ΕΥΡΗΚΑ![1] Wie die reinen Verstandesbegriffe in Kants metaphysischer Deduktion[2] „entspringen“.
Vorbemerkung
Bereits zu Beginn meines Studiums der Philosophie Kants und der intensiveren Beschäftigung mit der Kritik der reinen Vernunft (KrV)[3] erschien mir die metaphysische Deduktion der reinen Verstandesbegriffe von ungeheurer Wichtigkeit, als darin der Ursprung und die Grundlage einer kritischen Ontologie auszumachen sei, die mit der hinzukommenden transzendentalen Deduktion Gegenstandserkenntnis überhaupt konsti-tuiere. Nur schien mir noch eine in der Kantliteratur zuweilen behauptete „Lücke“ zwischen der Tafel der „logischen Funktion des Verstandes in Urteilen“ (Überschrift § 9) und der „Tafel der Kategorien“ (B 106)[4] ausfindig zu machen und womöglich auszufüllen nötig, soweit Kant sich einer Darstellung des Vollzugs der metaphysischen Deduktion im einzelnen enthalten habe.[5] Kant erstelle (so scheint es) seine Kategorientafel, indem er aus den Momenten der (sog.) Urteilstafel gegenständlich gerichtete Begriffe den vier Titeln der Kategorientafel zuordnet. Das Argument, welches zur Auffindung der jeweiligen Verstandesbegriffe geführt hat, scheint relativ undurchsichtig und wenigstens auf den ersten Blick lückenhaft. So gehe die Kategorientafel auf die Urteilstafel zurück, von dieser werde aber nur behauptet, daß sie die einheitsstiftenden Denkhandlungen systematisie-re, die der Verstand im Urteil ausführe. Die Details der Urteilstafel würden augenschein-lich nicht weiter begründet, ebenso nicht das „Entspringen“ der Kategorien aus den in der Urteilstafel aufgelisteten Funktionen des Denkens, wie sie beim Urteilen vorkommen.
Anläßlich eines von mir veranstalteten Lektürekurses der KrV erlangte ich aus einer erneuten Beschäftigung mit dem Thema eine genauere Sicht und bessere Einsichten, die im wesentlichen mit folgenden Thesen benannt werden können:
1) (gilt für die transzendentale Logik im Allgemeinen) Kant hat entgegen häufig in der Kantliteratur geäußerter Meinungen mit seiner transzendentalen Logik keine Reform der traditionellen Logik vorgenommen (diese sei ihren „sicheren Gang schon von den ältesten Zeiten her gegangen“ und scheint „geschlossen und vollendet zu sein“ (KrV, Vorrede zur 2. Auflage, B VIII)), sondern erweitert diese im Interesse einer „Erkenntnis a priori“ (B 81), die „Gegenstände völlig a priori“ denkt und „den Ursprung, den Umfang und die objektive Gültigkeit solcher Erkenntnisse bestimmte“ (B 82).
2) Kant verwendet in keiner Auflage der KrV den Ausdruck Urteilstafel; dieser kommt lediglich in den Prolegomena[6] in abgewandelter Form (§ 21, „Logische Tafel der Urtheile“) vor.
3) Kant beabsichtigt mit der sog. Urteilstafel nicht eine Zusammenstellung von Urteils-formen aus dem Formallogischen (weder eine Sammlung formalisierter Urteilspraxis noch eine Sammlung von empirisch aufgegriffenen Lehrbuch-Urteilen), sondern, wenn er die einzelnen und unendlichen Urteile einfügt, eine „transzendentale Tafel aller Momente des Denkens in den Urteilen“ (B 98).
4) Die Kategorien leitet Kant nicht aus der sog. Urteilstafel her, sondern die darin zugrundeliegenden Denkfunktionen dienen als Leitfaden, die einheitsstiftende Synthesis-handlung„auf den Begriff“ (B 103) zu bringen.
5) Entgegen verschiedener Kantkritik finden sich Beispiele der Herleitung (genauer: Entsprechung) der Kategorien aus den Denkfunktionen in Urteilen: z.B. B 96 (allgemeines Urteil und Kategorie der Einheit); B 98 (unendliches Urteil und Kategorie der Beschränkung (Limitation); siehe auch Jäsche-Logik[7], AA 09: 104); B 111/112 (disjunktives Urteil und Kategorie der Gemeinschaft; siehe auch AA 09: 106).
6) Die vier Titel der Kategorientafel sind ihrerseits keine Kategorien (anders in der Kategorienaufzählung des Aristoteles), sondern nur die jeweils drei unter den Titeln aufgeführten Begriffe, und zwar deshalb, weil die Titel Quantität, Qualität, Relation und Modalität zur Bestimmung von Gegenständen zu unbestimmt sind; sie sind die Klassenbegriffe (B 110) der Kategorien.
7) Kant hat die Vollständigkeit der Denkfunktionen in Urteilen und in den reinen Verstan-desbegriffen, wie sie in den beiden Tafeln aufgeführt sind, behauptet und vorausgesetzt (z.B.: B 27, 89, 92, 94, 96, 106, 109, Prolegomena (AA 04: 302, 323 f., 325 u.w.m.). Für die Vollständigkeit spricht die Systematik der Tafeln und (für die Kategorien) die systematische Herleitung (Leitfadenprinzip: B 92[8]; 104).
8) Die Behauptung, Kant habe die Kategorientafel bereits im wesentlichen erstellt gehabt, bevor er die Ableitbarkeit der reinen Verstandesbegriffe aus den Verstandes-funktionen, wie sie in Urteilen greifbar sind, entdeckte, läßt sich mit § 8 der Inaugural-dissertation von 1770[9] erschüttern, worin die Idee einer metaphysischen Deduktion bereits vorhanden ist.
Mithilfe der gewonnenen Einsichten soll nun Kants metaphysische Kategoriendeduktion (möglichst) leicht faßlich und strikt am Text dargestellt werden.
1.Wie gelangt Kant zu der „transzendentalen Tafel aller Momente des Denkens in den Urteilen“?
Der systematischen Ordnung der Funktionen des Verstandes[10] liegen die Überlegungs-schritte zugrunde:
I.Verstand ist das Vermögen zu denken.
II.Denken ist Erkenntnis durch Begriffe. Diese beruhen
III.auf Funktionen, d.i. „die Einheit der Handlungen, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen“ (B 93).
Gefunden werden mußte ein Prinzip, „nach welchem der Verstand völlig ausgemessen und alle Functionen desselben, daraus seine reine Begriffe entspringen, vollzählig und mit Präcision bestimmt werden könnten“ (AA 04: 323). Kant versucht nicht, aus dem Wesen der Synthesis[11], die Erkenntnis erst hervorbringt (B 103), die Kategorien herauszulesen, sondern sah sich „nach einer Verstandeshandlung um, die alle übrige enthält und sich nur durch verschiedene Modificationen oder Momente unterscheidet, das Mannigfaltige der Vorstellung unter die Einheit des Denkens überhaupt zu bringen“; „diese Verstandeshandlung bestehe im Urtheilen“ (AA 04: 323). So ergeben sich die weiteren Denkschritte:
IV.Erkenntnis durch Begriffe (Schritt 2.) erfolgt mittels eines Urteils, so daß
V.alle Handlungen des Verstandes auf Urteile zurückgeführt werden können (B 94).
Urteilen vollzieht sich als Prädikation, die „auf irgend eine Vorstellung von einem noch unbestimmten Gegenstande“ (B 94) bezogen ist. Die Struktur des Urteils ist eine Subjekt- Prädikatverbindung (S – P), die eine Bestimmungsrelation[12] ist, in der der Subjektsbegriff (der zu bestimmende, der für den Gegenstand steht) durch den (wie auch immer komplexen, sogar aus Urteilen gebildeten) Prädikatsbegriff (der bestimmende Begriff) Bestimmtheit bekommt. Kants Urteil ist genau besehen dreigliedrig: Subjekt – Prädikat – Gegenstand (S – P – x)[13], d.h., was das Prädikat (P) über den Gegenstand (x)[14], auf den das Subjekt (S) bezogen ist und ihn repräsentiert, aussagt. Die Neuerung gegenüber bis dahin gängigen Urteilslehren besteht also in der funktionalen Auffassung des Urteils. Die Synthese ist nicht nur ein Denkverfahren, sondern die Binnenstruktur eines Urteils, in dem Subjekt und Prädikat funktional unterschieden sind. Die analytischen Urteile haben (nebenbei bemerkt) ihre Bedeutung verloren, als sie im strengen Sinne keine Urteile sind (P gibt dem S an Bestimmtheit nichts hinzu).
Kant bestimmt Urteile als gedachte „Verbindung, mithin Einheit gegebener Begriffe“ (B 131) und definiert sie „als die Art, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen“ (B 141); so auch in der Jäsche-Logik: „Ein Urtheil ist die Vorstellung der Einheit des Bewußtseins verschiedener Vorstellungen oder die Vorstellung des Verhältnisses derselben, sofern sie einen Begriff ausmachen“ (AA 09: 101).
VI.Die Funktionen des Verstandes können gefunden werden, wenn man die Funktionen der Einheit in den Urteilen vollständig darstellen kann (B 94).
Zur Darstellung dieser Verstandesfunktionen als Einheitsfunktionen in Urteilen in einer vollständigen Tafel konnte Kantauf „schon fertige, obgleich noch nicht ganz von Mängeln freie Arbeit der Logiker“ zurückgreifen (AA 04: 323). Entgegen kritischer Vorbehalte ist Kants Projekt dennoch originär wie originell, als er die traditionellen Urteilslehren[15] kritisch prüft, ergänzt und für seine transzendentallogische Auffassung vom Urteil fruchtbar macht, d.h. die Formallogik seiner Transzendentallogik unterstellt. Kants Erfindung ist darüber hinaus und vor allem das Leitfadenprinzip[16]: die Entdeckung des Zusammenhangs und die Identifizierung der Verstandeshandlungen in den Einheits-funktionen in Urteilen und der Synthesisfunktion in den Kategorien, und deren Herleitung aus der dem Transzendentallogischen der Kategorien vorgängigen formallogischen Grundlage.[17]
Die Zusammenstellung der Denkfunktionen in den Urteilen wäre ohne Kants neue Betrachtung der traditionellen formallogischen Urteilslehren, d.h. deren Anpassung in transzendentallogischer Absicht (s.o. Vorbem., These 1), zumindest erschwert, wenn nicht gar unmöglich gewesen. So faßt er in seiner Urteilslehre das Urteil als Synthese („ein Verhältnis der coordination“)[18] auf, verschiedene Vorstellungen zu einer Einheit zu verbinden. Es ist „die mittelbare Erkenntnis eines Gegenstandes, mithin die Vorstellung einer Vorstellung desselben“ (B 93). Die traditionellen Urteilslehren sind mit Kants neuer Urteilsauffassung in transzendental-logischer Absicht erneuert. Er begeht den Weg von der inneren Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat zum Umfang und Gegenstands-bezug der Begriffe in der Urteilsrelation.[19] Damit kann der nächste Schritt folgen:
VII.Die erste Aufgabe der metaphysischen Deduktion ist nicht, die Tafel der Urteilsformen festzulegen, sondern die Tafel der Funktionen („Urhandlun-gen“[20]) des Verstandes (Überschrift § 9) in Urteilen.
Um Kants Vorhaben recht zu verstehen, muß man sich immer wieder vergegenwärtigen, daß es ihm nicht um eine Sammlung von Urteilen aus dem formallogischen Bestand seiner Zeitgeht (keine formallogische Absicht!), sondern um das transzendentallogische Interesse an den Urfunktionen des Verstandes, die beim Urteilen ausgeübt werden und also in Urteilen greifbar sind. Denn die „Zergliederung des Verstandesvermögens“ führte zu dem „Geburtsorte“, zu den („von den ihnen anhängenden empirischen Bedingungen befreit[en]“) „Keimen und Anlagen“ der reinen Verstandesbegriffe (Kategorien) (B 90/91)[21] (s.o. Vorbem. These 3).
Kant ordnet jene Funktionen des Denkens unter vier Titel[22] mit jeweils drei Momenten (B 95). Die Titel geben als Prinzipien die Art und Weise der Verhältnisse der Glieder in der Urteilsrelation (Subjektsbegriff, Prädikatsbegriff, Kopula) an, d.h., in welchen Hinsichten jene Glieder funktional betrachtet werden können.
(1) Die Urteilsrelation kann im Hinblick auf den Anwendungsbereich, den Bestimmungs-umfang des Prädikats für das Subjekt, betrachtet werden (Quantität als Prinzip der Relation). Prädikate möglicher Urteile beziehen sich immer auf vieles, auf eine Mannigfaltigkeit von Vorstellungen. Wenn in einem Urteil das unbestimmt Viele begrifflich bestimmt werden soll, muß entschieden werden, ob sich das logische Prädikat von allem (allgemeines Urteil), von einigem (besonderes Urteil) oder von einem aus dem Bereich des zu bestimmenden Vielen (einzelnes Urteil) gilt.
Kant verwahrt sich mit vier, den vier Titeln entsprechenden,Abschnitten gegen mögliche Mißverständnisse seiner Einteilung, die „in einigen, nicht wesentlichen Stücken, von der gewohnten Technik der Logiker, abzuweichen scheint“ (B 96). Zwar können die eingefügten einzelnen Urteile gleich den allgemeinen (in Vernunftschlüssen) behandelt werden, aber in einer „vollständigen Tafel der Momente des Denkens“ verdiene das „iudicium singulare“ eine besondere Stelle (ebenda). Zu meinen, die Quantitätsurteile seien mit den Quantoren „alle“ und „nicht alle“ erschöpfend benannt, weil letzterer „einige“ und „eines“ implizit enthalte, heißt, die Bestimmtheit des Singulären nicht zum Ausdruck zu bringen. So ist z.B. die Urteilsrelation „I.K. ist das einzige Mitglied der Kant-Gesellschaft e.V. Bonn, das die Kant-Studien von dieser auf Lebenszeit unentgeltlich bezieht“ unter dem quantitativen Gesichtspunkt sehr unterschieden von der mit dem Urteil„nicht alle Mitglieder der Kant-Gesellschaft…“ ausgedrückten Aussage.
(2) Die Urteilsrelation kann hinsichtlich der Geltung der Kopula in der behaupteten S – P – Beziehung betrachtet werden (Qualität als Prinzip der Relation). So kann die Verbin-dung von logischem Prädikat und logischem Subjekt bestehen (bejahendes Urteil), nicht bestehen (verneinendes Urteil) oder bestehen mit einem verneinten Prädikat, das eine unendliche Geltungssphäre aller übrigen Prädikate als Komplement des durch die Verneinung limitierten Prädikats[23] öffnet. In der „Verwahrung“ begründet Kant, daß die unendlichen Urteile wegen der Wichtigkeit der darin ausgeübten Funktion des Verstandes „in der transzendentalen Tafel aller Momente des Denkens in den Urteilen nicht übergangen werden“ „müssen“ (B 98).
(3) Die Urteilsrelation kann hinsichtlich der weiteren Bestimmung der Verknüpfungdurch Bezug von Subjekt und Prädikat und mehreren Urteilen aufeinander betrachtet werden (Relation[24] als Prinzip der (Urteils-)Relation). In einem Urteil werden entweder zwei Begriffe (kategorisches Urteil), zwei Urteile (hypothetisches Urteil) oder mehrere Urteile (disjunktives Urteil) miteinander verbunden (B 98). In der „Verwahrung“ weist Kant unter 3. darauf hin, daß es bei dem hypothetischen Urteil (etwas anderes ist die moderne Form der materialen Implikation, des Konditionals) nicht auf den Wahrheitsgehalt der beiden verbundenen Urteile ankomme, sondern allein die Konsequenz, das Grund-Folge-Verhältnis (wenn Sachverhalt A, kann Sachverhalt B nicht ausbleiben), bedacht werde (B 98).[25] Im disjunktiven Urteil[26] bilden die Urteile in der Prädikatstelle eine Gemeinschaft sich gegenseitig ausschließender Erkenntnisteile, die die Erkenntnissphäre der jeweiligen anderen Erkenntnisteile ergänzen und die Sphäre der eigentlichen Erkenntnis ausfüllen (B 99). Wer unter den Urteilen der Relation die „Und-Verknüpfung“ vermißt, sei daran erinnert, das die Denkfunktion der Synthesis immer bereits „Und-Verknüpfung“ ist („Ich verstehe aber unter Synthesis in der allgemeinen Bedeutung die Handlung, verschiedene Vorstellungen zu einander hinzuzutun (…)“[27]; das Prinzip des Urteils ist immer Verbindung der Subjekts- und Prädikatsstelle, die die Urteilsrelation ist.
(4) Die Urteilsrelation kann schließlich im Hinblick auf den Wert der Kopula in Beziehung auf das Denken (modaler Anspruch des Urteils) betrachtet werden (Modalität als Prinzip der Relation). Das Urteil als Erkenntnisurteil legt fest, ob die Urteilsrelation hinsichtlich der Verknüpfung der Prädikatstelle mit dem Subjekt möglich (problematisches Urteil), wirklich (assertorisches Urteil) oder notwendig (apodiktisches Urteil) ist. In der „Verwahrung“ stellt Kant unter 4. die besondere Funktion der Modalität der Urteile heraus. Anders als bei den vorherigen Titeln, die zum Inhalt des Urteils beigetragen haben („…(denn außer Größe, Qualität und Verhältnis ist nichts mehr, was den Inhalt eines Urteils ausmachte)…“) (KrV, B 99), kommt es hier auf die Beziehung der jeweils möglichen Bewertung der Verbindung von Subjekt und Prädikat zum Denken überhaupt an. Man kann „diese drei Funktionen der Modalität auch so viel Momente des Denkens überhaupt nennen“ (B 101).
Kants einführenden Erläuterungen zu der Tafel der logischen Verstandesfunktionen in Urteilen ist zu entnehmen, daß die vorgestellten Titel und Momente eine vollständige Ausschöpfung möglicher Verhältnisse des Denkens darstellen, wie es sich bei der Synthesis von Vorstellungen im Zusammenspiel der Urteilsglieder vollzieht. Damit hat er die Grundlage für die Aufsuchung der reinen Verstandesbegriffe (Leitfadenprinzip) dem Belieben und Zufall entzogen (B 92).
Auf die Frage der Vollständigkeit der Tafel der Urteilstypen (die Kant aufgrund seiner Systematik als unergiebig angesehen haben mag) wird kurz im Zusammenhang mit der Tafel der Kategorien eingegangen. Die kaum überschaubare Kritik an der von Kant zugrundegelegten Logik, die von Seiten der Fachphilosophie und vor allem aus der Richtung der modernen Logikkonzeptionen geübt wird, bleibt in diesem Rahmen unberücksichtigt. Nur soviel: Manche erweist sich als gegenstandslos, weil sie 1. mangelnde Kant-Kenntnisse (Textkenntnis!) aufweist, 2. (daher) Mißverständnissen unterliegt, 3. zuweilen gar aus „ideologischen“ Gründen eine feindliche Haltung aufrecht erhält, 4. schließlich sich darüber hinwegsetzt, daß ihre eigene Position mit einer trans-zendentalphilosophischen nichts zu tun hat. Neuere Logikmodelle sind Speziallogiken der Mathematik, der Technik, der Sprache, wie Kants Transzendentallogik eine Speziallogik der Metaphysik ist. Letztere aber ist ja seit langem aus der Mode.
2.(Re-)Konstruktion von Kants metaphysischer Deduktion[28] der reinen Verstandesbegriffe
Die Kategorien gewinnt Kant über den (Um)weg der in Urteilen darstellbaren einheits-stiftenden Denkfunktion:
Urteil: Man kann „alle Handlungen des Verstandes auf Urteile zurückführen“ und „die Funktionen der Einheit in den Urteilen vollständig darstellen“ (B 94). |
Kategorie: „[…] die reine Synthesis der Vorstellungen auf Begriffe zu bringen“ (B 103)„zum Erkenntnisse eines vorkom-menden Gegenstandes“ (B 105). |
(„dieselbe Funktion…“)
(B 104/105)
Urfunktion des Denkens: „Einheit der Handlung, ver-schiedene Vorstellungen un-ter einer gemeinschaftlichen zu ordnen“ (B 93). |
In Kants Systematik heißt das: Nach der Hineinführung der Sinnlichkeit, die das Material gibt, in den Zusammenhang der Logik (Kooperation von sinnlichem Inhalt mit logischer Form) (KrV, § 10; siehe B 76: „Gedanken ohne Inhalt sind leer…“), sieht Kant die Verstandesfunktion (im Unterschied zu der (passiven) Rezeptivität der Sinnlichkeit) als „Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen“ (B 93), und er findet „die Funktionen der Einheit in den Urteilen“ (B 95; Hervorhebung in Kursivschreibweise: I.K.). Dabei steht die „gemeinschaftliche Vorstellung“ für die Titel der Funktionen in Urteilen (sog. Urteilstafel), die unter diese geordneten Vorstellungen stehen für die jeweiligen (Urteils-) Momente.
Die Verstandeshandlung, „verschiedene Vorstellungen zu einander hinzuzutun, und ihre Mannigfaltigkeit in einer Erkenntnis zu begreifen“, nennt Kant die „Synthesis in der allgemeinen Bedeutung“ (B 103). Indem sie eine Mannigfaltigkeit von Vorstellungen sammelt und zusammenfügt, ist sie Ursprung und Grund der Erkenntnis.[29] Die reine Synthesis (sofern das Mannigfaltige a priori gegeben ist) „gibt nun den reinen Verstandesbegriff“ (B 105). Das Zusammenspiel von Funktion (des Denkens in Urteilen) und Synthesis (begreifen in einer Erkenntnis) bildet den Kern der metaphysischen Deduktion. So läßt sich sagen, daß die Funktion des Denkens in Urteilen die ratio cognoscendi der reinen Verstandesbegriffe ist. Kant faßt dies in der berühmten Wendung (B 104/105) zusammen: „Dieselbe Funktion, welche den verschiedenen Vorstellungen in einem Urteile Einheit gibt, die gibt auch der bloßen Synthesis verschiedene[r] Vorstellungen in einer Anschauung Einheit, welche, allgemein ausgedrückt, der reine Verstandesbegriff heißt.“ In Begriffen brachte der Verstand mit „denselben Handlungen“, „vermittelst der analytischen Einheit, die logische Form eines Urteils zu Stande“ (aus der Analyse der verschiedenen Modi der Relationsmomente in Urteilen), so bringt er auch, „vermittelst der synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in der Anschauung überhaupt, in seine Vorstellung einen transzendentalen Inhalt“ (B 105), d.h. durch Zusammenfügen der in gegenständlicher Hinsicht gewendeten und begrifflich gefaßten Vorstellungen, wie sie in den Urteilsfunktionen bestimmt sind (s.o. Vorbem., These 4).
Daraus folgt als letzter Schritt:
VIII.So „entspringen gerade so viel reine Verstandesbegriffe, […] als es in der vorigen Tafel logische Funktionen in allen möglichen Urteilen gab“ (B 105).
Kant bestimmt („erklärt“) die Kategorien als „Begriffe von einem Gegenstande überhaupt, dadurch dessen Anschauung in Ansehung einer der logischen Funktionen zu urteilen[30] als bestimmt angesehen wird“ (B 128).
Wie läßt sich die Korrespondenz beider Tafeln, der Tafel der „Funktion des Denkens“ in Urteilen (B 95) und der „Tafel der Kategorien“ (B 106) so aufzeigen, daß jedem Moment der Tafel der Urteile genau eine Kategorie zugeordnet werden kann? „Durch ein äußerliches Vergleichen dieser beiden Begriffsverzeich-nisse und ein verzweiflungsvolles Fragen, welches Zaubermittel dieser in schematische Künsteleien verliebte alte Hexenmeister denn nun angewandt habe, um das erste Produkt in das zweite zu verwandeln, konnte man unmöglich vom Flecke kommen.“[31] Kant geht jedoch nach B 111/112 (3te Anmerk.) von der Augenfälligkeit der Übereinstimmung der Momente der Urteilsfunktionen mit den Kategorien aus (mit Ausnahme der Kategorie der Gemeinschaft). Den Schlüssel zum Verständnis der Übereinstimmung gibt die Beantwortung der Frage, worin die Denkfunktion bei den einzelnen Urteilsmomenten besteht, und wie diese, gegenständlich gewendet (inhaltlich auf die Gegenstandsseite bezogen) und auf den Begriff gebracht, der Vorstellung Bestimmtheit verleiht.
Das sei im folgenden vorgeführt:
Logische Funktion des Verstandes in Urteilen |
Kategorien |
Verstandesfunktion, welche den verschie-denen Vorstellungen in einem Urteil Einheit gibt (B 105). | Begriff von der Einheit verschiedener Vor-stellungen in einer Anschauung durch Syn-thesis (die reine Synthesis der Vorstellungen auf Begriffe gebracht) (B 105). |
Quantität der Urteile:
Die Urteilsrelation ist hinsichtlich des Anwendungsbereichs des Prädikats quan-tifiziert. |
Der Quantität |
Allgemeine (alle[32] S sind P; P trifft auf alle S zu): Im allgemeinen Urteil ist das Prädikat in der S – P – Relation mit allen Subjekten verbunden. Das von diesen ausgehende Beziehungsbündel ist mit dem Prädikat verknüpft. Die mit dem Prädikat zusam-mentreffenden Beziehungsstränge werden durch die Denkfunktion als Einheit zusam-mengefaßt gedacht. |
Der Begriff der Vorstellungsbestimmtheit im Hinblick auf die quantifizierte Urteilsrelation einer einheitlichen Geltung des Prädikats für alle Subjekte ist der Begriff der Einheit. |
Besondere (einige S sind P; P trifft auf einige S zu): Im besonderen Urteil ist das Prädikat in der S – P – Relation mit einigen Subjek-ten verbunden und gilt für eine unbe-stimmte Vielzahl (mehr als eines, weniger als alle), so daß die mit dem Prädikat bestehenden Beziehungen zu mehreren Urteilssubjekten als Vielheit zusammen-gefaßt gedacht werden. Die negativ formulierte Urteilsrelation „nicht alle S sind P“ hätte einen unbestimmten Erkenntniswert, weil offen bliebe, ob das Prädikat mit einigen oder nur einem Subjekt verbunden sei. |
Der Begriff der Vorstellungsbestimmtheit im Hinblick auf die quantifizierte Urteilsrelation einer Geltung des Prädikats für eine Vielzahl von Subjekten ist der Begriff der Vielheit. |
Einzelne (dieses S ist P; P trifft nur auf ein S zu): Im einzelnen Urteil ist das Prädikat in der S – P – Relation mit einem (einzigen) Subjekt verbunden und gilt nur von diesem. Das durch das Prädikat bestimm-te Subjekt wird als Ganzes, d.h. in der Totalität („Allheit“) seiner in ihm enthalte-nen Momente, gedacht. Wie beim beson-deren Urteil würde dem „nicht alle“ die Bestimmtheit des Singulären mangeln. |
Der Begriff der Vorstellungsbestimmtheit im Hinblick auf die quantifizierte Urteilsrelation einer Geltung des Prädikats für ein Subjekt mit all seinen Teilmomenten ist der Begriff der Allheit.[33] |
Qualität:
Die Urteilsrelation ist hinsichtlich der Kopula („ist“) qualifiziert. |
Der Qualität |
Bejahende (alle, einige, ein S sind/ist P): Der Prädikatsbegriff hat positive Geltung für den Subjektsbegriff, so daß das Prädikat mit dem Subjekt tatsächlich verbunden ist und es bestimmt. |
Der Begriff der Vorstellungsbestimmtheit im Hinblick aufdie qualitative Bestimmung der affirmativen Relationzwischen der Subjekts- und der Prädikatsstelle ist der Begriff der Realität (realitas, Sachheit). |
Verneinende (alle, einige, ein S sind/ist nicht P): Die Geltung des Prädikatsbegriffs für den Subjektsbegriff ist negiert, die Kopula „ist nicht“ verneint die Verbindung des Prädikats mit dem Subjekt, so daß jenes dem Subjekt gar nicht zukommt (ein Urteil im strengen Sinne ist hier nicht gegeben). |
Der Begriff der Vorstellungsbestimmtheit im Hinblick aufdie qualitative Bestimmung der verneinten Relation (ihres Nichtbestehens)zwischen der Subjekts- und der Prädikats-stelle ist der Begriff der Negation. |
Unendliche (alle, einige, ein S sind/ist Nicht-P): Die S – P – Relation besteht und ist bejaht „mittels eines bloß verneinenden Prädikats“ (B 97) („in unendlichen [Urtei-len] wird nicht die Copula, sondern das Prädicat durch die Negation afficirt“[34]). Das Subjekt könnte, wenn nicht durch das non-P, durch die unendliche Sphäre dessen bestimmt werden, das übrig bleibt, wenn das (negierte) Prädikat abgezogen wird. Diese Urteilsrelation „in Ansehung des logischen Umfanges [ist] wirklich bloß beschränkend in Ansehung des Inhalts der Erkenntnis überhaupt“ (B 98), in Hinsicht auf die Prädikation „heißen [sie] infinita, weil man von einem Subject unendlich viel mit non afficirte Praedicate sagen kann“[35]. |
Der Begriff der Vorstellungsbestimmtheit im Hinblick aufdie qualitative Bestimmung der unendlichen Relation zwischen der Subjekts-stelle und Prädikatsstelle (der Sphäre des „non“ des P) ist der Begriff derBegrenzung des non-P zum Subjekt („Das unendliche Urtheil […] stellt […] die Sphäre des Prädiats als beschränkt vor.“[36]), also der Begriff der Limitation. |
Relation
Die Urteilsrelation besteht hinsichtlich der Verknüpfung („Relation“ jetzt als Prinzip dieser Urteilstrias) durch Bezug von Subjekt und Prädikat und mehreren Urteilen aufeinander, und zwar in einem Verhältnis der Unterordnung[37] der gege-benen Vorstellungen untereinander. |
Der Relation |
Kategorische (S ist P): Die Relation zwischen dem Subjekts- und Prädikatsbegriff besteht ohne „Wenn und Aber“, wobei das Prädikat, das dem Subjekt Bestimmtheit verleiht, diesem als untergeordnet gedacht wird: das Prädikat (mit dem Prädizierten) steht zum Subjekt in einem Verhältnis des Enthalten- oder Bestandteilseins (dem Subjekt inhärent oder subsistent). |
Der Begriff der Vorstellungsbestimmtheit im Hinblick aufdie kategorisch bestimmte Relation des Zusammenhangs der Subjekts- mit der Prädikatsstelle ist der der Inhärenz und Subsistenz (substantia et acciden-tia). |
Hypothetische (wenn S P ist, dann ist Q R): Das Bestehen der Relation zwischen den Subjekts- und Prädikatsbegriffen (eigent-lich Verknüpfung zweier Urteile) ist von einer Bedingung abhängig, wobei die Konsequenz im Urteil gedacht wird (B 98). Wenn S P ist, zieht es die Folge ‚Q ist R’ unausweichlich nach sich (die Folge ist dem Grunde untergeordnet[38]), so daß in der Urteilsrelation S P mit Q R in einem Verhältnis des Grundes zur Folge verbunden ist. |
Der Begriff der Vorstellungsbestimmtheit im Hinblick aufdie hypothetisch bestimmte Relation zwischen der Subjekts- und der Prädikatsstelle ist der Begriff der Kausalität und Dependenz (Ursache und Wirkung). |
Disjunktive (S ist P oder Q oder R…): Die Relation zwischen dem Subjektsbe-griff und den Prädikatsbegriffen ist ein Gefüge einerseits sich ausschließender, andererseits einander ergänzender Urteile, so daß in der Relation mehrere Urteile miteinander verbunden sind. Das Subjekt steht (im Status der Unbestimmt-heit) im Verhältnis zu einer Gemeinschaft von Bestimmungskandidaten P, Q, R (wenn S nicht P, dann Q oder R; wenn S Q ist, dann nicht P oder R usw.). Zwar sind die Bestimmungsglieder P, Q, R untereinander logisch entgegengesetzt, bilden aber zusammen „ein Verhältnis der Teile der Sphäre eines Erkenntnisses“[39] (jedes ergänzt die Sphäre des anderen, schließen einander aber wechselseitig aus), so daß das „Glied der Eintheilung“ (die möglichen Bestimmungen, von denen nur eine als Bestimmungskanditat zum Zuge kommen wird und die anderen einschränkt) dem „eingetheilten Begriffe“ (dem Subjektsbegriff) untergeordnet ist[40]. |
Der Begriff der Vorstellungsbestimmtheit im Hinblick aufdie disjunktive Bestimmung der Relation zwischen der Subjekts- und der Prä-dikatsstelle, die aus wechselseitig sich ausschließenden und wechselseitig sich ergänzenden Gliedern besteht, ist der Begriffder Gemeinschaft (Wechselwirkung zwi-schen dem Handelnden und Leidenden) (dem Bestimmungsgeber und den Ausge-schlossenen). |
Modalität
Die Urteilsrelation besteht hinsichtlich des Wertes der Kopula in Beziehung auf das Denken und bestimmt den modalen Anspruch des Urteils (ohne zum Inhalt desselben beizutragen[41]), betrifft aber nicht die Sache, über die geurteilt wird. |
Der Modalität |
Problematische (S ist möglicherweise P): Der Geltungsgrad, den die Relation des Subjektsbegriffs durch den Prädikatsbe-griff besitzt, bestimmt sich im Anspruch des Urteils hinsichtlich des (beurteilten) Sachverhalts, daß S P ist, als möglich (begleitet „mit dem Bewußtsein der bloßen Möglichkeit [des Urtheilens]“)[42]. |
Der Begriff der Vorstellungsbestimmtheit im Hinblick aufden problematischen Geltungs-grad der Relation zwischen der Subjekts- und der Prädikatsstelle ist der Begriffder Möglichkeit – Unmöglichkeit. |
Assertorische (S ist P): Der Geltungsgrad, den die Relation des Subjektsbegriffs durch den Prädikatsbe-griff besitzt, bestimmt sich im Anspruch des Urteils hinsichtlich des (beurteilten) Sachverhalts, daß S P ist, als tatsächlich, (begleitet „mit dem Bewußtsein der Wirk-lichkeit [des Urtheilens]“)[43], so daß ein Verhältnis von S und P wirklich besteht („ist“). |
Der Begriff der Vorstellungsbestimmtheit im Hinblick aufden assertorischen Geltungsgrad der Relation zwischen der Subjekts- und der Prädikatsstelle ist der BegriffDasein – Nichtsein. |
Apodiktische (S ist notwendig P): Der Geltungsgrad, den die Relation des Subjektsbegriffs durch den Prädikatsbe-griff besitzt, bestimmt sich im Anspruch des Urteils hinsichtlich des (beurteilten) Sachverhalts, daß S P ist, als unausweich-lich und ausnahmslos (begleitet „mit dem Bewußtsein der Nothwendigkeit des Urtheilens“)[44], so daß ein Verhältnis von S und P notwendig besteht. |
Der Begriff der Vorstellungsbestimmtheit im Hinblick aufden apodiktischen Geltungsgrad der Relation zwischen der Subjekts- und der Prädikatsstelle ist der Begriffder Notwen-digkeit – Zufälligkeit. |
So etwa hat Kant die Entsprechung der Denkfunktionen in Urteilen mit den reinen Synthesisbegriffen dieser Funktionen gedacht und letztere aus ersteren gewonnen und, wie die bei den Urteilsmomenten eingefügten Zitate belegen, die auf den Begriff gebrachte Synthesis meist bereits mitgeliefert (s.o. Vorbem., These 5). Daher konnte Kant vor seiner „Tafel der Kategorien“ mit Recht sagen, daß „gerade so viele reine Verstandesbegriffe [entspringen], […] als es in der vorigen Tafel logische Funktionen in allen möglichen Urteilen gab“ (B 105).
Von diesem Herleitungsvorgang ist das in den „artigen Betrachtungen“ (§ 11)(sozusagen dem Pendant zu den „Verwahrungen“ (B 96 ff.)) genannte Verfahren des Entspringens der dritten Kategorie aus der Verbindung der zweiten mit der ersten ihrer Klasse (B 110) scharf zu trennen, weil hier die Hervorbringung der dritten Kategorie „einen besonderen Actus des Verstandes [erfordert]“ (B 111); Kant geht es vielmehr um die Begründung der triadischen Systematik seiner Tafel. Diese beruht darauf, daß der dritte Begriff die (alternativen) zwei voranstehenden auf sich bezieht[45], und zwar weil eine synthetische Einheit eine Bedingung, ein Bedingtes und einen beide vereinigenden Begriff erfordert. Das 3 x 4 – Schema ist nicht nur Einteilungsprinzip der transzendentalen Logik (in der KrV kommt es fünfmalig vor: B 200, 348, 402, 419 und 443), sondern hat eine topische Bedeutung auch für das übrige kritische Werk.
Den Zusammenhang zwischen Denkfunktionen und den „in der Natur des reinen Verstandes selbst“ „vorkommenden Begriffe[n]“, aus dessen inneren (eingepflanzten) Gesetzen sie abgezogen werden, hat Kant bereits in seiner Dissertation von 1770 formuliert, er war also im Besitz der Idee einer metaphysischen Deduktion. Ritzel stellt fest, daß Kant bereits in der Frühschrift „Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren erwiesen“ (Königsberg (J.J. Kanter) 1762) über die Einsicht verfügte, „daß nicht der Begriff das logische Element ist, sondern die Funktion oder eben das Urteil“.[46] Den Einwand, Kant habe die metaphysische Deduktion erst erfunden und nachgereicht, nachdem ihm die Kategorientafel vor Augen war, entkräften diese Befunde, die sich aus dem handschriftlichen Nachlaß vermehren ließen. Außerdem würde Kant nicht beim Wort genommen und das Leitfadenprinzip in seiner Auswicklungsrichtung verneint, auch wenn zumindest der Zusammenhang beider Tafeln damit nicht geleugnet wäre. Wagner vermittelt versöhnlich: Wenn „(…) die Kategorien aber nichts anderes als die logischen Urteilsfunktionen (III 115.14 f.) sind, dann ist der Blick von den Kategorien zurück zu den Urteilsfunktionen ebenso natürlich wie der andere Blick, der von den Urteilsfunktionen zu den Kategorien“[47] (s.o. Vorbem., These 8).
Um noch die eingangs aufgestellte These 7 einzulösen, soll auf die Frage der Vollständigkeit der Urteilstafel, von der die Vollständigkeit der Kategorientafel abhängt, kurz eingegangen werden.[48]
Kant mochte der Ansicht gewesen sein, die Systematik der Tafeln spreche für sich.Jedenfalls stand für ihn die Vollständigkeit fest. Denn sie scheint in ihrer Anschaulichkeit evident und nach einem Begriff oder einer Idee gegeben. Dennoch kamen bereits zu Kants Lebzeiten im Zuge der frühen Rezeption der KrV bei Interpreten und Kritikern Zweifel an der behaupteten Vollständigkeit der beiden Tafeln auf. Beispielsweise bat der Theologe und (Früh-)Kantianer Georg Samuel Albert Mellin in seinem Brief vom 12. April 1794[49] in eigenem und im Namen der Verehrer der Kritik um Beantwortung der Frage, „wie deducirt man die Vollständigkeit der Tafel der Urtheile“, die Kant in seinem Antwortbrief vom März 1795[50] mit der altersbegründeten Bitte um Aufschub offen ließ.[51]
Wenn L. Krüger fragt, ob Kant die Vollständigkeit der Urteilstafel überhaupt beweisen wollte[52], ist die Antwort, abgesehen von Krügers Ergebnis, ein klares Nein, denn ein solcher Beweis gehöre nicht zu den Aufgaben der Kritik. Kant führt in der Einleitung der KrV (B 27/28) aus (bezogen auf die Kategorien, was aber wegen der Kongruenz der Denkfunktionen in beiden Tafeln auch für die Urteilstafel gilt): „Nun muß zwar unsere Kritik allerdings auch eine vollzählige Herzählung aller Stammbegriffe, welche die gedachte reine Erkenntnis ausmachen, vor Augen legen. Allein der ausführlichen Analysis dieser Begriffe selbst, wie auch der vollständigen Rezension der daraus abgeleiteten, enthält sie sich billig, teils weil diese Zergliederung nicht zweckmäßig wäre […], teils, weil es der Einheit des Plans zuwider wäre, sich mit der Verantwortung der Vollständigkeit einer solchen Analysis und Ableitung zu befassen, deren man in Ansehung seiner Absicht doch überhoben sein konnte.“ Aus der kaum noch überschaubaren Literaturfülle weise ich auf nur wenige neuere (20., 21. Jh.) Arbeiten zur Vollständigkeit der Urteils-/ Katergorientafel exemplarisch hin, ohne die übrigen in ihrer Bedeutung schmälern zu wollen.
Bahnbrechend war die Dissertation von Klaus Reich, einem Schüler von Julius Ebbinghaus: „Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel“ (Berlin 1932; Neudruck: Hamburg 1986). Auf Grundlage der (von ihm modifizierten) Urteilsdefinition in KrV, B 141 und der „objektiven Einheit der Apperzeption“ liefert er neben fruchtbaren Einzelaspekten eine Anstrengung, die Kants Intention verfehlt. Die Kantkritik der Magdalena Aebi: „Kants Begründung der deutschen Philosophie“ (Basel 1947), die die Vollständigkeitsfrage verneint, wird nur deshalb erwähnt, weil die vernichtende Erwiderung von Ebbinghaus („Magdalena Aebi und Immanuel Kant“, in: Archiv für Philosophie, Bd. V (1954), S. 37-56) ein lesenswertes Beispiel messerscharfer Federführung bietet. Hans Lenk hat sich mit seinem rundumschlagenden Buch (Habilitatioinsschrift) „Kritik der logischen Konstanten“ (Berlin 1968) mit Vollständigkeits-ansprüchen, auch mit Reichs Arbeit, auseinandergesetzt. Er ist, nebenbei bemerkt, eine Stimme in dem Chor derer, die Kant hinsichtlich des Leitfadenprinzips Lügen strafen und behaupten, die Urteilstafel habe dieser nach der Kategorientafel konstruiert. Da er Maßstäbe formallogischer Auffassungen an das (transzendentallogische) Urteilsverständ-nis Kants anlegt und terminologisch die metaphysische mit der transzendentalen Deduktion verwechselt, wird sie selbst gegen Kritik anfällig.[53]
Welche Anforderungen ein solcher Beweis erfüllen müßte und inwieweit Kants Begründungen dazu beitragen, zeigt die Übersicht:
Anspruch | Begründung |
A)Die Verstandesfunktionen und ihre Synthesisbegriffe haben einen gemein-samen Ursprung. | Diese gemeinsame Grundlage ist die Urhandlung der Spontaneität, ist die einheitsstiftende Funktion des Denkens (s.o. 1., I.-V.; B 92, 93). |
B)Der Zusammenhang und die zuordnen-bare Entsprechung der Titel und Momente beider Tafeln ist prinzipien-geleitet. | „Die Transzendental-Philosophie hat den Vorteil, aber auch die Verbindlichkeit, ihre Begriffe nach einem Prinzip aufzusuchen; weil sie aus dem Verstande, als absoluter Einheit, rein und unvermischt entspringen, und daher selbst nach einem Begriffe, oder Idee, unter sich zusammenhängen müs-sen. Ein solcher Zusammenhang aber gibt eine Regel an die Hand, nach welcher jedem reinen Verstandesbegriff seine Stel-le und allen insgesamt ihre Vollständigkeit a priori bestimmt werden kann“ (B 92). |
C)Die 4 : 3 – Systematik der Tafeln ist durch ein syllogismusartiges Verfahren begründet. | Siehe: B 110, 111. |
D)Die Kategoriensystematik stellt eine systematische Topik eines architekto-nisch entworfenen Plans zum Ganzen einer Wissenschaft dar. | „Die Fächer sind einmal da; es ist nur nötig, sie auszufüllen, und eine systema-tische Topik, wie die gegenwärtige, läßt nicht leicht die Stelle verfehlen…“ (B 109); s.a. § 11: die Tafel sei im theoretischen Teil der Philosophie unentbehrlich, „den Plan zu einer ganzen Wissenschaft“ „voll-ständig zu entwerfen“, „wie ich denn auch davon anderwärts [siehe MAN, AA 04:473 f.[54]] eine Probe gegeben habe.“ |
Resümierend läßt sich nach vorstehendem Versuch, die metaphysische Deduktion der reinen Verstandesbegriffe rekonstruierend nachzuzeichnen, sagen:
Der Zusammenhang von Denkfunktionen in Urteilen und reinen Verstandesbegrif-fen besteht.
Jene logischen Verstandesfunktionen (Urteilsmomente) und Kategorien lassen sich in Tafeln gleicher Systematik darstellen und ihre Elemente einander nach einem Prinzip zuordnen.
Die Vollständigkeit der Tafeln läßt sich plausibel systematisch begründen, so daß man in einem bescheidenen Sinne diese als bewiesen bezeichnen darf.
[1] Entlehnt nach einer Notiz von Carl F. Gauß vom 10. Juli 1796: „ΕΥΡΗΚΑ! num = Δ + Δ + Δ“. In: Mathematisches Tagebuch 1796-1814, Oswalds Klassiker Bd. 256, 5. Aufl., Frankfurt/Main 2005, S. 28.
[2] Der Ausdruck „metaphysische Deduktion“ wird in der Kritik der reinen Vernunft nur einmal, in § 26 (B 159), gebraucht; mit ihr wird „der Ursprung der Kategorien a priori überhaupt durch ihre völlige Zusammentreffung mit den allgemeinen logischen Functionen des Denkens dargethan.“ „Deduktion“ kann hier als Ableitung verstanden werden (siehe: AA 04: 324.31 („… Ableitung oder Deduction…“); sie hat immer Bezug zur (juristischen) Berechtigung, Begriffe zu gebrauchen (B 116). Sie ist „metaphysisch“ (rational), weil die Basistheorie „transzendentale Logik“ eine auf Metaphysik zugeschnittene Speziallogik ist, die Verstandes- und Vernunftgesetze für die Erkenntnis von Gegenständen a priori behandelt (vgl. B 24 („eigentliche Metaphysik…“) i.V.m. B 82 (vor III.)).
[3] Ab Sommer-Semester 1979 bei Prof. Gerd-Günther Grau an der Universität Hannover.
[4] Zitiert wird nach der Akademieausgabe „Kant’s gesammelte Schriften“ (1900 ff., hrsg. von verschiedenen Akademien der Wissenschaften) nach Band, Seiten- und womöglich Zeilenzählung, die Kritik der reinen Vernunft (KrV) nach der Originalpaginierung der zweiten Auflage (B) (Riga 1787), wenn abweichend, nach der ersten Auflage (A) (Riga 1781). Die Kant-Studien werden mit dem Kürzel „KS“ wiedergegeben.
[5] Nach B 111/112 geht Kant von der Augenfälligkeit der Übereinstimmung der Momente der Urteilsfunktionen mit den Kategorien aus, mit Ausnahme der Kategorie der Gemeinschaft.
[6] Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können. Riga 1783 (Prol., AA 04).
[7] Jäsche, Gottlob Benjamin: Immanuel Kants Logik. Ein Handbuch zu Vorlesungen. Königsberg 1800 (Jäsche-Logik, AA 09).
[8] Das Leitfadenprinzip („Begriffe nach einem Prinzip aufzusuchen“ (B 92)) expliziert Kant an genau dieser Stelle.
[9] De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis. (Diss. 1770, AA 02: 385-419, hier: 395.)
[10] Es geht nicht um einen empirisch beschreibbaren psychologischen Urteilsvollzug, sondern um eine logisch-epistemische Verstandeshandlung, verschiedene Vorstellungen (die ein Subjekt (S) in Verbindung mit einem Prädikat (P) erzeugt) zur bestimmten Einheit zu verbinden.
[11] „Die reine Synthesis, allgemein vorgestellt, gibt nun den reinen Verstandesbegriff.“ (B 105)
[12] Zum Begriff „Bestimmungsrelation“ siehe Wagner, Hans: Kants Urteilstafel und Urteilsbegriff. In: Zu Kants kritischer Philosophie. Hrsg. von Bernward Grünewald und Hariolf Oberer. Würzburg 2008, S. 9 u.w.; zuerst erschienen in: Wiener Jahrbuch für Philosophie, Bd. XIX, 1987, S. 83-94.
[13] Die Kopula wird in der transzendental-gegenständlichen Betrachtung für den Augenblick vernachlässigt; sie kommt bei der Darstellung der einzelnen Momente der Denkfunktionen wieder ins Spiel.
[14] Siehe B 13 („Was ist hier das Unbekannte = X…“); mit dem Relatum „X“ wird die Formallogik des Urteils transzendental transformiert. Kant verwendet für S – P – x die Ausdrücke „Aptitudo“ – „Exponent“ – „Datum“ (Gegebenheit – Regel – Datum) (Reflexionen zur Metaphysik Nr. 4676 (Phase r=1773-1775), AA 17: 656.08-12); „In Urtheilen aber ist ein Verhaltnis von a : b, welches beydes sich auf x bezieht. a und b in x, x vermittelst des a : b, endlich a + b = x.“ (657.08-10)
[15] Die Denkformen in Urteilen sind bereits bei Aristoteles angelegt, von den Vorgänger- und den zeitgenössischen Logiken hat Kant die des Christian Wolff, Alexander Gottlieb Baumgarten, Georg Friedrich Meier und Johann Heinrich Lambert berücksichtigt (siehe Darstellung von Hauck, Polykarp: Die Entstehung der Kantischen Urteilstafel. Ein Beitrag zur Geschichte der Logik. In: KS 11 (1906) S. 196-208).
[16] B 94 i.V.m. B 104/105.
[17] Der „Leitfaden“ ist nun aber nicht die Tafel der Urteile, wie sie § 9 vorstellt, sondern der Verstand als absolute Einheit (B 92); s.o. Fn. 8; Urteile sind Funktionen der Einheit, weil man „alle Handlungen des Verstandes auf Urteile zurückführen“ kann (B 94).
[18] Reflexionen zur Metaphysik Nr. 4676, AA 17: 654.29-31.
[19] Kants Urteilslogik läßt sich nicht mit der Aussagenlogik im modernen Verständnis konfrontieren: Ihm geht es bei der Analyse der Verstandeshandlung nicht um die Aussage S P, sondern um das Verhältnis S : P in den möglichen Urteilsrelationen. Urteil ist wesentlich Denkhandlung, nicht die Aussage: die Handlung selbst ist eigentlich das Urteil.
[20] Siehe: Caimi, Mario: Einige Bemerkungen über die Metaphysische Deduktion in der Kritik der reinen Vernunft. In: KS 91 (2000), 257-282 (263 ff.).
[21] Die bei der zitierten Stelle zu findende Wendung „bei Gelegenheit der Erfahrung“ heißt nicht Auffinden der Kategorien „aus Erfahrung“, denn die „empirischen Bedingungen“ bleiben außer Betracht (s.a. § 8 der Disserta-tion von 1770, wo „Sinne“ und „angeboren“ deutlich ausgeschlossen werden (AA 02: 395)); vielmehr wird der Verstand, dessen legitimer Gebrauch auf Erfahrung beschränkt ist, in seinen auf Erfahrungsgewinnung gerichteten Handlungen analysiert. Der Kategorien werden wir also „bei Gelegenheit der Erfahrung“, die durch jene konstituiert wird, doch ohne Bewußtsein der Erfahrung selbst, inne, sie werden real gebraucht.
[22] Im Unterschied zu den vier Titeln der Kategorientafel, die Klassenbegriffe der Kategorien sind, sind hier die Titel Prinzipien für die verschiedenen Urteilsrelationen. Die zwölf Kategorien sind hingegen Prinzipien der Gegenstandskonstitution (s.o. Vorbem., These 6).
[23] In dieser und in weiteren Bemerkungen Kants in seiner Verwahrung (B 96 ff.)werden bereits einige der in den Denkfunktionen verborgenen Kategorien sichtbar.
[24] Die doppelte Verwendung des Ausdrucks „Relation“ als Formalprinzip für jedwedes Urteilsgefüge und für die spezielle Art der Relation, wie die Urteilsbegriffe miteinander verbunden sind, ist zur Vermeidung einer Verwir-rung zu beachten.
[25] Ein Bikonditional (Implikation und Replikation), das man hier vielleicht vermißt, bringt transzendental nichts ein, denn was sollte etwas sein, das die von einem Ereignis ausgehende Wirkung wäre und zugleich auch die Ursache von diesem Ereignis.
[26] Mit der modernlogischen vel-Disjunktion (Adjunktion) kann nichts gewonnen werden, weil bei dieser andere, nicht transzendentallogische, Überlegungen zugrundeliegen.
[27] B 103; die mit „und“ verknüpften Prädikate (S ist P und Q) ließen sich auch zusammengefaßt als ein (zusam-mengesetztes) Prädikat denken.
[28] „In der metaphysischen Deduction wurde der Ursprung der Kategorien a priori überhaupt durch ihre völlige Zusammentreffung mit den allgemeinen logischen Functionen des Denkens dargethan.“ (KrV § 26/B 159) Dies ist die einzige Stelle in der KrV (soweit ich sehe auch im Gesamtwerk), in der der Ausdruck „metaphysische Deduktion“ verwendet wird (s.o. Vorbem., These 2). Daß hier nicht wie in der transzendentalen Ästhetik von „metaphysischer“ und „transzendentaler Erörterung“ gesprochen wird, sondern von „Deduktion“, mag folgenden Grund haben: Sinnlichkeit, damit auch die reinen Anschauungsformen, sind „gegeben“ (Gegebenes kann man nur erörtern); das auf Spontaneität beruhende Verstandesvermögen bringt durch die Denkfunktion und Synthesisleistung die Kategorien, auch wenn sie „bei Gelegenheit der Erfahrung“ als „ursprünglich erworben“ aufgefaßt werden, erst hervor, so daß das Hervorbringen eine systematische Deduktion erfordert.
[29] Als Elemente der reinen Verstandeserkenntnis sind sie Kategorien nur, wenn sie die vier Bedingungen erfüllen: 1. reine (nicht empirische) Begriffe zu sein; 2. zum Denken (Bereich des Verstandes) zu gehören; 3. Elementarbegriffe (im Unterschied zu abgeleiteten und zusammengesetzten) zu sein; 4. in einer vollständigen Tafel darstellbar zu sein (B 89).
[30] In der Original-, der Akademieausgabe und in den meisten Ausgaben wird „urteilen“ substantiviert wiedergegeben, was dem Sprachgebrauch Kants an anderen Stellen nicht entspricht, z.B. § 20 (B 143): „[…] in Ansehung einer der logischen Funktionen zu urteilen […]“; „[…] eben diese Funktion zu urteilen […]“; KdU, AA 05: 203, Fn.: „[…] nach Anleitung der logischen Functionen zu urtheilen […]“.
[31] Ebbinghaus, Julius: Kantinterpretation und Kantkritik. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissen-schaft u. Geistesgeschichte II, l (1924), S. 80-115, hier S. 94 (= Erstfassung; in der Neufassung, abgedruckt in: Ders., Gesammelte Aufsätze, Vorträge und Reden. Darmstadt 1968, S. 1-24, ist das Zitat entfallen.
[32] Vielfach wird als Allquantor statt „alle“ der Ausdruck „jeder“ bevorzugt, weil „alle“ die Klasse meint und somit Klassenbegriff sei. In Kenntnis dieser Sprachregelung wird der traditionelle Sprachgebrauch (z.B. von Christian Wolff bis Kant und darüber hinaus bis zu einigen heutigen Logiklehrbüchern) hier vereinfachend beibehalten. Im Einzelfall ist jedoch zu entscheiden, ob im generellen Urteil die Quantität kollektiv (Klassen-, Gattungsebene) oder distributiv (Elementebene) gemeint ist.
[33] Von Kantinterpreten wird oft eine Vertauschung der ersten mit der dritten Quantitätskategorie (oder zuweilen auch die Vertauschung der ersten und dritten Urteilsrelation) behauptet, die Kant unterlaufen und (aus Nachlässigkeit) in keiner Auflage korrigiert worden sei, denn dem „einzelnen Urteil“ korrespondiere selbstverständlich die Kategorie „Einheit“ usw. Diese Behauptung ist irrig und sachlich falsch. Kant hat in B 111 ausdrücklich von der Kategorie „Allheit“ als „dritter Kategorie“ gesprochen. Als Beleg dient auch Kants Wendung in seinem Brief an Iohann Schultz vom 17. Febr. 1784: „“…aber das All der künftigen Iahre, mithin collective Einheit…“ (AA 10: 366/367). Auch die Reihenfolge der Quantitätsurteile ist bis hin zur Jäsche-Logik (§ 21, AA 09: 102) dieselbe (in einigen Logiknachschriften, deren Autorisierung von Kant nicht bekannt ist, ist die Reihenfolge allerdings anders).
[34] Jäsche-Logik, AA 09: 104.22,23.
[35] Logik Pölitz, AA 24: 578.
[36] Wie Fn. 34, Zeile 06.
[37] A.a.O., Zeilen 29,30.
[38] A.a.O., Zeilen 31,32.
[39] KrV, B 99/100.
[40] Wie Fn. 38, Zeile 32.
[41] Siehe: KrV, B 99.
[42] Wie Fn. 40, S. 108, Zeile 19.
[43] Wie zuvor, Zeile 20.
[44] Wie zuvor, Zeile 21.
[45] So ist Allheit: Vielheit als Einheit betrachtet; Einschränkung: Realität mit Negation verbunden; Gemeinschaft: wechselseitige Kausalität der Substanzen in Ansehung ihrer Bestimmung; Notwendigkeit: Dasein (Existenz) aus der Möglichkeit gegeben (B 111 mit Kants Brief an Johann Schultz (AA 10: 367)).
[46] Ritzel. Wolfgang: Immanuel Kant. Eine Biographie. Berlin/New York 1985, S. 260; die Bezugstextstelle ist offenbar AA 02: 058.
[47] Wagner, Hans: Kants Urteilstafel und Urteilsbegriff. In: Ders.: Zu Kants kritischer Philosophie. Hrsg. von Bernward Grünewald und Hariolf Oberer. Würzburg 2008, S. 13.
[48] Die Behauptung einer numerischen Unvollständigkeit müßte einhergehen mit dem Aufweis der fehlenden Denkfunktionen und der diesen entsprechenden reinen Verstandesbegriffe.
[49] Brief Nr. 622, Briefwechsel 1794, AA 11: 497.
[50] Brief Nr. 654 c, Ergänzungen zum Briefwechsel, AA 23: 498.
[51] Mellin hat in seinem mehrbändigen Werk Encyclopädische Wörterbuch der Kritischen Philosophie (Jena und Leipzig 1797–1803) zu den Artikeln „Kategorie“ (V. Bd., II. Abt. (1801), S. 530 ff.) und „Urtheil“ (III. Bd., II.Abt. (1801), S. 529 ff.) auf Kants eigene Ausführungen verwiesen und hat zur Urteilssystematik auch eine Probe aus den Metaphysische[n] Anfangsgründe[n] der Naturwissenschaft (Riga 1786) (MAN, AA 04) gegeben.
[52] Krüger, Lorenz: Wollte Kant die Vollständigkeit seiner Urteilstafel beweisen? In: KS 59 (1968), S. 333-356.
[53] Von den neueren Bearbeitern des Themas der Vollständigkeit der Urteilstafel sind Gisela Helene Lorenz (Das Problem der Erklärung der Kategorien. Berlin 1986; ihr Ergebnis ist dem hier vertretenen sehr nahe), Reinhard Brand (Die Urteilstafel der reinen Vernunft. Hamburg 1991) und Michael Wolff (Die Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel. Mit einem Essay über Freges ‚Begriffsschrift’. Frankfurt/Main 1995) zu nennen, die Beachtung verdienen.
[54] „Das Schema aber zur Vollständigkeit eines metaphysischen Systems, […] ist die Tafel der Kategorien. Denn mehr giebt es nicht reine Verstandesbegriffe“; in der Fn. S. 473: „Denn in dieser Absicht ist die Deduction schon alsdann weit genug geführt, wenn sie zeigt, daß gedachte Kategorien nichts anders als bloße Formen der Urtheile sind“; „weil dieses schon hinreicht, das ganze System der eigentlichen Kritik darauf mit völliger Sicherheit zu gründen.“
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