusammenarbeit, das enorme verbindende Vertrauen und die berührenden menschlichen Begegnungen und Gespräche. An dem in Augsburg verlegten „Stolperstein“ für die Familie Friedmann am Martin-Luther-Platz 5 haben die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, vertreten durch den Generaldirektor Dr. Bernhard Maaz, gemeinsam mit Miriam Friedmann stellvertretend für die Familie Blumen niedergelegt.
Für die Bereitstellung eines Raumes für den in würdigem Rahmen begangenen Restitutionsakt in Augsburg danken alle Beteiligten dem Schaezlerpalais und seinem Direktor, Dr. Trepesch.
Ernst Immanuel Müller, Bauernstube
Ernst Immanuel Müller, über dessen Leben nur wenig mehr als die Lebens- und Studiendaten bekannt ist, ist vornehmlich für typisierte Darstellungen bäuerlicher Charaktere und Genreszenen bekannt geworden. Zu den wenigen Interieurs zählt die undatierte „Studie einer Bauernstube“, deren undramatischer Realismus den Künstler in die Tradition der Münchner Malerschulen stellen lässt. Der unspektakuläre Ausschnitt zeigt dabei mit nahezu dokumentarischem Blick die nur spärliche und funktionale Einrichtung eines bäuerlichen Zimmers, unbeschönigt und doch in warmem Licht und Farben.
Beitrag Miriam Friedmann
Herrn Prof. Maaz, Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in München und Frau Anja Zechel M.A. vom Referat Provenienzforschung gebührt großer Dank für ihren einfühlsamen Umgang mit den Nachfahren und der tragischen Geschichte meiner Großeltern Selma und Ludwig Friedmann.
75 Jahre nach der Shoah hat dieses Bild, obwohl von kleinem Format, einen großen symbolischen Wert, besonders für mich, die seit 2001 in Augsburg lebt und sich intensiv mit unserer ausgelöschten Geschichte befasst – eine Geschichte, die meiner Familie und so vielen anderen, die das gleiche Schicksal erleiden mussten, geraubt wurde.
Durch die Rückgabe dieses Bildes erhalten wir ein Objekt, das einmal meinen Großeltern Freude bereitet hat. Wie die akribische Forschung von Frau Zechel zeigt, hatten meine Großeltern dieses Bild immer noch bei sich, als sie bereits enteignet und gezwungen wurden, zusammengepfercht in einem sogenannten „Judenhaus“ zu leben. Am Vorabend vor ihrer Deportation haben sie und drei befreundete Ehepaare sich gemeinsam das Leben genommen.
Es war schmerzhaft für meine Eltern, meine Tanten und meinen Onkel, über die Vergangenheit zu reden. Auf diese Weise fehlte im Leben von uns allen ein Kapitel. Durch die Rückkehr des Bildes kommt ein kleiner Baustein dieser Geschichte zurück. Um eine verbleibende Lücke zu füllen, haben Josef Pröll als Filmmacher und ich einen Dokumentarfilm „Die Stille schreit“® gedreht, der in nächster Zeit Premiere haben wird. Anhand der Geschichte meiner Familie wird gezeigt, wie perfide das NS-System funktioniert hat.
Miriam Friedmann; 13. Juli 2018