Der deutsche Reporterpreis wird am 4. Dezember im Rahmen einer Gala in Berlin überreicht. Auch für Essay. Die Nominierungen wurden bereits präsentiert. Wie schon in den vergangenen Jahren dominierte Befindlichkeitsliteratur. Von Johannes Schütz.
Wird empfindlicher Erlebnisaufsatz gesucht oder reflektierte Sachlichkeit?
Zu Beginn sollte man wohl drei Essays auswählen, zur Orientierung, aus der Vielzahl an großen Texten deutschsprachiger Autoren. Ich entscheide mich für Hermann Hesse, Peter Handke und Theodor W. Adorno.
Hermann Hesse wird gerne verkannt als ein Autor für Jugendliche, obwohl sein „Steppenwolf“ nur für reife Leser gedacht sein sollte, im Schulunterricht die siebzehnjährigen Zöglinge eher gefährdet. Weniger beachtet werden seine behutsamen Essays. Nennen möchte ich hier den Essay von Hermann Hesse über Impressionismus.
Peter Handke schrieb in jungen Jahren Essays, die Siegfried Unseld bedingungslos in einem Sammelband herausgeben wollte. Dazu zählte ein Text, in dem Handke das Verhalten und die Sprache der Justiz seiner Epoche beschrieb. Der Essay wurde erstmals im November 1969 in „Die Zeit“ veröffentlicht: „Die Tautologien der Justiz“.
Theodor W. Adorno bietet nicht nur seine „Noten zur Literatur“. Eine Annäherung an die Hauptwerke von Adorno, „Negative Dialektik“ und „Ästhetische Theorie“, sollte zuerst, so muss man empfehlen, über seine Essays erfolgen. Eine Zeitdiagnostik, die bis heute an Gültigkeit noch dramatisch gesteigert wurde, bietet sein Beitrag: „Résumé über Kulturindustrie“.
Kategorie für Erlebnisaufsatz
Ein anderes Verständnis von Essay wird beim Deutschen Reporterpreis gefordert. Zehn Beiträge wurden von der Jury in der Kategorie „Essay“ nominiert. Doch bei Sichtung der ausgewählten Texte erhält man den Eindruck, dass jedenfalls auch fünf Nominierungen genügen.
Es sind weniger Essays, eher Befindlichkeitsliteratur, geprägt von persönlicher Empfindung und pauschalen Erstaunen. Erinnernd an Erlebnisberichte, wie sie in den alten Zeiten in Schulaufsätzen gefordert wurden, von fragwürdigen Pädagogen. Dabei besteht auch der Verdacht, dass solche Erlebnisaufsätze nur dazu dienen, Kandidaten für die Kinder- und Jugendpsychiatrie zu selektieren. Auch aus diesem Grund ist verständlich, dass es Schülern unangenehm war, im Deutschunterricht eine Lebensbeichte vorzutragen.
Allerdings erwarten die didaktischen Modelle für den modernen Deutschunterricht längst einen neuen Stil. Da wird sachliche Auseinandersetzung mit relevanten Themen bevorzugt. Offensichtlich erreichte der deutsche Reporterpreis beim Essay noch nicht die Leitlinien eines fortschrittlichen Schulunterrichts.
Die Nominierungen
Die erfolgreichen Medien waren mit 2 Nominierungen das ZeitMagazin und mit 1 Nominierung Die Zeit, Süddeutsche Zeitung, SZ Magazin, taz, wochentaz, Spiegel, Berliner Zeitung, F.A.S.
Nadia Pantel, „Können Sie Odessa, Bukarest und Sofia von Nord nach Süd sortieren?“, Der Spiegel, 31.12.2022
Im Text, der im Spiegel veröffentlicht wurde, zeigte Nadia Pantel ihr Erstaunen über die Unkenntis der Deutschen in Geographie und Geschichte, ausgehend von ihrem eigenen Bildungsstand:
„Es war der Sommer 2014 als ich mit einem Freund auf dem alten Marktplatz von Warschau stand und sagte: »Man kann sich gar nicht vorstellen, dass jedes einzelne dieser Häuser hier wiederaufgebaut werden musste.« Wir waren beide aus Deutschland, hatten beide ein abgeschlossenes Studium und er sagte: »Wieso, wer hat denn die Häuser zerstört?« Bevor ich »Deutschland« sagen konnte, sagte er »oh«, weil es ihm gedämmert war.
Aber einen kurzen Moment lang leuchteten die Umrisse von etwas auf, das so groß war, dass es bis zum Horizont reichte. Es war das Loch, das dort klafft, wo Deutsche ihr Wissen über Osteuropa lagern. Zur Wahrheit gehört auch, dass ich selbst keine Ahnung von der planmäßigen Vernichtung Warschaus durch die deutsche Wehrmacht hatte, bis ich mal ein Jahr in Polen studierte“.
Wir wollen nicht bezweifeln, dass solche Szenen möglich sind, wie Nadia Pantel sie beschreibt, obwohl vor nicht allzu langer Zeit noch die Reportagen von Claas Relotius im Spiegel für Aufregung sorgten, auch im Zusammenhang mit dem Gewinn des deutschen Reporterpreises.
Doch sollten Hinweise auf Zerstörungen durch Kriege nicht befremden. Denn einst stand auch ich im Zentrum von Gießen und es wurde mir von einer Deutschen erklärt, dass die Häuser nach dem 2. Weltkrieg nochmals aufgebaut werden mussten, allerdings „klaffte kein Loch“, geographisch, die Städte Wiesbaden, Marburg, Kassel werden von West nach Ost sortiert, es sollte damit nur berührend betont werden, weshalb die alten Gebäude nicht mehr fröhliche Stimmung bewirken, sondern ernste Nüchternheit den historischen Stadtkern beherrscht.
Samuel Andreas, Mein Leben auf der Straße, taz, 13.05.2023
Der Autor veröffentlichte den Text mit dem Pseudonym Samuel Andreas in der taz. Demnach war er ein drogenabhängiger Obdachloser, der am Hermannplatz sein Wohnzimmer einrichtete. Jetzt sei er aber „clean“ vom Heroin und berichte über seine Erfahrungen am Rande der Gesellschaft. Ob der Text von einem begabten Redakteur der taz konstruiert wurde, als eine Vorstudie zu einem Trivialroman, der das Leben einer Subkultur schildert, das ist an manchen Stellen überlegenswert.
„„Was machst du denn hier?“, frage ich erstaunt. Ich wollte das Haus verlassen, verabredet waren wir nicht.
„Hi, ich bin gerade zwei Tage raus und dachte, ich komme mal vorbei“, antwortet er.
Er ist frisch aus dem Knast entlassen worden.
Wir sind etwas unbeholfen, nesteln an unseren Sachen herum. Über ein Jahr haben wir uns nicht gesehen. Jetzt, an einem Sonntag im April 2023, ist er plötzlich wieder da.
„Komm her, lass dich drücken“, sage ich. Wir umarmen uns. Ich fühle mich verbunden. So verbunden, wie ich es sonst kaum kenne. Pascal D. zählt zu meiner Berliner Straßenfamilie.
Ich freue mich, ihn zu sehen. Zugleich schlägt unsere Begegnung wie eine Bombe in meine Gegenwart ein. Eben noch sitze ich an meinem Macbook, pünktlich zum Mittag will ich los, einkaufen im Bioladen. Nun steht Pascal vor mir. Und mit ihm mein altes Leben“.
Karen Köhler, Goldfischoma, ZEITmagazin, 02.03.2023
Karen Köhler erzählt von ihren Begegnungen mit ihrer dementen Großmutter. Die Pflege überforderte ihre Familie:
„Meine Oma ist ein Goldfisch. Durch ihre dicken und sehr großen Brillengläser werden ihre Augen grotesk vergrößert, weshalb ich sie liebevoll Goldfisch nenne. Ich weiß, dass Goldfische ein gutes Gedächtnis haben, bis zu fünf Monate können sie sich zurückerinnern, das schafft meine Oma nicht mehr. Heute habe ich sie auf dem Weg durch den Speisesaal verloren. Es sind nur 20 Meter geradeaus durch den Raum bis zur Terrasse, aber sie ist irgendwo abgebogen, hat mich schon wieder vergessen.
Meine 95-jährige Oma ist demenzkrank, und seit Opas Tod hat sie einen richtigen Schub, sie schwimmt mehr durch die Tage, als dass sie sich an festem Grund orientiert. Meine Mutter und ich haben die Pflege nicht mehr geschafft, nun ist Oma seit Kurzem in einem Altersheim. Es bricht uns das Herz, aber es ging nicht mehr anders, wir haben es so lange wie möglich hinausgezögert..
(…)
Vor ein paar Tagen hat mich meine Schwester angerufen, Oma habe ihr am Telefon erzählt, ich sei ihre beste Freundin. Sie habe gesagt, dass wir uns nur anzusehen bräuchten und beide genau wüssten, wie es uns gehe. Da musste ich weinen“.
Jens Blankennagel, „Tränen in der Toskana“, Berliner Zeitung, 21.09.2023
Jens erzählte seiner Mutter, dass er im Urlaub in die Toskana fahren wolle. Da „drückte sie mir einen Reiseführer in die Hand. Darin war nur ein Lesezeichen“. Das Lesezeichen markierte den Hinweis auf einen deutschen Soldatenfriedhof beim Passo della Futa, einer der Gefallenen war sein Großvater:
„Das Foto seines Grabsteins dient als Lesezeichen. Ich kann nicht sagen, warum ich sofort wusste, dass ich auch dorthin will. Sicher, weil wieder Krieg herrscht in Europa, der größte seit Ende jenes Weltkrieges, in dem mein Großvater starb. (…) Nach langer Suche finden wir endlich Gräberfeld 55 und das Grab 180, das sich mein Großvater mit einem Peter Scholtes teilt. Die Namen auf dem Stein sind fast nicht mehr zu entziffern. Ich könnte auch am Grab eines anderen stehen, und doch fließen die Tränen. Heftig und unaufhaltsam. Ich weiß nicht viel über diesen Mann, und doch weine ich um ihn. Es ist mir nicht mal peinlich. Unser kleiner Sohn ist sicher irritiert nach all der heiteren Ausgelassenheit im sonnigen Italien“.
Anna Fastabend, Bis das letzte Ei gesprungen ist, wochentaz, 02.09.2023
Anna Fastabend sinniert, ob ihr zeitweiser Kinderwunsch vernünftig sei. Allerdings ist sie, jetzt mit 38 Jahren, von Hormonschwankungen geprägt, die sie beunruhigen: „Ob ich wirklich in den vorzeitigen Wechseljahren bin, ist bis heute nicht ganz klar„.
Sie beginnt den Bericht mit einem Moment ihres Lebens, da sie ein Kind eventuell sich vorstellen konnte. Sie beendet den Text mit einem Wort: „Ätsch“:
„Einer der wenigen Momente in meinem Leben, in denen ich wirklich ein Kind wollte, war 2012 während eines Sommerurlaubs auf Korsika. Ich war 27 und schwer verliebt in meinen damaligen Freund, mit dessen uraltem VW-Kombi wir die Campingplätze an der Westküste der Insel abklapperten. Es war unser erster gemeinsamer größerer Urlaub und mein erster Campingurlaub überhaupt. Noch nie hatte ich mich der Natur so ausgeliefert gefühlt, so frei und so lebendig, und noch nie hatte ich einen derart starken Wunsch verspürt, schwanger zu werden.
Tatsächlich schliefen wir dann auch ohne Kondom miteinander, ein einziges Mal. Danach diskutierten wir viel darüber und stritten ein Mal so heftig, dass mein Freund für ein paar Stunden mit dem Auto davonfuhr“.
(…)
Seit jenem Sommer, der meinem Leben eine völlig andere Wendung hätte geben können, sind elf Jahre vergangen. Elf Jahre, in denen ich die meiste Zeit über erleichtert darüber war, damals nicht schwanger geworden zu sein. Denn so konnte ich in aller Ruhe mein Studium beenden und einen Job finden, der mir Spaß macht.
(…)
Und wenn es nicht klappt, ist es auch okay. Dann konzentriere ich mich aufs Schreiben und reise um die Welt. In der Nebensaison, wenn gerade keine Schulferien sind.
Ätsch“
Pia Ratzesberger, „Bild der Frau“, Süddeutsche Zeitung, 13.08.2023
Pia Ratzesberger berichtet vom Umgang junger Mädchen mit den Schönheitsidealen der Modelkultur. Eine Protagonistin ihrer Erzählung ist Laura:
„Laura sitzt, mit ihrem Handy in der Hand, auf dem Tiktok wummert. Manchmal wisse sie einfach nicht mehr, wem sie glauben solle. Da seien die schlanken, sehr dünnen Mädchen, die sagten: Abnehmen ist ganz leicht, wenn du es nur wirklich willst! Dann die, die ins Gym gehen, und sagen: Mädchen, ihr müsst stark sein! Die anderen, die einem vergewisserten: Mensch, ihr seid doch schön, wie ihr seid! Und dann auch noch die, die flüsterten: Hey, es sind halt Körper, ist alles nicht so wichtig! Letztere sind Laura am sympathischsten. Nur so richtig nehme sie das niemandem ab.
Klar, sie merke schon eine Veränderung, sagt Laura dann noch, sie hadere vielleicht nicht mehr ganz so mit sich und ihrem Körper, weil sie heute auch andere, nicht so stereotype Bilder sehe.
Aber na ja, der Sommer sei für sie nach wie vor eine schwierige Zeit. Mit dem Schwimmbad und so.
Sie könne sich da doch nicht einfach hinlegen, im Badeanzug“.
Sascha Chaimowicz, „Schwarz Weiß“, ZEITmagazin 22.06.2023
Sascha Chaimowicz ist Chefredakteur des ZEITmagazins. Er berichtet in seinem Text, dass er zu zahlreichen Podiumsdiskussionen und Veranstaltungen eingeladen werde:
„Mir ist klar, dass ich diese Anfragen auch bekomme, weil ich Chefredakteur eines bekannten Magazins bin. Aber eben einer, der viele Diversitätsmerkmale in sich vereint. Das Gegenteil eines alten, weißen Mannes: ein junger, schwarzer Mann. Ich bin die Zukunft“.
„Ich bin weder mit einem Misstrauen gegenüber Weißen aufgewachsen, nicht zuletzt weil mein Vater ja weiß ist, noch mit dem Gefühl, beschützt werden zu müssen, im Gegenteil: Was mir meine Eltern – beide Aufsteiger aus armen Verhältnissen – mitgaben, war eher ein gewisser Stolz. Eine in Bezug auf meine Herkunft vielleicht sogar übertriebene, aber für ein schwarzes, jüdisches Kind in Bayern durchaus hilfreiche Erhabenheit. Ich habe meine eigene Multikulturalität als Vorteil empfunden. Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn meine Eltern wirtschaftlich nicht so erfolgreich gewesen wären“.
Timo Frasch, „Zeugen der Anklage“, F.A.S., 10.09.2023
Timo Frasch ist politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen in München. In seinem Beitrag analysierte er die Debatte um die Flugblatt-Affäre, die dem bayrischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger vorgeworfen wurde, in der Süddeutschen Zeitung mit dem Titel „Das Auschwitz-Pamphlet“.
Dazu Timo Frasch:
„Auch der Autor dieses Texts schreibt nicht im Vakuum. Er ist mit hochgeschätzten Kollegen der SZ befreundet. Zugleich verbindet ihn eine Geschichte mit Aiwanger. Vor fünf Jahren war er bei ihm auf dem elterlichen Bauernhof. Der Eindruck war sehr gut. Ergebnis war ein positives Porträt über ihn. Es folgten auch kritischere Texte, etwa über Aiwangers Einlassungen zur Klimapolitik.
Und doch fragt man sich als Journalist, der zum Zeitpunkt, als der erste SZ-Text erschien, gerade in Südfrankreich am Strand lag: Hat einen die eigene Menschenkenntnis getrogen? Haben die anderen gesehen, was man selbst nicht sah? Was kann man nun tun? Stillhalten? Schnell noch die Kurve kriegen? Oder Flucht nach vorn?“.
Tobias Haberl, „Unter Heiden“, Süddeutsche Zeitung Magazin, 31.03.2023
Tobias Haberl fühlt als Sonderling sich stigmatisiert, sogar als „Verschwörungstheoretiker“ diffamiert, denn er betritt eine Kirche, wenn er „nicht zu Hause hocken will“:
„Es ist tatsächlich so, dass ich mich, wenn ich nicht zu Hause hocken, aber niemandem begegnen will, an einem gewöhnlichen Dienstagabend in eine Kirche setze (…) Fast immer bin ich der Einzige, manchmal kniet ein Mütterchen mit Plastiktüte vor mir, manchmal spielt jemand Orgel. Meistens bleibe ich nur ein paar Minuten, mein Handy auf lautlos geschaltet, sauge die steinerne Kühle ein, die letzten Weihrauchreste, und kann nicht fassen, dass sich fast niemand nach dieser Pracht, nach dieser Atmosphäre sehnt, danach, für ein paar Minuten unbelästigt zu sein.“.
Dafür wird Tobias Haberl offenbar verachtet, von den Menschen seiner Branche, die „irgendwas mit Medien“ gemein hat:
„Dass ich sowohl in meiner Nachbarschaft (gentrifiziertes Bullerbü-Viertel) als auch in meiner Branche (irgendwas mit Medien) von Menschen umzingelt bin, die sich entweder nicht oder verächtlich über Religion äußern“.
„Neulich ließ ich in einem Gespräch mit einem Bekannten das Wort »Eucharistie« fallen. Er sah mich irritiert an: Eucharistie?! Ich könne nicht davon ausgehen, dass normale Menschen wüssten, was das ist“.
„Eine Zeit lang habe ich mich als gläubiger, erst recht katholischer Mensch, die ja bekanntlich die schlimmsten sind, als Sonderling gefühlt. Das ist vorbei. Inzwischen komme ich mir wie ein Verschwörungstheoretiker vor“.
Letztlich erklärt Haberl das Internet zum Widersacher der Kirche, denn dort herrscht „die Abwesenheit von Whatsapp- und Push-Nachrichten, weil dann Fragen auftauchen, deren Antwort sie nicht googeln können“.
Haberl verkennt dabei allerdings, dass selbst konservative Priester gerne ihr Notebook einsetzen, um Gebete vorzulesen, die online gestellt wurden, von Erzdiözesen. Offensichtlich war er tatsächlich nur kurz in den sakralen Räumen, so konnte er dies nicht wahrnehmen, in seinem satirischen Essay, den er mit leicht ironischen Ton anlegte.
David Hugendick, „Kkkeine Ssorge, ich bbbbin gleich fertig“, DIE ZEIT, 06.07.2023
David Hugendick war stellvertretender Leiter und Literaturredakteur von Zeit Online, seit 2023 ist er Kulturkorrespondent für das Feuilleton der Zeit, er wurde bereits mehrfach für den Deutschen Reporterpreis nominiert. In diesem Beitrag berichtet er literarisch über seine Empfindungen als Stotterer. Seinen Humor verlor er deutlich nicht, in den zwischenmenschlichen Begegnungen.
„Wie jedes normale Kind der BRD saß ich früher viel vor dem Fernseher. (…) viel schöner war immer der Moment kurz vor Ende, in dem die Einblendung erschien: „Die nachfolgenden Sendungen verschieben sich um ca. 30 Minuten.“
Ich fühlte mich davon sehr verstanden. Ich hätte diese Einblendung sogar gern für mich selbst gehabt, über meinem Kopf in greller Leuchtschrift, das hätte mir einiges erspart, wann immer ich damals versucht habe, einen Satz herauszupressen und in den Gesichtern meiner Mitschüler bereits stand: „Ist doch nur ein Satz. Den kriegt man doch zu Ende.“ Ich muss etwa vier Jahre alt gewesen sein, als mir zum ersten Mal bewusst geworden ist, dass ich wohl stottere.
(…)
Am lustigsten ist das „Ganz ruhig“, das ich manchmal beim Bäcker höre, so als sei ich ein weltfremder Kaspar Hauser, der zum ersten Mal ein Aufbackcroissant sieht. Im Wesentlichen ist es, als würde man zu einem Rollstuhlfahrer sagen: „Ach, seien Sie doch mal nicht so bequem.“ Aber das klingt nun so, als wolle ich mich beschweren. Will ich gar nicht. Bin ja selbst entsetzlich ungeduldig“.
Allerdings gesteht David Hugendick in dem Text auch:
„Lustige Geschichte dazu: Vor ein paar Jahren rief mich ein Radiosender an, ich sollte einen Vortrag zu einer Tagung halten, es ging entweder um die Zukunft des Essays in der Gegenwart oder um meinen Lieblingsdinosaurier (Stegosaurus)“.
Aufgrund dieses Hinweises bleibt im Nebel, ob David Hugendick seinen Beitrag, gut überlegt, speziell für den Deutschen Reporterpreis gestaltete. Dafür durchaus gekonnt gemacht. Deshalb wäre sein Text, mit dem Stegosaurus, mein Favorit für den Gewinn des Essaypreises.
Nicht nominiert wurde:
Wie Klenk in Deutschland manipulierte
Tabula Rasa Magazin, 7. 9. 2023
Ein Beispiel für Auftragsjournalismus und Desinformation. Florian Klenk veröffentlichte PR für die Organisation des führenden Sachwalters von Wien. Das beweist ein konstruiertes Interview. Die Zeit brachte den Text in Deutschland.
www.tabularasamagazin.de/johannes-schuetz-wie-klenk-in-deutschland-manipulierte