Österreich – Gesetz gegen Hass im Netz in der Kritik

Alma Zadić in Berlin, gemeinsam mit Bundesjustizministerin Christine Lambrecht. (Foto: Bundesministerium für Justiz)

Österreich will mit einem neuen Gesetz scharf gegen „Hass im Netz“ vorgehen. Die Justizministerin präsentierte den Entwurf. Ein Angriff auf die Pressefreiheit wird befürchtet. Jetzt soll die Europäische Kommission entscheiden.


Im Juni fuhr die österreichische Justizministerin Alma Zadićnach Berlin. Sie wollte ihre deutsche Amtskollegin Christine Lambrecht sprechen. Das Thema sollten Gesetze zu „Hass im Netz“ sein. Zadić wollte die Initiative übernehmen. Sie forderte scharfe Maßnahmen.

Die Reise von Justizministerin Zadić nach Deutschland wurde inzwischen zum Thema einer parlamentarischen Anfrage. Am 27. Juli erklärte Justizministerin Zadić dazu, dass sie „mittels Dienstkraftwagen“ von Wien nach Berlin fuhr, begleitet von ihrer Protokollchefin und ihrem Pressesprecher. Als „konkreten Anlass“ ihrer Reise nach Berlin nannte Zadić:
“Die deutsche Ratspräsidentschaft wird sich ebenfalls dem Schutz von „Hass im Netz“ widmen und das Thema auf europäischer Ebene weiter vorantreiben“.

Konnte die Reise zur deutschen Bundesjustizministerin noch gut begründet werden, so wurde eine andere Frage zu einer peinlichen Bloßstellung, was seriöse Arbeit im österreichischen Justizministerium betrifft:
„Führt Ihr Ministerium eine Statistik zum Thema „Hass im Netz“?. Wenn nein, warum nicht?“.

Justizministerin Zadić musste gestehen, dass ihr Bundesministerium für Justiz keine eigene Statistik zu „Hass im Netz“ führt. Die Frage nach dem „Warum“ ließ Zadić

unbeantwortet.

Justizministerin Zadić hatte bis zur Beantwortung der Anfrage allerdings acht Wochen Zeit, um Maßnahmen zu setzen. Nämlich eine solche Statistik bei ihren Mitarbeitern in Auftrag zu geben.  Wenn schon zuvor ein solches Versäumnis in ihrem Ministerium gegeben war, so hätte man doch erwartet, dass Zadić bei der Beantwortung betonen möchte:  Es wird ab jetzt eine solche Statistik erarbeitet werden.

Der Sicherheitsbericht des österreichischen Bundesministerium für Inneres gibt  allerdings Auskunft über die Anzahl gefährlicher Drohungen, die mit Internet-Plattformen verbreitet wurden.  Die aktuelle Statistik liegt für 2018 vor. Es wurden demnach 15 Drohungen über soziale Medien im Berichtszeitraum für 2018 verbreitet.
(Bundesministerium für Inneres: Sicherheitsbericht 2018: Kriminalität, S. 96f)


Präsentation des Gesetzes


Dann kam am 3. September für Zadić endlich der ersehnte Tag, an dem sie das neue Gesetz der Öffentlichkeit präsentieren konnte. Begleitet von der Bundesministerin für Verfassung, der Frauenministerin und der Klubchefin der Grünen ging sie in die Pressekonferenz.

„Mit diesem effektiven und zielgerichteten Maßnahmenpaket wird klargestellt, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Denn auch hier gilt unser Rechtsstaat“, behauptete Zadić.

Der eigentliche Name des Gesetzes lautet: „Hass-im-Netz-Bekämpfungs-Gesetz – HiNBG” Von Veränderungen betroffen sind das Bundesministerium für Justiz, die Plattformen im Internet und die Opfer.


Zentrale Punkte des neuen Gesetzes:


Wird eine Einzelperson wegen ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit angegriffen, so gilt künftig der Tatbestand der Verhetzung.

Auch bei nur einmaligen Tathandlungen soll ein Vorgehen mittels Strafgesetzbuch erfolgen. 


Bisher gab es bei der Ausforschung der Täter bei Hasspostings keine Unterstützung für die Opfer. Künftig sollen die Behörden die Täter ermitteln, wenn dies beim Landesgericht beantragt wird.  

Im Falle eines Freispruchs oder einer Einstellung des Verfahrens musste bisher das Opfer die Prozesskosten bezahlen. Das neue Gesetz soll dieses Kostenrisiko beseitigen.

Wer durch ein Medium in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt wird, soll künftig eine höhere Schadenersatzsumme erhalten.

Ermächtigung für Formular


Das österreichische Bundesministerium für Justiz will künftig auf der Website ein Formular für Betroffene zur Verfügung stellen, mit dem beim zuständigen Bezirksgericht ein Unterlassungsantrag, ohne vorhergehende Verhandlung, bewirkt werden kann. Ein solches Mahnverfahren soll zu einer raschen Löschung unerwünschter Postings führen.

Das vorgelegte Gesetz „ermächtigt“ das Justizministerium ein solches Formular anzubieten. Doch sollte ein solches Service eine Selbstverständlichkeit sein, so dass im Gesetz wohl eher von „verpflichtet“ die Rede sein müsste.

Plattformen in der Pflicht

Bei systematischem Versagen einer Plattform gegen Hass im Netz drohen Geldbußen bis zu 10 Millionen Euro. Vom österreichischen Justizministerium wurde dieser Punkt als „empfindliche Geldbußen“ definiert.

Plattformen müssen eine ständig erreichbare und leicht handhabbare Meldemöglichkeit bieten, mit der ein Hassposting angezeigt werden kann. Ein gemeldetes Posting muss innerhalb von 24 Stunden von der Plattform gelöscht werden.  Sollte die Eindeutigkeit des strafbaren Inhalts nicht klar erkennbar sein, so kann die Frist auch verlängert werden und bis zu 7 Tage später erfolgen.

Bei Löschungen ist Einspruch bei einer behördlichen Beschwerdestelle der Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH möglich.


Sozialpsychologische Betreuung

„Eine vermehrte psychosoziale und juristische Prozessbegleitung soll Opfer von Hass im Netz dabei unterstützen, mit der außerordentlichen Belastung eines Strafverfahrens besser umgehen zu können“,wurde es vom Bundesministerium für Justiz nach der Pressekonferenz zum neuen Gesetz verlautbart.

Eine solche psychosoziale Prozessbegleitung könnte in Österreich auch als gefährliche Drohung verstanden werden. Wer mit der „Belastung eines Strafverfahrens“ nicht umgehen konnte, der bekam schon in den vergangenen Jahren rasch einen Sachwalter verordnet. 

Es wurde in solchen Fällen ein psychiatrisches Gutachten von einem gerichtlich beauftragten Sachverständigen vorgelegt.  Der Sachwalter übernahm dann nicht nur die Anwesenheit vor Gericht, sondern gleich auch alle Vermögenswerte des Betroffenen. Bei der österreichischen Volksanwaltschaft wurden tausende Beschwerden über Vermögensübernahmen durch Sachwalter dokumentiert.  


Kritische Stimmen

Unverzüglich protestierten die Internet Service Providers Austria (ISPA) gegen das geplante Gesetz.  Sie forderten für die österreichische Internetwirtschaft eine „ersatzlose Streichung der vorgesehenen Regelung“.

ISPA lehnt ab, dass Provider, nach Abmahnung durch Privatpersonen, in die Rolle der Richter gedrängt werden. Die Netzneutralität müsse gewahrt bleiben.Das österreichische Gesetz von Zadic wird als ein „nationaler Alleingang“ betrachtet, der eine Regelung der Europäischen Union unterwandern soll. ISPA setzt ganz auf den „Digital Services Act“ der derzeit von der EU erarbeitet wird und auch auf das Problem „Hass im Netz“ reagieren will:
„Eine national betriebene Fragmentierung zeugt von einem schockierenden Mangel an Vertrauen in die Arbeit der EU-Institutionen, läuft somit dem europäischen Gedanken zuwider und schadet der europäischen Wirtschaft“, erklärte ISPA.

Tatsächlich wünschte Věra Jourová, die EU-Vizepräsidentin und Kommissarin für Werte und Transparenz, bereits im Juli, nach einer Videokonferenz der Justizminister, eine „paneuropäische Lösung“ für ein Gesetz zu „Hass im Netz“.


Pressefreiheit gefährdet

Reporter ohne Grenzen Österreich warnte vor einer Bedrohung der Pressefreiheit. Es wurde ein Vergleich mit den Regelungen im Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Deutschland und dem „Loi Avia“ in Frankreich hergestellt:
„Ähnlich problematische Ansätze wie schon jene in Frankreich und Deutschland könnten auch hier zu Einschränkungen der Meinungs- und Pressefreiheit führen“, warnte Rubina Möhring, die Präsidentin von Reporter ohne Grenzen Österreich.

Auf Anfrage betonte Rubina Möhring:: „Die Notwendigkeit einer internationalen Regulierung rund um Themen wie Hassrede und Desinformation. Dabei muss der Schutz von Meinungs- und Pressefreiheit im Vordergrund stehen. Der Digital Services Act könnte ein wichtiges Gegenstück zu solchen nationalistischen Internetgesetzen darstellen“.

Auch Amnesty International Österreich fürchtet um die Meinungsfreiheit.Es bestehe „die Gefahr, dass auch Inhalte  gelöscht werden, die von der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt sind. Es muss für alle Menschen möglich sein, eine Meinung in eine Debatte einzubringen“, kritisierte Amnesty International Österreich.

 
EU-Kommission entscheidet

Österreich will das dritte Land in der Europäischen Union werden, nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Deutschland und dem „Loi Avia“ in Frankreich, das mit neuen Gesetzen gegen „Hass im Netz“ deutlich vorgeht. Der vollständige Name des Gesetzes in Frankreich lautet: „Loi visant à lutter contre les contenus haineux sur internet“ (Gesetz abzielend auf die Bekämpfung von Hassinhalten im Internet). Es wird gerne mit dem Kürzel „Loi Avia“ bezeichnet, mit dem Namen der französischen Abgeordneten Laetitia Avia, die sich für dieses Gesetz einsetzte.

Doch in Frankreich wurde das „Loi Avia“ bereits am 18. Juni vom Verfassungsgericht (Conseil Constitutionnel) abgelehnt. Dabei wurde die Bedeutung der Meinungsfreiheit und der Teilhabe am demokratischen Leben besonders betont, das durch die Plattformen im Netz ermöglicht wird.  Zuvor wurde das französische „Loi Avia“ bereits von der Europäischen Kommission kritisiert.

Der Digital Services Act der Europäischen Union soll die klaren Regeln für alle Mitgliedsstaaten der EU schaffen. Die österreichische Justizministerin Zadić wollte gerne der EU zuvorkommen und die Bedingungen jetzt vorgeben. Das österreichische Gesetz muss aber zuerst der Europäischen Kommission vorgelegt werden.

Bis zum 2. Dezember soll die Europäische Kommission das Urteil über dieses Gesetz vorlegen. Die Entscheidung über den weiteren Verbleib des österreichischen Gesetzes zu „Hass im Netz“ wird jetzt in Brüssel getroffen.

Textausschnitt Gesetz

Text 1: Titel des Gesetzes zu „Hass im Netz“.

Text 2: Das Bundesministerium für Justiz wird „ermächtigt“, ein Formblatt auf der Website zur Verfügung zu stellen.



ustizministerin Zadić (rechts) und Sigi Maurer, die Klubchefin der GRÜNEN präsentieren das Gesetz gegen Hass im Netz (Foto: BKA/Aigner )

Finanzen

Über Johannes Schütz 109 Artikel
Johannes Schütz ist Medienwissenschafter und Publizist. Veröffentlichungen u. a. Tabula Rasa Magazin, The European, Huffington Post, FAZ, Der Standard (Album), Die Presse (Spectrum), Medienfachzeitschrift Extradienst. Projektleiter bei der Konzeption des Community TV Wien, das seit 2005 auf Sendung ist. Projektleiter für ein Twin-City-TV Wien-Bratislava in Kooperation mit dem Institut für Journalistik der Universität Bratislava. War Lehrbeauftragter an der Universitat Wien (Forschungsgebiete: Bibliographie, Recherchetechniken, Medienkompetenz, Community-TV). Schreibt jetzt insbesondere über die Verletzung von Grundrechten. Homepage: www.journalist.tel